Eine Frau mit Kopftuch auf der Straße vor ihren zwei Kindern mit verpixeltem Gesicht
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Nachricht aus Gaza: „Bin am Leben, aber so erschöpft“

Seit Monaten schickt mir Asma Mustafa Sprachnachrichten aus Gaza. Wie geht es mit ihr weiter?

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Während die neue israelische Offensive über Gaza Stadt rollt, starre ich auf die Bilder von den Menschenkolonnen, die unter Matratzen, Stühlen und Stoffbündeln in Konvoi aus Gaza flüchten und versuche immer wieder vergebens, eine Frau in den Massen zu erkennen, der ich noch niemals begegnet bin. Ihr Name ist Asma Mustafa, geboren und aufgewachsen in Gaza, 38 Jahre alt. Im Jahr 2020 wurde die zweifache Mutter mit dem indischen AKS Education Award als weltbeste Lehrerin ausgezeichnet, im Mai nahm ich erstmals Kontakt mit ihr auf, damals erzählt sie mir noch von der Nahrungsnot, unter der sie und ihre Töchter litten und von der Furcht vor den israelischen Angriffen. „Letzte Nacht schien der Himmel in Flammen zu stehen und die Erde schloss sich um ums,“ schilderte sie eine ihrer Nächte im Mai. „Es war, als würden wir Angst atmen.“

Asma Mustafa und ich stehen seither mehrmals die Woche in Kontakt, meistens schickt sie mir minutenlange Sprachmessages. Manchmal klang ihre Stimme satt und voller Zuversicht, manchmal hungrig und blechern. Mal sagte sie Dinge wie: „Ich stehe fest auf dem Boden meiner Prinzipien. Ich bin verwurzelt auf den rechten und edlen Prinzipien, mit denen ich aufgewachsen bin. Gott sei Dank, ich danke Allah, dass mein Innerstes rein ist. Ich bin froh, dass es meinen Töchtern gut geht, Gott sei Dank. Alles wird gut werden, aber ich muss kämpfen, um zu überleben. Es ist ein schweres Leben. Du muss hart arbeiten, um zu überleben, du musst kämpfen, um deine Töchter am Leben zu erhalten, sie gesund, lachend und sauber zu halten. Das sind meine Mädchen, gesund, sauber, optimistisch, wunderbar – ich bin so stolz auf sie.“

Und dann wieder: „Ich bin am Leben, aber so erschöpft. So erschöpft von all den alltäglichen Aufgaben. Seit nahezu zwei Jahren lebe ich ohne Strom, jeden Tag. Ich wasche unsere Wäsche mit der Hand, ich koche über offenem Feuer. Heute habe ich meinen Töchtern Nüsse gekauft, seit sechs Monaten hatte ich keine Nüsse gesehen, sie nicht gerochen. Ich vermisse Nüsse. Ich wünschte, ich könnte ein Cola haben oder Pepsi.“

Vor wenigen Tagen war Asma Mustafa mit ihren Töchtern noch im Westen Gazas, nahe des Strandes. Sie erzählte, dass Israel die Menschen warne, die Stadt zu verlassen, doch sie könne das alles nicht schon wieder auf sich nehmen, nicht zum zehnten Mal in knapp zwei Jahren flüchten; sie könne nicht schon wieder all ihre Habseligkeiten zurücklassen, das letzte Mal nahm sie lediglich Handy und Laptop mit. Sie habe kein Geld, um Geschirr, Decken, Kleidung, Schuhe zu kaufen. Im Süden könne man nicht einmal mehr Zelte erwerben, meinte sie, sie könne sich auch keine Miete leisten. Die Ruinen werden weiterhin vermietet, teilweise zu horrenden Preisen. Asma Mustafa erzählte von einem „Mietanbot“ im Süden Gazas: 1500 Dollar Monatsmiete für zwei Zimmer. „Ich bleibe hier, ich gebe auf, ich kann nirgends hingehen.“

600.000 Menschen sollen sich weiterhin in Gaza befinden, die Regierung des israelischen Premiers Benjamin Netanjahu rechtfertigt das erneute Manöver damit, dass die israelischen Streitkräfte die Machtbasis der Terrororganisation Hamas in der Hauptstadt ausschalten wolle. Unterdessen jedoch gibt es immer weniger Verständnis für das Vorgehen Israels, nicht nur international, wo immer mehr Stimmen sagen, dass es sich beim Vorgehen der Regierung um  Genozid handle, wie kürzlich auch eine Kommission, die im Auftrag der Vereinten Nationen ihre Einschätzung ablieferte – auch in Israel sind 70 Prozent der Bevölkerung für einen Waffenstillstand.

Vergangenen Donnerstag meldete sich Asma aus dem Al Nuseirat Camp südlich von Gaza.  „I left Gaza City“, schrieb sie knapp.

Eine Woche lang kam keine Nachricht mehr von ihr, gestern meldete sie sich dann: Ich spüre, dass mein Körper diese ganze Erschöpfung nicht mehr erträgt. Zwei Jahre lang war ich ständig unterwegs, habe meine Habseligkeiten von einem Ort zum anderen geschleppt, als trüge ich mein ganzes Leben auf dem Rücken. Jetzt habe ich Schmerzen; Rückenschmerzen, die mich bewegungsunfähig machen. Ich weiß nicht, ob es ein Bandscheibenvorfall ist oder einfach nur meine erschöpften Muskeln. Ich nehme täglich Vitamine in der Hoffnung, dass sie mir Kraft geben, aber die Schmerzen werden immer stärker, als würde mein Körper schreien, was mein Mund nicht aussprechen kann: Ich kann diese Last nicht mehr ertragen – weder in meiner Seele noch in meinem Rücken."

Nina Brnada

Nina Brnada

Redakteurin im Österreich-Ressort. Davor Falter Wochenzeitung.