Der Fall Marcus Omofuma
#blacklivesmatter

Tödliche Polizeigewalt auch in Österreich

Nicht nur ein Problem der USA. Fälle von tödlicher Polizeigewalt in Österreich: Eine Chronologie.

Drucken

Schriftgröße

Der 46-jährige Afro-Amerikaner George Floyd wurde am 25. Mai bei einem Polizeieinsatz in der US-Stadt Minneapolis getötet. Sein Tod hat in den USA eine Welle an Protesten gegen Polizeigewalt und Rassismus ausgelöst. Die vier beteiligten Polizisten wurden mittlerweile festgenommen und angeklagt. Drei wegen Mittäterschaft, jener Polizist, der minutenlang sein Knie auf den Hals Floyds gedrückt hatte, muss sich nun wegen Mordes zweiten Grades vor Gericht verantworten. Auch in Österreich gab es immer wieder Fälle massiver Polizeigewalt gegen Schwarze und Migranten – die oft tödlich ausgingen. Einer der für die Republik prägendsten war wohl der Tod von Marcus Omofuma, der sich 2019 zum 20. Mal jährte (im Bild eine Demo 2002). Gestern wurde in Wien gegen rassistische Polizeigewalt demonstriert.

Ahmed F. - 19. Februar 1999

Ahmed F. stirbt bei einer Drogenrazzia in Wien. Der Senegalese war laut offiziellem Obduktionsbericht ohne Fremdverschulden an einer Kokainkugel erstickt, die er verschlucken wollte. Haben die Polizisten seinen Hals zugedrückt, um dies zu verhindern? Die Untersuchung der Leiche zeigt keinerlei Würgemale, Brüche oder Quetschungen.

Marcus Omofuma - 1. Mai 1999

Der nigerianische Asylwerber Marcus Omofuma soll am 1. Mai abgeschoben werden, nachdem sein Asylantrag in zweiter Instanz abgelehnt wurde. Drei Beamte sind damit beauftragt, ihn zu begleiten. Am Rollfeld des Flughafens kommt es nach Aussage der Polizisten zu massiver Gegenwehr und einem Fluchtversuch durch Omofuma. Er wird gefesselt und von den Beamten in das Flugzeug getragen, wo auch sein Mund und seine Brust verklebt werden. Laut Gutachten erstickt Omofuma innerhalb einer halben Stunde daran, obwohl immer wieder Passagiere Bedenken gegenüber den Beamten äußern.

Die Polizisten werden später vom Landesgericht Korneuburg der "fahrlässigen Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen" schuldig gesprochen und zu acht Monaten Gefängnis, bedingt auf drei Jahre, plus Ersatz der Kosten aus dem Verfahren verurteilt.

 

 

Richard Ibekwe - 3./4. Mai 2000

Der 26-jährige Richard Ibekwe wurde in der Justizanstalt für Jugendliche in der Rüdengasse in Wien-Landstraße tot an einem Tisch sitzend in seiner Zelle gefunden. Laut "Format" war Ibekwe am 29. April bei einer Razzia in einem Heim des Vereines "Soteria" in Hernals verhaftet worden. Nach Augenzeugenberichten wurde der Mann dabei von Polizeibeamten geschlagen, berichtete das Magazin.

Im Justizministerium und in der Justizanstalt wurde jedoch spekuliert, dass Ibekwe an einer Überdosis Drogen gestorben sei, so "Format" damals. Allerdings befand sich der Häftling bei seinem Tod bereits mehrere Tage im Gewahrsam der Behörden. Nach seinem Tod seien laut Polizei suchtgifthaltige Kugeln im Magen- und Darmbereich entdeckt worden. Bei zweien dürfte die Verpackung zerplatzt sein, zitiert die Website "no-racism.net" den "Standard".

Imre B. - 20. Mai 2000

Der 35-jährige Ungar Imre B. wird vor einem als "Drogenbunker" geltenden Lokal irrtümlich von einem Kriminalbeamten erschossen. Der Schütze wird wegen fahrlässiger Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen angezeigt. Sechs Jahre später stellt der Verwaltungsgerichtshof fest, dass der Schuss rechtswidrig war.

Binali I. - 31. August 2002

Binali I. wird in der Wiener Innenstadt von einem Polizisten erschossen. Der 28-Jährige, der schon länger unter schizophrenen Schüben und zeitweisem Realitätsverlust litt, hatte zuvor ein Kindermodengeschäft zu überfallen und einer älteren Passantin die Handtasche zu entreißen versucht. Zeugen beschrieben den Mann als "sehr verwirrt". Auf mehrere Polizisten machte er hingegen den Eindruck, "dass er immer aggressiver wird", wie eine Inspektorin in einer Verhandlung vor dem Wiener Unabhängigen Verwaltungssenat (UVS) darlegte. Die Polizisten wurden rechtskräftig freigesprochen. Das Gericht befand, sie hätten in Notwehr gehandelt.

Cheibani Wague - 15. Juli 2003

Die Polizei wird vom Leiter des sogenannten Afrikadorfes in den Stadtpark gerufen, weil der dort als Nachwächter beschäftigte, aus Mauretanien stammende Cheibani Wague nach einem heftigen Streit nicht zu beruhigen ist. Beim Eintreffen der Beamten und eines Rettungswagens - die Einsatzkräfte gehen von einer "tobenden Psychose" aus - scheint sich die Situation zunächst zu entschärfen. Als Wague jedoch unvermutet aus dem Rettungswagen springt und davonlaufen will, wird er von sechs Beamten und drei Sanitätern minutenlang mit bereits gefesselten Händen in Bauchlage am Boden fixiert. Der anwesende Notarzt schreitet nicht ein. Ein Herz-Kreislauf-Versagen ist die Folge. Im Spital, in das Wague Spital eingeliefert wird, wird sein Tod festgestellt. Der an der Amtshandlung beteiligte Notarzt und ein Polizeibeamter werden rechtskräftig wegen fahrlässiger Tötung verurteilt.

