
Ex-BVT-Beamter Egisto Ott am 7. März 2025, anlässlich eines Prozesses wegen des Verdachts des Amtsmissbrauchs und der Verletzung von Amtsgeheimnissen im Straflandesgericht in Wien.
© Fotomontage, Bilder: APA/TOBIAS STEINMAURER
Ex-BVT-Beamter Egisto Ott am 7. März 2025, anlässlich eines Prozesses wegen des Verdachts des Amtsmissbrauchs und der Verletzung von Amtsgeheimnissen im Straflandesgericht in Wien.
Ott-Anklage: Was hinter dem Verdacht der Russland-Spionage steckt
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Ein ehemaliger Verfassungsschützer, acht Geschworene – und die alles entscheidende Frage: schuldig oder nicht? So könnte es bald für Egisto Ott laufen, jenen früheren Beamten des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), der im Zentrum einer Staatsaffäre steht.
Die Staatsanwaltschaft Wien hat vor Kurzem beim Wiener Straflandesgericht Anklage gegen Ott erhoben. Sie strebt einen Geschworenen-Prozess an: acht Laienrichter, durch das Los ausgewählte Männer und Frauen, die per Mehrheitsbeschluss über Schuld oder Unschuld entscheiden. Die demokratisch unmittelbarste Form der Rechtsprechung.
In Österreich kommen Geschworene nur in besonderen Fällen zum Einsatz. Etwa wenn besonders lange Gefängnisstrafen drohen – aber auch bei möglichen Verbrechen, die sich gegen den Staat richten. Landesverrat etwa. Eben dieser Vorwurf steht im Zentrum der Causa um Egisto Ott.
Neben Amtsmissbrauch, Verletzung des Amtsgeheimnisses und Bestechungsdelikten wirft die Staatsanwaltschaft Ott auch das Verbrechen des „Geheimen Nachrichtendienstes zum Nachteil der Republik Österreich“ vor. Laut Strafgesetzbuch eine Spielart des Landesverrats, landläufig würde man „Spionage“ dazu sagen. Wobei Ott gemäß Anklage ausgerechnet für Russland spioniert haben soll, jenes Land, das im Geruch steht, seit Jahren westliche Demokratien zu unterwandern.
Eines vornweg: Der Ex-BVT-Beamte hat sämtliche Vorwürfe immer bestritten. Es gilt in vollem Umfang die Unschuldsvermutung. Die Anklageschrift ist noch nicht rechtswirksam. Ott und ein wegen des Verdachts des Amtsmissbrauchs mitangeklagter Polizeibeamter können bis Mitte September Einspruch einbringen. In diesem Fall müsste das Oberlandesgericht Wien entscheiden, ob die Anklage Bestand hat und tatsächlich vor Gericht geht – oder nicht.
Freispruch im Zweifel
Es wäre nicht das erste Mal, dass sich Egisto Ott vor einem Richter verantworten muss. Die Staatsanwaltschaft ermittelt bereits seit 2017 gegen den ehemaligen Verfassungsschützer, der zunächst versetzt und später dauerhaft suspendiert wurde. Ott war schon 2021 und 2024 in Untersuchungshaft, durfte aber das Gefängnis jeweils wieder verlassen.
Zu einzelnen Teilvorwürfen aus dem Ermittlungskomplex, der sich in verschiedene Richtungen ausgewachsen hat, erfolgten Einstellungen. Es kam aber auch zu ersten Anklagen. Letztlich fasste das Landesgericht Wien diese im Frühjahr 2025 in einem einzigen Verfahren zusammen. Ott wurde Verletzung des Amtsgeheimnisses vorgeworfen. Er soll dem früheren FPÖ-Nationalratsabgeordneten Hans-Jörg Jenewein als Informationsbeschaffer gedient haben. Beide haben die Vorwürfe immer bestritten.
Ott wurde im Zweifel freigesprochen, weil aus Sicht des Gerichts nicht klar war, ob Informationen wie Namen bestimmter Verfassungsschützer aus internen Quellen stammten. Seit Juli liegt das schriftliche Urteil der ersten Instanz vor. Die Staatsanwaltschaft hat noch Zeit, um, wie angekündigt, Rechtsmittel einzubringen.
Währenddessen hat die Behörde zum großen Wurf ausgeholt und die neue Anklage eingebracht. Laut Staatsanwaltschaft Wien gibt es zwar noch weitere Verfahrensstränge, die parallel dazu fortgesetzt werden. Dennoch ist die Aufarbeitung der Causa Ott unzweifelhaft an ihrem Höhepunkt angelangt: Gelingt es der Staatsanwaltschaft, den Ex-BVT-Beamten der Russland-Spionage zu überführen?
