Ärztekammer: Gütesiegel für Homoöpathie, TCM und Kneippmedizin
Homöopathie bei Erkältung, Akupunktur gegen Schmerzen oder Wassertreten zur Stärkung des Immunsystems: Alternative Heilpraktiken stehen hoch im Kurs, das haben auch einige Ärztinnen und Ärzte erkannt. Sie bieten diese Zusatzleistungen privat an, die Krankenkasse bezahlt dafür nicht. Doch dass auch die Österreichische Ärztekammer (ÖÄK) über ihre hauseigene Fortbildungsakademie Kurse in diesen Disziplinen vermittelt, sorgt bei Mitgliedern für Irritation. Denn in den allermeisten Fällen fehlt die wissenschaftliche Evidenz für diese Verfahren.
Über ihre Tochtergesellschaft, die „Akademie für Ärzte GmbH“, organisiert die Standesvertretung nicht nur Prüfungen für Fachärzte, Allgemein- oder Notfallmediziner. Sie bietet auch „ÖÄK-Diplome“ an – freiwillige Weiterbildungen in den verschiedensten Spezialisierungen. Dazu zählen etwa Alpinmedizin für die Notfallversorgung bei Bergsportunfällen oder eine schulärztliche Fortbildung für die Betreuung in Bildungseinrichtungen – Weiterbildungen, die nachvollziehbarerweise im Rahmen eines regulären Medizinstudiums zu wenig Platz finden.
Zwischen diesen Angeboten finden sich aber auch Kurse in Homöopathie, Akupunktur, Anthroposophischer Medizin, Applied Kinesiology, Chinesischer Diagnostik und Kneippmedizin. Methoden, deren Wirksamkeit nach dem heutigen Stand der medizinischen Forschung nicht belegt ist und dennoch Einzug in den Kurskatalog der Ärzteakademie gefunden haben.
Es braucht mehr Faktenwissen, um eine Würstelbude aufzumachen, als Homöopath zu werden.
Arzt, Initiative für wissenschaftliche Medizin
Das Geschäft mit der alternativen Heilpraktik boomt. Das Forschungsunternehmen IQVIA geht von rund 49 Millionen Euro an Umsätzen in Österreich aus – allein für homöopathische Arzneimittel. Die Ausbildung in diesen Disziplinen scheint daher lukrativ. Für Mediziner, aber auch für die Ärztekammer. Gut für die Standesvertretung: Die Gründung einer Akademie unterliegt keinerlei wissenschaftlichen oder rechtlichen Standards. Die Begriffe „Institut“ oder „Akademie“ sind nicht geschützt. So können auch private Anbieter – oder eben die ärztliche Standesvertretung selbst – Kurse organisieren und Zertifikate basteln.
„Es braucht mehr Faktenwissen, um eine Würstelbude aufzumachen, als Homöopath zu werden“, kritisiert Viktor Weisshäupl, Anästhesist im Ruhestand und Mitbegründer der Plattform Initiative für wissenschaftliche Medizin. Seit Jahren warnt der Evidenzmediziner vor dem wachsenden Einfluss pseudo-medizinischer Verfahren im Gesundheitswesen. „Patientinnen und Patienten haben das Recht, nach dem Stand der Wissenschaft behandelt zu werden.“
Im harmlosesten Fall hätten alternative Heilverfahren – abgesehen vom Placeboeffekt – schlicht keinerlei Wirkung. Doch damit werte die Ärztekammer die Methoden in den Augen der Patienten auf, warnt Weisshäupl. Gefährlich werde es dann, wenn Menschen zu Schaden kommen, weil notwendige medizinische Maßnahmen im Vertrauen auf die Wirkung der Pseudomedizin unterbleiben.
Universität auf Distanz
Im ÖÄK-Diplom Homöopathie erlernen Kursteilnehmer über drei Jahre die Herstellung und Anwendung von homöopathischen Arzneien. „Nach Absolvieren der Weiterbildung kann der Arzt akute und chronische Erkrankungen nach den Regeln der homöopathischen Heilkunst behandeln“, heißt es in der Kursbeschreibung, geleitet von Michael Frass – der Name ist nicht unbekannt. Frass war Universitätsprofessor an der Medizinischen Universität Wien und hielt einen Lehrstuhl für Homöopathie inne. 2019 distanzierte sich die Hochschule von Frass und seiner Lehre nach zahlreichen Beschwerden von Studierenden. Der Vorwurf: Eine homöopathische Werbeveranstaltung anstelle einer wissenschaftlichen Lehrveranstaltung.
Werden alternative Heilpraktiken nun völlig aus der akademischen Lehre gestrichen? „Das Interesse an Homöopathie existiert ja und wird von Menschen angewendet und praktiziert. Aus diesem Grund habe ich eine Lehrveranstaltung angemeldet, die zur kritischen Auseinandersetzung mit pseudowissenschaftlichen Therapieformen einlädt“, erklärt Professor Harald Sitte von der Medizinischen Universität Wien. Statt der ehemaligen Homöopathie-Lehrveranstaltung trat ab 2019 das Wahlfach „Komplementärmedizin: Esoterik und Evidenz“ an ihre Stelle – eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit alternativen Heilpraktiken und den Geschäftsmodellen dahinter.
Frass ist mittlerweile nicht mehr an der Medizinischen Universität Wien tätig – noch 2022 veröffentlichte er eine Studie zur Wirksamkeit der Homöopathie in der Krebstherapie im Fachmagazin Oncologist. Die Prüfkommission der Österreichischen Agentur für wissenschaftliche Integrität kritisierte wissenschaftliches Fehlverhalten und empfahl eine „Retraction“, das offizielle Zurückziehen der Studie – Frass beruft sich auf die Einhaltung aller wissenschaftlichen Standards. Die Überprüfung der Studie ist aktuell noch im Gange.
