Ein Anwalt bindet einen Stapel Gerichtsakten mit einer Schnur zusammen.
Bild anzeigen

Die neue „Salami“-Justiz – Risiken und Nebenwirkungen

Causen wie Signa und Egisto Ott landen scheibchenweise vor Gericht, anstatt eine Komplett-Aufarbeitung abzuwarten. Gleichzeitig werden Einsichtsrechte fragmentiert. Das bringt flottere Anklagen und weniger mediale Begleitmusik, birgt aber Gefahren.

Drucken

Schriftgröße

Die Signa-Pleite ist mit angemeldeten Forderungen von rund 28 Milliarden Euro die größte Insolvenz der österreichischen Nachkriegsgeschichte. Wenn René Benko, Gründer der untergegangenen Immobilien-Gruppe, demnächst wegen des Verdachts der betrügerischen Krida vor Gericht steht, geht es allerdings gerade einmal um 667.566,67 Euro. Diese stammen im Wesentlichen aus zwei Zahlungen aus dem Herbst 2023 – konkret: eine Mietvorauszahlung für eine Villa in Innsbruck und eine Überweisung an seine Mutter.

Nichts könnte weiter von einer strafrechtlichen Gesamtaufarbeitung der Signa-Saga entfernt sein als diese erste Anklage. Dafür liegt sie vergleichsweise schnell vor – rund eineinhalb Jahre nach dem Zusammenbruch von Benkos Imperium. Quasi ein Wimpernschlag, gemessen an der Komplexität der großen Causen, mit denen die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) oft zu tun hat. Dass das gesamte Signa-Verfahren damit noch lange nicht beendet ist, liegt auf der Hand. Es kann aber niemand behaupten, dass in der Causa ewig nichts weitergehen würde – schon gar nicht Benko selbst, der alle Vorwürfe bestreitet und seit Jänner 2025 in Untersuchungshaft sitzt.

Salami-Taktik statt Tatplan-Anklagen

Ein nicht ganz unähnliches Beispiel findet sich im Zuständigkeitsbereich der Staatsanwaltschaft Wien. Dort ermittelt man seit Jahren gegen den früheren Verfassungsschutz-Beamten Egisto Ott wegen des Verdachts der Russland-Spionage. Angeklagt wurde Ott aber zunächst wegen einzelner scheinbarer Nebenaspekte, bevor es nun, Monate später, erstmals auch vor Gericht um die Russland-Tangente gehen soll. Ott hat sämtliche Vorwürfe immer bestritten. Die neue Anklage wegen des Verdachts der Russland-Spionage ist noch nicht rechtswirksam, es gilt in vollem Umfang die Unschuldsvermutung.

Die beschriebene Salami-Taktik unterscheidet sich markant vom Vorgehen im einen oder anderen früheren Fall. Man erinnere sich insbesondere an die Buwog-Anklage gegen Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser. Diese war getragen von einer Art Gesamt-Tatplan-Erzählung – nämlich dem Vorwurf, Grasser und Konsorten hätten von Beginn an darauf gespitzt, bei Privatisierungen wie jener der Bundeswohnbaugesellschaften mitzuschneiden. Dieser Tatplan wurde über alle Verdachtsmomente drübergestülpt. Etwa auch über den Neben-Vorwurf, Grasser habe bereits vorneweg die Auswahl einer Investmentbank beeinflusst, die den Buwog-Verkauf begleiten sollte – nicht nur den Verkauf selbst.

Schlag nach bei Grasser

Grasser hat das immer bestritten. Dieser Punkt wurde – nach einem Anklageeinspruch – vom Oberlandesgericht Wien gekippt und landete letztlich nicht vor Gericht. Nach der heutigen Anklage-Logik der Staatsanwaltschaften hätte das aber wohl schon Jahre früher geklärt werden können. Im Unterschied zu anderen Anklagepunkten waren hierfür nämlich keine komplizierten Kontoöffnungen im Ausland, Vermögenszuordnungen oder Zahlungsnachverfolgungen notwendig. 

Etwas anders liegt die Sache wohl beim Millionen-Prozess rund um diverse Immobilien-Geschäfte des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) – profil berichtet laufend aus dem Gerichtssaal. Dabei geht es um höchst unterschiedliche Teil-Vorwürfe – vom großvolumigen Zinshaus-Verkauf bis hin zur punktuellen Einmietung des ÖIF in eine bestimmte Wohnung in der Wiener Innenstadt. In Bezug auf diesen Wohnungsvorwurf zum Beispiel hätte eine Einzel-Anklage wohl an komplizierten Verjährungsbestimmungen scheitern können. Dass die 880-seitige Anklageschrift stark an einem mutmaßlichen Gesamt-Tatplan orientiert wirkt, liegt aber wohl nicht nur an derartigen rechtlichen Details. Hier versucht die Anklagebehörde schon, auf Basis umfangreicher Ermittlungsergebnisse ein – aus ihrer Sicht bestehendes – Gesamtbild zu zeichnen. Alle Angeklagten bestreiten sämtliche Vorwürfe. Man wird sehen, wie das Gericht das beurteilt. 

Fest steht: Ein solches großes Gesamtbild wird in der 14-seitigen Benko-Anklage gar nicht versucht. Dabei könnte man durchaus argumentieren, dass die nun herausgelösten ersten Anklagepunkte genauso gut in einen breiteren – ohnehin bestehenden, aber nicht fertig ermittelten – Verdachtsrahmen passen würden. Etwa, wenn es um die Rolle der Familienstiftungen des gefallenen Immobilien-Tycoons oder um weitere Vorwürfe in Zusammenhang mit Benkos Konkursverfahren geht. Nochmals sei betont: Der Signa-Gründer bestreitet jegliches Fehlverhalten.

