Morgenpost

Warum Shaked Haran und ihre Familie profil-„Menschen des Jahres“ wurden

Das Schicksal einer israelischen Familie vom 7. Oktober bis jetzt.

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Vielleicht – hoffentlich! – haben Sie sich bereits die aktuelle profil-Ausgabe besorgt! Dann wissen Sie, wer in diesem Jahr zum profil-„Mensch des Jahres“ gekürt wurde. Falls nicht: Es ist eine Familie, und zwar die rund um Shaked Haran, eine 34 Jahre alte israelische Anwältin. Drei ihrer Angehörigen wurden bei dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober dieses Jahres getötet, sieben weitere verschleppt. Sechs der Entführten wurden im Rahmen des Austauschs von Geiseln gegen palästinensische Häftlinge freigelassen. Es ist ein schweres Schicksal, das diese Familie zu tragen hat. Meine Kollegin Franziska Tschinderle hat über Wochen mit Mitgliedern dieser Familie Kontakt gehalten und erzählt deren Geschichte in dieser Cover-Story.

Warum hat sich unsere Redaktion für diese israelische Familie als „Menschen des Jahres“ entschieden?

Das Verbrechen des 7. Oktober ist aufgrund seiner Bestialität auch im Kontext jahrzehntelanger Konflikte im Nahen Osten eine historische Zäsur. Unschuldige Menschen – Familien wie die von Shaked Haran – waren das Ziel dieses kalkulierten Gewaltrauschs. Sie waren das einzige Ziel. Die Folge ist ein Krieg Israels gegen die Hamas in Gaza, der die dortige Zivilbevölkerung schwer trifft und wahrscheinlich bis jetzt schon an die 20.000 Menschen das Leben gekostet hat. Eine Frau, die im Kriegsgebiet lebt und während des Kriegs ein Kind zur Welt gebracht hat, erzählt ihre Geschichte. Wie es ihr geht, lesen hier, hier und hier.

Auch ein Übergreifen des Nahost-Konflikts auf Syrien, Iran und Libanon ist nicht ausgeschlossen. Das Verbrechen aber, das am Anfang dieser neuen Phase des Konflikts steht, wurde an Shaked Harans Familie und vielen anderen begangen – und es ist noch nicht zu Ende. Harans Schwager Tal befindet sich noch immer in den Händen der Terrororganisation Hamas.

Unsere Wahl der Menschen des Jahres lenkt den Fokus auf diese Brutalität und auch darauf, dass die Chiffre „7. Oktober“ nur den Anfang des Schreckens beschreibt, nicht aber das andauernde Leid, das die Opfer bis heute verfolgt. Wie kann die Familie die Ermordung dreier Angehöriger verkraften? Wie können die Freigelassenen das Trauma der Entführung verarbeiten? Wie kann sich die Familie über etwas freuen, solange ein Angehöriger verschleppt ist?

Das ist der zutiefst menschliche Aspekt eines Konflikts, der seit Jahrzehnten geopolitische Dimensionen hat.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur