Wahlen in Syrien: Neustart ohne Bürgerbeteiligung

In Syrien wird ein Parlament gewählt, aber die Syrerinnen und Syrer spielen dabei keine Rolle. Wieso die Wahlen dennoch ein Schritt in die richtige Richtung sind.

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Kommende Woche finden in Syrien Parlamentswahlen statt, die ersten seit dem Sturz des Assad-Regimes im vergangenen Dezember. Damals kollabierte ein System, mit dem das Land mehr als fünf Jahrzehnte lang totalitär regiert wurde. Am 8. Dezember 2024 eroberten Rebellen die Hauptstadt Damaskus und stürzten die Regierung. Präsident Baschar al-Assad und seine Familie flohen nach Russland.

Das Sagen hat seither Ahmed al-Scharaa, der Anführer der islamistischen Rebellengruppe HTS. Er ernannte sich zum Übergangspräsidenten und kündigte an, innerhalb der kommenden vier Jahre eine neue Verfassung fertigstellen zu wollen. 

Kommende Woche, von 25. Bis 27. September, soll in Syrien ein neues Übergangsparlament gewählt werden. Die Volksversammlung in Damaskus soll künftig 210 Mandatare haben, 60 mehr als bisher. Direkt gewählt wird nicht, und der Prozess ist ausgesprochen kompliziert. 

Die Hintergründe hat mir Naseef Naeem erklärt, Experte für arabisches Staats- und Verfassungsrecht. Das ganze Interview mit ihm lesen Sie hier. Vorab die wichtigsten fünf Punkte: 

  • Es handelt sich um indirekte Wahlen: 70 Mandatare werden durch Übergangspräsidenten Ahmad al-Scharaa ernannt,140 weitere von regionalen Wahlgremien bestimmt.
  • Ganz oben steht also immer noch der Präsident. Doch laut der im vergangenen März unterzeichneten Verfassungserklärung hat er nicht mehr die Macht, über Gesetze zu bestimmen. Das macht künftig das Parlament. „Das ist eine riesige Entwicklung", sagt dazu Naeem, und: „Eine direkte Wahl ist unter den aktuellen Umständen ausgeschlossen.“
  • Ausgeschlossen ist die von Drusen bewohnte Provinz as-Suwaida im Süden des Landes. In den  Kurdengebieten al-Rakka und al-Hasaka im Norden sollen Wahlen stattfinden, hieß es am vergangenen Freitag. Zuvor standen auch die Provinzen auf der Liste der ausgeschlossenen Gebiete.
  • Die Wahlen und der für die kommenden Jahre geplante demokratische Prozess sollen den Grundstein für eine neue Verfassung Syriens legen. Die große Frage lautet, ob in Syrien demokratische Strukturen aufgebaut werden soll. „Davon steht kein Wort in der verfassungsrechtlichen Erklärung“, sagt Naeem.
  • Amad al-Scharaa gilt zwar als Übergangspräsident, doch Präsidentschaftswahlen sind keine geplant. 

Die Mitteilung, dass die beiden Kurdengebiete im Norden doch an den Wahlen teilnehmen dürfen, kam erst am vergangenen Freitag, also recht kurzfristig, und zuvor waren die Wahlen um eine Woche verschoben worden. Weitere Überraschungen sind also nicht ausgeschlossen. 

Siobhán Geets

Siobhán Geets

ist seit 2020 im Außenpolitik-Ressort.