Fehlender Gesamtkontext?

Beide Herangehensweisen scheinen also mitunter sachlich begründbar. Das rasche Anklagen von Teilaspekten, wie es sich nun offenbar durchzusetzen beginnt, hat jedenfalls einen großen Vorteil: Man sieht, dass auch in großen Causen schnell etwas weitergeht. Wesentlicher Kritikpunkt an der Justiz in den vergangenen Jahren waren die langen Verfahrensdauern in komplexen Causen. Gibt es alle paar Monate eine Anklage, kommt dieser Vorwurf erst gar nicht so leicht auf.

Doch die „Salami“-Taktik birgt auch Risiken: Einerseits kann es passieren, dass ein Gericht mehrere Teil-Anklagen erst recht wieder zu einem größeren Prozess zusammenziehen muss. Nämlich dann, wenn die zweite Anklage kommt, bevor die erste erledigt ist – so war das auch bei Egisto Ott, als dieser heuer im Frühjahr vor Gericht stand (und dann zu mehreren Teil-Vorwürfen erstinstanzlich im Zweifel freigesprochen wurde). Andererseits liegt es in der Natur der Sache, dass die Einordnung einzelner Vorwürfe anders ausfallen kann, wenn ein allfälliger Gesamtkontext keine oder nur noch eine untergeordnete Rolle spielt. Gerade der Kontext liefert schließlich mitunter wertvolle Hinweise auf ein allfälliges Motiv.

Der neue Hang zur Fragmentierung in der Justiz zeigt sich übrigens nicht nur, wenn es um die Anklageerhebung geht. Dieser vorgelagert, hat sich bereits im Ermittlungsverfahren die Akten-Handhabung deutlich verändert – jedenfalls was die großen Causen von öffentlichem Interesse betrifft. So erhalten Verfahrensbeteiligte – darunter auch mutmaßliche Opfer von Straftaten und deren Anwälte – nur noch in jene Aktenteile Einsicht, die diese aus Sicht der jeweiligen Staatsanwaltschaft ganz unmittelbar betreffen. Das geht so weit, dass mitunter Abschnitte von Einvernahmeprotokollen oder Ermittlerberichten geschwärzt sind. Anwälte erhalten darüber hinaus elektronische Kopien, die mit einem individualisierten Wasserzeichen versehen sind.

Einschränkung für die Berichterstattung

Dies führt in der Praxis dazu, dass oft nur Bruchstücke aus Ermittlungsverfahren in der medialen Berichterstattung landen – und schon gar keine faksimilierten Aktenteile mehr. Zwar kein Aktenzitierverbot, wie sich das manche Politiker, gegen deren Parteifreunde ermittelt wurde, gewünscht haben. Aber dennoch eine spürbare faktische Einschränkung für die Berichterstattung über öffentlich relevante Verfahren.

Zwar findet sich in der Strafprozessordnung der Satz: „Das Ermittlungsverfahren ist nicht öffentlich.“ Der Oberste Gerichtshof hat jedoch bereits 2013 festgehalten, dass daraus „keineswegs“ zu folgern sei, dass das Ermittlungsverfahren „geheim“ abzulaufen hätte.

Der Justiz kann zugestanden werden, dass sich ihre eigene Öffentlichkeitsarbeit in den vergangenen Jahren stark professionalisiert hat. Bezüglich großer Verfahren gibt es immer wieder Aussendungen, welche – in einen gewissen Detailgrad hinein – Verdachtslagen, Anklagepunkte oder auch Argumente für Verfahrenseinstellungen wiedergeben. Dennoch ist auch die beste PR-Arbeit nicht mit unabhängigem Journalismus zu verwechseln. Sie ersetzt keinesfalls die Rolle von Medien als „public watchdogs“ – eine Rolle, die es mitunter auch mit sich bringt, die Justiz und deren Arbeit zu kritisieren. Das geht freilich nur, wenn man einigermaßen einen Überblick über diese Arbeit hat – und nicht nur hin und wieder einzelne Bruchstücke erhascht.

Risiken nicht übersehen

Hinzu kommt: Indem die Justiz Verfahrensbeteiligten den Gesamtüberblick nimmt, riskiert sie, sich deren Expertise zu berauben. Nicht selten sind es sogenannte Privatbeteiligte – zum Beispiel geschädigte Unternehmen –, die mit ihren Ressourcen und ihrem Wissen zusätzliche Informationen und Hinweise liefern. Gleiches gilt jedoch auch für Medien, die keineswegs immer nur Akten abschreiben, sondern sehr wohl auch darüber hinausgehende Recherchen anstellen.

Fürs Erste wird sich mancher Staatsanwalt vielleicht ganz wohlfühlen damit, dass er nicht mehr quasi unter medialer Dauerbeobachtung steht. Das ist jedoch zu kurz gedacht. Je dünkler die Blackbox, umso problematischere Dinge können darin gedeihen. Ein ausreichendes Maß an medialer Transparenz ist letztlich auch ein Schutz für Ermittler – gerade in politisch heiklen Causen.

Mit Blick auf die neuen Entwicklungen mag es für ein endgültiges Urteil noch zu früh sein. Bereits jetzt sollten mögliche Risiken jedoch nicht übersehen werden. Wenn in Dienstbesprechungen wieder übers „Daschlogn“ von Verfahrensteilen und übers „ein Auge zumachen“ geredet wird, könnte es zu spät sein.

Stefan Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ). 2022 wurde er mit dem Prälat-Leopold-Ungar-Journalist*innenpreis ausgezeichnet.