Bewegte Geschichte
Egisto Ott kennt die sensibelsten Bereiche des österreichischen Sicherheitsapparats von innen. Ott – Jahrgang 1962 – trat 1982 in den Polizeidienst ein und dockte bereits in 1990ern bei der damaligen EBT (Einsatzgruppe zur Bekämpfung des Terrorismus) an. Das war quasi die Vorgängerorganisation des BVT. 2001 entsandte das Innenministerium Ott als Verbindungsbeamten nach Italien, wo er bis 2009 blieb.
Ich habe im Zeitraum von Ende 2018 bis Ende 2020 Egisto um ca. 25 Abfragen in Polizeidatenbanken gebeten. Ich habe nie direkt bezahlt. Als Gegenleistung habe ich Egisto bei seinen Kreditzahlungen geholfen. Er kam halt, wenn er kein Geld hatte.
Martin Weiss
Der Ex-Abteilungsleiter im BVT arbeitete für Jan Marsalek
Danach war er bis 2012 Verbindungsbeamter in der Türkei. Dort kam es zu Verwicklungen, als Ott – eigenen Darstellungen zufolge – versucht hatte, dem Getränkekonzern Red Bull „uneigennützig als Privatperson“ in einer Angelegenheit zu helfen. Ott wurde angezeigt und abberufen. Er selbst hat die Vorwürfe immer bestritten und sieht sich als Opfer einer Intrige. Die Ermittlungen wurden eingestellt, doch der Karriereknick war Realität.
Nach der Rückkehr aus der Türkei werkte Ott auf verschiedenen Positionen im BVT. Bis ein befreundeter Partnerdienst Hinweise lieferte, dass Informationen auf einen privaten E-Mail-Account Otts abgeflossen seien. Ott wurde im November 2017 – zunächst vorläufig – suspendiert und vom BVT angezeigt. Die Staatsanwaltschaft Wien nahm Ermittlungen auf, bald stand der Verdacht der Russland-Spionage im Raum.
Einen starken Schub erhielten diese Ermittlungen Anfang 2021, als der frühere BVT-Abteilungsleiter Martin Weiss, dessen persönlicher Assistent Ott einige Monate lang gewesen sein soll, in Zusammenhang mit der Flucht des früheren Wirecard-Vorstands Jan Marsalek kurzfristig festgenommen und als Beschuldigter befragt wurde. Weiss hatte das BVT 2018 verlassen und in Marsaleks Umfeld angedockt.
In seiner Einvernahme sagte er unter anderem, er habe Ott für Marsalek gebeten, Personenabfragen durchzuführen: „Ich habe im Zeitraum von Ende 2018 bis Ende 2020 Egisto um ca. 25 Abfragen in Polizeidatenbanken gebeten. Ich habe nie direkt bezahlt. Als Gegenleistung habe ich Egisto bei seinen Kreditzahlungen geholfen. Er kam halt, wenn er kein Geld hatte.“
Egisto Ott, Martin Weiss, Jan Marsalek und Abfragen in Polizeidatenbanken ohne dienstliche Veranlassung: Das ist ein wesentlicher Kern des Russland-Spionagevorwurfs, der demnächst vor Gericht verhandelt werden könnte. Die Grundvorwürfe hat die Staatsanwaltschaft Wien per Pressemitteilung bekannt gemacht. Aus Ermittlungsakten der vergangenen Monate und Jahre, die profil vorliegen, lassen sich auf dieser Basis durchaus genauere Rückschlüsse ziehen – insbesondere aus einer Festnahmeanordnung gegen Ott aus dem Jahr 2024.
Eine detaillierte Anfrage von profil zur nunmehrigen Anklage wollten Otts Anwälte nicht beantworten. Zuvor hatten sie in einer allgemeinen Stellungnahme betont, ihr Mandant sei „ein verdienstvoller Verfassungsschützer“. Das Verfahren werde für Ott und seinen Mitangeklagten „gut ausgehen“, so die Verteidiger: „Die Beweisführung der Staatsanwaltschaft ist ähnlich dürftig wie beim letzten Freispruch.“
Moskaus langer Arm
Laut Presseaussendung der Anklagebehörde soll Ott „im Zeitraum 2017 bis 2021 geheime Tatsachen und eine Vielzahl an personenbezogenen Daten aus polizeilichen Datenbanken“ gesammelt haben. Welche Personen dies betrifft, ist nicht näher angeführt.
