Rot für Kopftuchverbot: Wie die SPÖ ihre Wurzeln wieder entdeckte
Wer die ersten Wiener Gemeindebauten aus den 1920er Jahren genauer betrachtet, kann darauf Statuen nackter Männer und Frauen im griechischen Stil entdecken. Die barbusigen Frauen sind in Stein gemeißelte Symbole für die starke, stolze Arbeiterin und Mutter im roten Wien, die sich gegen das konservative Frauenbild des Bürgertums und der Kirche richtete. Wie passt dieses Idealbild (in der Realität konnten Arbeiter ganz schön konservativ und patriarchisch sein, wie Bürgermeister Michael Ludwig erinnert) mit dem Frauenbild streng konservativer Muslime zusammen, das auf Geschlechtertrennung und Verhüllung gepolt ist? In einer Zeit, in der immer mehr Gemeindebaubewohner Muslime sind?
Vor dieser Grundsatzfrage drückte sich die SPÖ lange, weil sie den ebenfalls historischen Kampf gegen den Faschismus höher gewichtete. Und dazu zählte: Muslime gegen alle Angriffe von Rechtspopulisten zu verteidigen. Die eigenen historischen Werte von Gleichberechtigung, Emanzipation und Anti-Klerikalismus ganz offen und laut auch in die Wohnzimmer konservativer Muslime zu tragen, hatte keine Priorität. Das passierte eher nur im Versteckten. Dafür gab die heutige Finanzstadträtin Barbara Novak in einem Interview 2018 ein Beispiel. Als Bezirksrätin in Döbling klärte sie muslimische Mütter in der Gemeindebau-Sprechstunde darüber auf, dass ihre Töchter ohne Kopftuch mehr Chancen hätten am Arbeitsmarkt.
Die Grundsatzrede des Philip Kucher
Doch spätestens seit der großen Fluchtbewegung 2015 haben konservative bis fundamentalistische Strömungen einen Einfluss auf die Gesellschaft in den Städten gewonnen, dem sich auch die SPÖ langsam stellen muss, wenn sie sich treu bleiben will - besonders sichtbar und spürbar in den Wiener Schulen.
Am Mittwoch knüpfte SPÖ-Klubobmann Philip Kucher bewusst an historische Ideale an. Bei der Präsentation des Kopftuchverbots für Schülerinnen bis 14 meinte er, es sei die SPÖ gewesen, die gegen den Widerstand von reaktionären Kräften und Kirche fundamentale Frauenrechte wie das Recht auf Abtreibung oder das Sexualstrafrecht durchgesetzt habe. Er sei nicht bereit, all diese Errungenschaften neu zu verhandeln. Und gemeint war: Neu gegenüber konservativen Muslimen.
Es gebe Druck auf Mädchen, meist von Vätern, Brüdern und Gleichaltrigen, das Kopftuch zu tragen, so Kucher. Mit dem Kopftuchverbot gehe es darum, allen Kindern in Österreich die gleichen Chancen zu ermöglichen.
Die SPÖ hat sich in dieser Frage neu erfunden und ist doch wieder ein Stück die alte geworden.