Edwin Ndupu - 19. August 2004

In der Justizanstalt Krems/Stein stirbt der Nigerianer Edwin Ndupu laut Obduktionsbericht "an einer Fettembolie, ausgelöst durch selbst zugefügte Verletzungen" (Presseaussendung des Justizministeriums). Der "Falter" meldet später jedoch Zweifel an dieser Todesursache an. Es steht der Vorwurf im Raum, dass Ndupu vor seinem Tod Justizwachebeamten verprügelt worden wäre. Justizministerin Karin Miklautsch (heute Gastinger), FPÖ, später BZÖ, gab in einer Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage aus dem Obduktionsbericht an: "Der Tod des Strafgefangenen trat durch ein multifaktoriell ausgelöstes Herzversagen infolge der stressbedingten Belastung des Herzens aufgrund des psychischen Erregungszustandes und einer wegen der selbst zugefügten Verletzungen entstandenen Fetteinschwemmung in der Lunge (Fettembolie) ein." Die anderen Verletzungen kämen vom "Toben und dem massiven Umherschlagen". Ndupu habe zuvor Justizbeamte und einen anderen Strafgefangenen angegriffen. Sie belobigte die Beamten während des laufenden Verfahrens. Gastinger ist heute Richterin am Bundesverwaltungsgericht.

Yankuba Ceesay - 4. Oktober 2005

Der Häftling war in Wien wegen eines Drogendelikts verurteilt und im September bedingt aus der Haft entlassen worden. Da seine Identität nicht bekannt war, kam er in Schubhaft und wurde aus Platzgründen nach Linz überstellt. Ceesay verweigerte ab 28. September die Aufnahme von fester Nahrung.

Bei einer Untersuchung im AKH trat er angeblich eine Krankenschwester mit den Füßen. Er landete daraufhin wieder im Polizeianhaltezentrum der Bundespolizeidirektion. Dort wurde er wegen seines aggressiven Verhaltens in einer Sicherungszelle untergebracht, wo er schließlich bei einem Kontrollgang tot aufgefunden wurde. Er war verdurstet.

Der Unabhängige Verwaltungssenat (UVS) in Linz stellte später fest, dass die Schubhaft "rechtswidrig" war.

Schwer verletzt wurden

Bakary J.

Der Schubhäftling Bakary J. wird am 7. April 2006 in einer Lagerhalle in Wien-Leopoldstadt misshandelt und schwer verletzt. Der 33-jährige Gambier erleidet laut Gutachten umfangreiche Frakturen von Jochbein, Kiefer und Augenhöhle. Laut Bakary J. kommt es zu der Misshandlung nach seiner gescheiterten Abschiebung, er wird demnach von dem Beamten geschlagen, gedemütigt, überfahren und mit dem Tod bedroht. Vier WEGA-Beamte werden zu mehrmonatigen bedingten Haftstrafen verurteilt. Sie dürfen weiter Polizeidienst verrichten – allerdings nur Innendienst. Weiters erhalten sie von der Disziplinarkommission der Wiener Polizei Geldstrafen, ihre Suspendierung wird aufgehoben. Im Herbst 2008 drohte ihnen nach einem Entscheid des Verwaltungsgerichtshofes neuerlich zumindest die Suspendierung. 2012 werden drei Beamte endgültig aus dem Polizeidienst entfernt.

Mike Brennan

Am 11. Februar 2009 wird Mike Brennan, ein Lehrer afroamerikanischer Herkunft, in der U4 von Polizisten niedergeprügelt und schwer verletzt. In derselben Garnitur, in der gebürtige US-Amerikaner unterwegs war, befanden sich mehrere Drogenfahnder in Zivil, die mutmaßliche Suchtgifthändler observierten, sowie ein Verdächtiger dunkler Hautfarbe, der Brennan ähnlichgesehen haben dürfte.

Als der Sportlehrer ausstieg, brachte einer der Polizisten ihn am Bahnsteig zu Boden, weil - wie der Beamte später aussagte - er diesen für den ihm von Kollegen beschriebenen Verdächtigen hielt und Brennan der Aufforderung zur Ausweisleistung nicht nachgekommen sei. Der an der Vienna International School tätige Sportlehrer blieb mit Brüchen zweier Lendenwirbelkörper-Querfortsätze, einer Rippen- und Schädelprellung sowie eine Zerrung der Nackenmuskulatur liegen. Der Polizist habe sich ihm nicht als solcher zu erkennen gegeben und auch keinen Ausweis verlangt, behauptete Brennan. Der Beamte wurde wegen fahrlässiger Körperverletzung verurteilt.

Das Wiener Oberlandesgericht (OLG) hat später die vom Erstgericht über den amtshandelnden Polizeibeamten verhängte Geldstrafe reduziert. Der Berufung des 38-Jährigen gegen seine Verurteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung wurde teilweise Folge gegeben, die Anzahl der Tagessätze mit 60 statt ursprünglich 100 bemessen und die Strafe damit von 2800 auf 1680 Euro reduziert.