Der russische Nachrichtendienst hat ein Interesse daran, dass staatlicher Druck auf die gesuchten Personen ausgeübt wird und diese lokalisiert werden. Dieses Interesse förderte Chefinspektor Egisto Ott mit seinen Anfragen.
Staatsanwaltschaft Wien
in ihrer Festnahme-Anordnung gegen Ott
Im Ermittlungsverfahren ortete die Staatsanwaltschaft jedoch auffällige Russland-Bezüge. Die „gehäufte Anzahl an Abfragen“ zu „Personen russischer Herkunft bzw. mit starkem Bezug zu russischen Interessen und russischen staatlichen Stellen“ lasse sich mit Otts damaliger Funktion im Innenministerium nicht erklären, schrieben die Ermittler im Vorjahr in der Festnahmeanordnung.
Gegen abgefragte Personen bestünden Vorwürfe in Russland oder sie hätten ein Naheverhältnis zum russischen Geheimdienst und zur russischen Politik. „Der russische Nachrichtendienst hat ein Interesse daran, dass staatlicher Druck auf die gesuchten Personen ausgeübt wird und diese lokalisiert werden“, hielt die Staatsanwaltschaft fest: „Dieses Interesse förderte Chefinspektor Egisto Ott mit seinen Anfragen.“ Außerdem würden Dokumente und Infos, die Ott zur Durchführung der Abfragen erhalten habe, darauf hindeuten, dass der Auftraggeber Otts mittelbar der russische Nachrichtendienst gewesen sei.
Zentraler Angelpunkt beim Russland-Verdacht ist Jan Marsalek. Der einstige Wirecard-Vorstand gilt mittlerweile als Agent Moskaus. Ott habe Personendaten gesammelt, um diese „an Jan Marsalek und unbekannte Vertreter des russischen Nachrichtendienstes“ zu übermitteln, heißt es in der Presseaussendung zur nunmehrigen Anklage.
Außerdem soll Ott im November 2022 einen Laptop, „auf dem eine nicht öffentlich bekannte, von EU-Staaten verwendete elektronische Sicherheitshardware für sichere elektronische Kommunikation gespeichert war“ gegen 20.000 Euro im Auftrag Marsaleks „an einen unbekannten Mittäter“ übergeben haben. Der Laptop sei in weiterer Folge „einem russischen Nachrichtendienst ausgehändigt“ worden.
Jan Marsalek also. Der einstige Vorstand des zusammengebrochenen Zahlungsdienstleisters Wirecard soll ein Agentennetzwerk in Europa angeführt haben. Der Bulgare Orlin Roussev, Anführer dieser Bande selbsternannter „Minions“, also Lakaien, fasste in einem Prozess in London trotz Geständnisses zehn Jahre und acht Monate hinter Gittern aus. Die Bande spähte unter anderem eine US-Militärbasis nahe Stuttgart aus, spionierte dem Putin-kritischen Investigativjournalisten Christo Grozev in Wien hinterher und wälzte sogar Überlegungen, diesen zu entführen oder zu töten.
In Österreich laufen wiederum Ermittlungen gegen eine Bulgarin, die mit der Bande in Kontakt stand und mehrere Personen in Österreich bespitzelt haben soll – darunter profil-Chefredakteurin Anna Thalhammer, die Egisto Ott seit Langem auf der Spur ist. Der Ex-BVTler ging zuletzt rechtlich gegen Thalhammer vor: Das Teilen eines bestimmten Tweets Grozevs habe seine Menschenwürde verletzt, so die Behauptung. Das Verfahren läuft.
„Minions“ in Wien
Zurück nach London: Dass die „Minions“ im Dienste Marsaleks standen, zeigen laut britischer Anklage rund 80.000 Nachrichten zwischen Roussev und Marsalek. Soweit bisher bekannt, liegt den Ermittlungsbehörden keine direkte Kommunikation zwischen Egisto Ott und Jan Marsalek vor. Doch eine Adresse in Wien verbindet Ott mit den Londoner Chats.
„Die Telefone sind bereit zum Abholen in Wien“, schreibt Marsalek laut Ermittlern am 9. Juni 2022 an Roussev. Die Ermittler gehen davon aus, dass damit drei Handys aus dem Innenministerium gemeint sind, die von einem anderen BVT-Mitarbeiter abgezweigt worden sein sollen und bei Ott landeten. Eines der Geräte gehörte Michael Kloibmüller, einst mächtiger Kabinettschef mehrerer ÖVP-Innenminister.

Die Telefone sind bereit zum Abholen in Wien.

Die Idee ist, dass unser Mann die Adresse besucht, anläutet und sagt, dass er von DHL ist.

cool
- Wie lautet die Adresse
- welche Klingel? wie oft läuten...
- 2..3...4 Mal läuten?
also....[er] wird sagen, dass er von DHL ist... (irgendein Passwort) oder ist DHL das Codewort?

Fabelhaft

Er muss ein Dokument vom "Apple International Repair Service" vorzeigen. Ich werde das heute Nacht fälschen.

Einfach anläuten und sagen, er ist von DHL, um ein Paket aufzunehmen. Dann an der Türe das Apple-Dokument zeigen, das Paket nehmen und rennen
Im Juni 2022 dirigiert Jan Marsalek einen seiner „Minions“ also dazu, Handys abzuholen – und zwar just an der Adresse eines Familienangehörigen Otts mitten in Wien. „Wir müssen den Zeitpunkt vorab koordinieren, damit jemand ‚zuhause‘ ist“, schreibt Marsalek. Gegen 12.45 Uhr soll die Übergabe am 10. Juni 2022 stattgefunden haben. Marsaleks Mann kam den Londoner Chats zufolge als Mitarbeiter des Lieferdienstes DHL verkleidet – und sollte neben den Handys später in Wien noch ein paar Sachertorten besorgen.

Guten Morgen

Wo soll das Paket abgeholt werden...

Einen Moment

[XXXX]strasse [XX]/[XX]/[XX]
[PLZ] Wien
[X]. Stock
"[NAME VON OTTS VERWANDTEN]"

Wir müssen den Zeitpunkt vorab koordinieren, damit jemand ‚zuhause‘ ist

Welche Zeit passt den Typen?
Die Handy-Angelegenheit findet in der rudimentären Darstellung der Anklagepunkte in der Presseaussendung der Staatsanwaltschaft Wien übrigens keine Erwähnung. Sie scheint davon also nicht umfasst zu sein. Sehr wohl angeklagt ist aber die erwähnte Sache mit dem Spezial-Laptop.
Der Verdacht, wie er sich aus dem Ermittlungsverfahren auf Basis der Chats ergibt: Marsaleks Bulgaren-Truppe aus London nutzte wiederum die Adresse des Familienangehörigen Otts für die Übernahme eines der sogenannten SINA-Laptops. Die Bulgaren sollen ihn für 20.000 Euro ausgehändigt bekommen haben.
Einen Monat später teilte Roussev Marsalek per Chat-Nachricht mit: „Der Laptop ist gerade ohne Probleme durch den Zoll und ist im Auto auf dem Weg nach Lubyanka.“ Lubyanka ist der Name des ehemaligen KGB-Hauptquartiers in Moskau. Heute sitzt darin der russische Inlandsgeheimdienst FSB.

Der Laptop ist gerade ohne Probleme durch den Zoll und ist im Auto nach Lubyanka.

Die Batterie für den Laptop ist im Laptop?

Unglaublich, danke dir!

Sie ist nicht entfernbar

Iran wird ein glücklicher Käufer sein.
Wie gelangte die Wiener Adresse zu Jan Marsalek? In der Festnahmeanordnung aus dem Vorjahr schrieben die Ermittler, es stehe fest, dass Marsalek „regelmäßigen engen Kontakt“ mit Martin Weiss gehabt habe. Dieser wiederum habe Ott „Aufträge zur Durchführung“ übermittelt, die ursprünglich „teils von Jan Marsalek“ stammten. Daher müsse davon ausgegangen werden, dass die Verwendung der konkreten Wohnung „nur im Einvernehmen und Wissen“ Otts erfolgt sein könne „und dies mit einem Zufall nicht erklärbar ist“.
Bei einer Einvernahme als Beschuldigter hat Ott betont, dass seine Familienmitglieder mit alldem nichts zu tun gehabt hätten. Er, Ott, habe einen Schlüssel zur Wohnung gehabt und im Sommer den Pool auf dem Dach genutzt: „Möglicherweise habe ich auch die Wohnung als Kontaktadresse bekannt gegeben.“ Die Übergabe der Handys und die Entgegennahme von Bargeld bestritt Ott. Die Handys, die ihm – seinen Angaben zufolge – anonym im Briefkasten hinterlegt worden seien, habe er „mit dem Fäustel zerschlagen“.
Bezüglich der SINA-Laptops erklärte Ott, von mehreren derartigen Geräten zu wissen. Eines davon wäre im Ausland, jedoch nicht in Russland. Sie wären – sinngemäß – für die interne Kommunikation in einem investigativjournalistischen Projekt angeschafft worden. Es handle sich dabei jedoch um keine geheimdienstliche Gruppierung.
Ott könnte bald die Gelegenheit bekommen, das alles – und noch viel mehr – den Geschworenen zu erklären. Gelingt es ihm, zumindest vier davon zu überzeugen, geht er frei. Setzt sich die Staatsanwaltschaft durch, drohen ihm bis zu fünf Jahre Haft.
Stefan Melichar
ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ). 2022 wurde er mit dem Prälat-Leopold-Ungar-Journalist*innenpreis ausgezeichnet.

Max Miller
ist seit Mai 2023 Innenpolitik-Redakteur bei profil. Schaut aufs große Ganze, kritzelt gerne und mag Grafiken. War zuvor bei der „Kleinen Zeitung“.