Morgenpost

„Ein Paradebeispiel für investigativen Journalismus“

Eine profil-Recherche zu einem umstrittenen Projekt der OMV im Sudan und eine Reportage über einen im Kongo geborenen Gardesoldaten wurden bei den diesjährigen Prälat-Leopold-Ungar-Journalist*innenpreisen ausgezeichnet. Und: Gerald Fleischmann ist wieder da.

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Aus österreichischer Sicht war der Fall lange erledigt, wenn er denn je als Fall gesehen worden war. 2004 hatte sich die teilstaatliche OMV aus einem umstrittenen internationalen Ölprojekt im südlichen Sudan zurückgezogen, nachdem NGOs mit Blick auf die Menschenrechtssituation im Land zunehmend scharfe Kritik geübt hatten. Mit dem (gewinnbringenden) Ausstieg aus dem Projekt hatte sich die OMV eines Imageproblems entledigt, das öffentliche Interesse an den früheren Vorgängen im Sudan verebbte alsbald.

Doch diese Geschichte war nicht annähernd zu Ende erzählt worden, wie Stefan Melichar und ich 18 Jahre später feststellen mussten.

Anfang 2022 wandte sich unser hochgeschätzter Kollege Ola Westerberg aus Schweden an uns. Ola ist einer der herausragenden Investigativ-Journalisten des Landes, mit dem wir seit Jahren auch im Verbund des International Consortium of Investigative Journalists vertrauensvoll zusammenarbeiten.

Kurz zuvor hatte die Nationale Staatsanwaltschaft Schwedens Anklage gegen zwei Vertreter des schwedischen Lundin-Konzerns erhoben, einst einer der internationalen Partner der OMV im Sudan. Die Anklage lautete auf Beihilfe zu schweren Kriegsverbrechen. Keine alltägliche Sache also.

Ausgehend von schwedischen Gerichtsakten begannen wir gemeinsam zu recherchieren, Ola Westerberg in Schweden, wir in Österreich; heraus kam ein langer Text, den wir am 2. Juli dieses Jahres online stellen: „Öl, Blut, Gier – Die Akte OMV-Sudan“ (die Visualisierung verantwortete unser wunderbarer Online-Chef Sebastian Pumberger).

Tod und Leid im Bürgerkriegsgebiet

Wir konnten aufzeigen, wie skrupellos sich Ölkonzerne damals an Leid und Tod in Afrika bereicherten – und wir konnten den Opfern so auch wieder eine Stimme geben. Deshalb sind wir schließlich Journalisten geworden.

Dass unsere Arbeit am vergangenen Dienstagabend mit dem Prälat-Leopold-Ungar-Journalist*innenpreis in der Kategorie Online ausgezeichnet wurde, hat uns dann allerdings doch ein bisschen stolz gemacht. Der von der Caritas der Erzdiözese Wien und der Raiffeisen-Holding Niederösterreich-Wien vergebene Preis prämiert alljährlich herausragende journalistische Leistungen, die sich mit sozialpolitischen Themen wie Armut, Migration und Flucht auseinandersetzen. Die Begründung der Jury wollen wir Ihnen nicht vorenthalten:

„,Öl, Blut, Gier – Die Akte OMV-Sudan‘ ist ein meisterhaftes Beispiel dafür, wie vernetzte Recherche funktionieren kann. Die Profil-Redakteure Michael Nikbakhsh und Stefan Melichar haben gemeinsam mit dem schwedischen Investigativ-Journalisten Ola Westerberg diese bestürzende Story verfasst, Sebastian Pumberger hat sie online umgesetzt. Sie enthüllt, wie skrupellos sich Ölkonzerne an Leid und Tod in Afrika bereicherten – darunter die OMV. Auf Basis Tausender Aktenseiten wird ein tiefer Einblick in die Rolle des heimischen Ölkonzerns gewährt, die er einst im südsudanesischen Bürgerkriegsgebiet gespielt hat. Der Artikel zeichnet sich durch eine beharrliche Recherche aus, an deren Beginn es noch höchst ungewiss war, ob sich neue Erkenntnisse gewinnen lassen. Ein Paradebeispiel für investigativen Journalismus.“ 

Der Populist und der Gardesoldat

Die Freude ist umso größer, als mit Clemens Neuhold ein weiterer Kollege ausgezeichnet wurde. Neuholds Bericht „Viktor Orbán und Soldat Musasa“ erhielt einen Anerkennungspreis in der Kategorie Print. „Neuhold gelingt mit seinem Text, die große Welt der Politik in der kleinen Welt eines österreichischen Gardesoldaten zu spiegeln“, schreibt die Jury in ihrer Begründung und: „Gekonnt stellt er den Populismus des ungarischen Regierungschefs Orbán der Realität einer österreichischen Einwanderungsgesellschaft gegenüber. Stellvertretend für diese diverse Realität steht der gebürtige Kongolese Yvrel Musasa, der als einjähriges Kind gemeinsam mit seinen Eltern aus dem Kongo geflohen war und heute in Österreich als Berufssoldat im Einsatz ist – unter anderem auch als Gardist, um Staatsgast Orbán mit allen militärischen Ehren in der Bundeshauptstadt zu empfangen. In dem Porträt reflektiert Musasa über Orbán, Rassismus in Österreich und Identität. Ein Grenzsoldat, der die Grenzen von oft sehr ideologisch geführten Debatten teils gelassener und anders zieht – ein Spiegel unserer diversen Gesellschaft und eines diversen Heeres.“

Und weil wir es keinesfalls bei Eigenlob belassen wollen, sei auch den übrigen Ausgezeichneten herzlichst gratuliert: In der Kategorie Print ging der Hauptpreis an Soraya Pechtl vom „Falter“, die Kategorie Radio holte Matthias Däuble (Ö1), die Kategorie Fernsehen Vanessa Böttcher (ORF2), weitere Anerkennungspreise gingen an Lisa Kreutzer („Tagebuch“), Lisa Breit („Der Standard“), Rosa Lyon (ORF), Ajda Sticker (ORF), Amra Duric („Heute“), Laurin Lorenz und Christopher Lettner („Der Standard“ Online/Multimedia), Podcasterin Delna Antia-Tatic, Juliane Nagiller (Ö1), Veronika Zoidl und Julia Polczer (Ö1) sowie Miriam Steiner (Ö1).

Alleinstellungsmerkmal Kronzeuge

Abschließend noch eine Nachricht aus einem Paralleluniversum. Der frühere Medienbeauftragte von Sebastian Kurz ist wieder da. Gestern gab die ÖVP bekannt, dass Gerald Fleischmann die Leitung der reorganisierten Kommunikationsabteilung übernimmt. Das ist insofern interessant, als Fleischmann von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) als Beschuldigter in der Beinschab-Umfrageaffäre geführt wird (wir berichteten ausführlich). Fleischmann bestreitet die Vorwürfe, es gilt die Unschuldsvermutung.

Die Personalie darf durchaus als Absichtserklärung verstanden werden, dem Narrativ von Thomas Schmid etwas entgegenzusetzen, was auch immer das sein mag. Ein anderes Signal war ja der Ausschluss Schmids aus der ÖVP. Thomas Schmid hat sich der WKStA bekanntlich als Kronzeuge angeboten, als bisher Einziger aus dem einstigen Umfeld von Sebastian Kurz. Das wird vermutlich sein Alleinstellungsmerkmal bleiben.

Michael   Nikbakhsh

Michael Nikbakhsh

war bis Dezember 2022 stellvertretender Chefredakteur und Leiter des Wirtschaftsressorts.