Ärztliche Fortbildungspflicht
Praktizierende Ärzte haben „sich laufend im Rahmen des Fortbildungsprogramms der Österreichischen Ärztekammer fortzubilden“, heißt es im Ärztegesetz – neue Technologien, pharmazeutische Innovationen und medizinische Standards sollen damit zeitnah in die Ordinationen und damit zum Patienten gelangen, „nach Maßgabe der ärztlichen Wissenschaft und Erfahrung“, wie im Gesetzestext steht.
Für die Abwicklung und auch Anerkennung von Fortbildungen ist die Ärztekammer beauftragt. Auch die Lehrinhalte in den ÖÄK-Diplomkursen können als Fortbildungsmaßnahme eingereicht werden. Wie die gesetzlich geforderte „ärztliche Erfahrung“ ausgelegt wird, ist Streitpunkt zwischen den rivalisierenden Fraktionen in der Ärzteschaft.
Im Ärztegesetz findet sich hingegen eine unmissverständliche Definition des ärztlichen Berufsbilds: „Die Ausübung des ärztlichen Berufes umfasst jede auf medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen begründete Tätigkeit.“ Dürfen dann überhaupt Inhalte ohne nachweisliche Wirksamkeit gelehrt werden?
Die moderne Medizin ist mehr als reine Naturwissenschaft. Sie ist eine Erfahrungswissenschaft
„Ja, rein juristisch“, heißt es dazu aus dem Gesundheitsministerium auf profil-Anfrage, „solange sie sich an die gebotene medizinische Sorgfalt halten.“ Andererseits richtet das Ministerium in derselben Stellungnahme aus, man setze in Sachen Konsumentenschutz hingegen auf evidenzbasierte Medizin und klare Qualitätsstandards, „diese orientieren sich an Forschung und Wissenschaft.“
Für Harald Sitte von der Medizinischen Universität Wien ist das Angebot der Diplomfortbildungskurse seitens der Ärztekammer problematisch. „Ich halte es für schwierig, Zusatzausbildungen in Pseudomethoden anzubieten und gleichzeitig die wissenschaftliche Medizin zu vertreten“, sagt er im Gespräch mit profil, „es gibt entweder eine Therapieform mit oder ohne Evidenz.“ Bedenklich sieht der Mediziner die Signalwirkung durch die Ärztekammer. Denn durch die ÖÄK-Diplome legitimiere die Ärztekammer die alternativen Heilpraktiken mit einem offiziellen Gütesiegel.
Medizin als Erfahrungswissenschaft
„Die moderne Medizin ist mehr als reine Naturwissenschaft. Sie ist eine Erfahrungswissenschaft, die sich auf fundierte Ausbildung, persönliche Expertise und die Nutzung unterschiedlicher wissenschaftlicher und therapeutischer Ansätze stützt“, hält die Ärztekammer auf profil-Nachfrage fest.
Hinter den Kulissen dürfte innerhalb der ÖÄK ein Richtungsstreit toben: Auf der einen Seite stehen Verfechter der wissenschaftlichen Evidenzmedizin, auf der anderen Befürworter und Sympathisanten der alternativen Heilpraktiken. Erstere fordern den Ausschluss von Homöopathie, Kneippmedizin und jeglichen nicht-wissenschaftlich evidenten Disziplinen.
Gegenüber profil erkennt die ÖÄK alternative Heilmethoden als legitime Lehrinhalte an. Den Begriff der „Alternativmedizin“ lehnt die Standesvertretung jedoch ab, stattdessen spricht man von „sinnvollen Ergänzungen“ – der Komplementärmedizin. Man reagiere auf die hohe Nachfrage innerhalb der Bevölkerung - immerhin werden die Heilmethoden von Ärzten mit fundierter medizinischer Ausbildung praktiziert. Damit sei die Ärzteschaft „in der Lage, diese Methoden sicher und gezielt einzusetzen“, erklärt die Ärztekammer auf profil-Anfrage. Als Standesvertretung wolle man dadurch die Patienten vor Kurpfuschern geschützt wissen.
Der Fraktion der Evidenzmediziner sind die Heilmethoden ein Dorn im Auge, wenn Kurse wie Homöopathie oder Kinesiologie mit einem Zertifikat der Ärztekammer legitimiert werden. Denn hinter den Fortbildungsangeboten vermuten Kritiker nicht nur wissenschaftliche Beliebigkeit, sondern auch einen politischen Tauschhandel innerhalb der Standesvertretung.
Der tatsächliche Einfluss komplementärmedizinischer Strömungen sei in der Ärztekammer zwar gering, sagt ein Kammerinsider. Doch in Anbetracht bevorstehender Kammerwahlen wollen es sich manche nicht mit den „Alternativen“ verscherzen. Die Bruchlinie verlaufe dabei zwischen angestellten und niedergelassenen Ärzten. Letztere zu verärgern, etwa durch das Streichen der umstrittenen Kurse, könne Sympathien und damit Stimmen kosten.
Auch wenn für die kritisierten ÖÄK-Kurse bislang keine belastbaren wissenschaftlichen Wirksamkeitsnachweise vorliegen, will die Akademie der Ärzte weiterhin entsprechende Diplome vergeben. Die Ärztekammer spricht dabei von einer „Integration des Besten aus beiden Welten“. Heißt konkret: Auch künftig werden ÖÄK-diplomierte Homöopathen, Kneippmediziner oder Kinesiologen ausgebildet – mit offiziellem Segen der Standesvertretung.