Interview

Corona: "Österreich ist ein Träumelein-Land"

Wie umgehen mit Verschwörungstheoretikern und Corona-Leugnern? Welche Lehren sind aus Fehlern in der Pandemie zu ziehen? Die Regierung will dazu einen Corona-Dialog starten. Virologin Dorothee von Laer, Simulationsforscher Niki Popper und Ex-Gesundheitsminister Rudolf Anschober ziehen Bilanz.

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Herr Anschober, Sie hatten gerade Corona. Wie geht es Ihnen?
Anschober
Ich war mit einem schweren Bandscheibenvorfall im Spital, dort hat es mich zum ersten Mal erwischt. Es war eher milde, ich bin vier Mal geimpft.
Popper
Ich hatte vorigen Sommer Corona.
Von Laer
Mich will das Virus nicht. Vielleicht habe ich zu oft schlecht darüber geredet. profil: Die Pandemie ist an sich vorbei
Popper
Die Weltgesundheitsorganisation hat sie nicht für beendet erklärt. Manche wünschen sich das; sie ist mittlerweile Teil der gesamten Gesundheitsproblematik, auch in Österreich. Mir fehlt im Corona-Diskurs ein bisserl die Exaktheit.
Tragen Sie noch Masken?
Popper
Ich trage oft Maske, wenn ich mit vielen Menschen in engen Räumen bin. Das mache ich freiwillig, weil es sinnvoll ist. Eine Maskenpflicht wäre nicht effektiv. In Österreich wurde zu viel mit Pflicht abgehandelt.
Von Laer
Ich habe kein Problem damit, wenn auch einmal etwas vorgeschrieben ist. Viele Menschen haben nicht verstanden, dass man, auch wenn man selbst stark ist, die Maske zum Schutz anderer trägt.
Anschober
Ich bleibe auch vorsichtig und trage Maske etwa in öffentlichen Verkehrsmitteln. Allerdings gehöre ich damit zu einer kleinen Minderheit, das habe ich gestern in Wien gemerkt.

Sich eine Runde zu entschuldigen und zu erwarten, dass alle wieder gut sind, ist ein parternalistischer Ansatz.

Nikolas Popper

Simulationsforscher

Die Regierung will die Pandemie mit einem Dialog aufarbeiten. Ist das sinnvoll?
Anschober
Das wäre schon während des eskalierenden Streits um die Impfpflicht gut gewesen. Die Positionen verhärten sich gerade weiter, weil sich Corona-Leugner bestärkt fühlen. Es spricht Bände, wenn die FPÖ bei den niederösterreichischen Regierungsverhandlungen die Rücknahme aller Corona-Strafen einfordert. Wir hätten versuchen müssen, auch mit Corona-Kritikern zu reden, wie ich das bei 50 Lesungen zu meinem Buch "Pandemia" mit gutem Erfolg gemacht habe.
Von Laer
Ich habe das mehrfach versucht, auch eine Facebookseite aufgemacht. Es ist notwendig, mit Menschen, die zweifeln oder berechtigte Kritik haben, zu diskutieren. Bei Corona-Leugnern lohnt sich die Energie vielleicht nicht.
Popper
Ja, aber der Dialog sollte strukturiert sein und darf nicht verpolitisiert werden. Sonst tappen wir in dasselbe Problem, das wir in der Pandemie hatten: dass manchmal mit Meinungen gedealt und nicht evidenzbasiert entschieden wurde. Und er hat nur Sinn, wenn sich jeder, also auch die Wissenschaft, an der Nase nimmt. Das funktioniert in Österreich selten gut, weil Selbstkritik keine Kategorie ist. Wenn man so weitermacht, wird man auch an anderen Krisen scheitern. Dann versuchen wir es mit Selbstkritik und suchen unsere Fehler.
Von Laer
Ich fange an. Mein Fehler war, dass ich nicht klar gemacht habe, dass ich als Virologin Maßnahmen zur Reduktion der Infektionen oder zur Entlastung der Spitäler vorschlage und dabei nicht wie ein allwissender Gott alles berücksichtige. Über soziologische oder psychologische Folgen sprechen andere. Jetzt muss ich aber zur Kritik der Politik übergehen. Viele Politiker haben nicht das Rückgrat, klar zu kommunizieren. Das Brutale in der Corona-Pandemie war, dass sie hätten sagen müssen: In China sind alle weggesperrt und keiner stirbt-in England wird alles laufen gelassen, und es gibt doppelt so viele Tote. Wir gehen einen Mittelweg.
Anschober
Ich habe mich, auch in meinem Corona-Buch, mit Fehlern beschäftigt. Wir waren europaweit nicht vorbereitet auf eine Pandemie. Obwohl Experten sie seit 15 Jahren prophezeiten, hatten wir keine Masken, keine Gesetze, nichts. Zweitens: Die ersten Corona-Beschlüsse erfolgten in Einigkeit, auch mit der FPÖ, wir hatten große Erfolge, Tausende Menschenleben wurden gerettet. Mein größter Fehler war, nicht noch entschiedener gegen die Parteipolitisierung der Pandemie aufzutreten, ab dem Sommer 2020 bekamen Länderinteressen, Lobbyismen und Parteiinteressen die Oberhand.
Popper
Wir haben in der Gecko-Kommission versucht, darauf zu bestehen, dass wissenschaftliche Aussagen getrennt werden von jenen von Stakeholdern, etwa aus der Wirtschaft. Dabei haben wir uns manchmal unterbuttern lassen. Oder, anderer Fehler: In anderen Phasen, wie im Herbst 2021, als die Infektionen stark anstiegen, baute sich politische Eigendynamik auf, die mit Evidenz nicht mehr wirklich tun hatte. Da waren wir als Wissenschafter manchmal zu leise.

Die - im Dezember 2021 eingesetzte - Kommission zur gesamtstaatlichen COVID-Krisenkoordination (GECKO) wird mit 31. März aufgelöst und Schritt für Schritt ihre Tätigkeit beenden. Das wurde am Montagabend bekannt. Dieses Gespräch wurde davor geführt. 

Damit wir Medien uns nicht ausnehmen: Wir waren zu ungeduldig, als die Impfung kam, und wollten, dass im Jänner 2021 alle sofort geimpft werden.
Popper
Impfen ist ein Lehrbeispiel für Dynamik. Im Frühling 2021 schrien alle: Wir haben zu wenig Impfstoff. Und jetzt sitzt Österreich-wie viele andere Länder-auf Millionen Dosen.
Welche Corona-Maßnahmen waren Fehler? Die Schulschließungen?
Anschober
Mit dem Wissen von heute die Geschehnisse von damals zu bewerten, ist einfach. Wir haben, wie überall in Europa, mehrfach spät eingegriffen und mussten dann zu den heftigsten Mitteln greifen. Ab Sommer 2020, als das solidarische Miteinander-Handeln erodierte, haben wir zu spät Maßnahmen gesetzt-und zu früh wieder aufgehoben. Zudem zerfiel die einheitliche Vorgangsweise. Und jeder kritisierte zu Recht den daraus entstehenden Fleckerlteppich an unterschiedlichen Maßnahmen.
Popper
Ich muss bei Schulschließungen widersprechen: Negative Auswirkungen waren bekannt. Das Ziel war in dem Fall, die Ausbreitung schnell zu reduzieren. Einerseits haben wir das zu wenig gesamtgesellschaftlich diskutiert. Andererseits müssen wir Zusammenhänge besser erklären: Testen etwa erwies sich als nicht so effektiv, weil Contact Tracing und Isolieren nicht funktionierte. Mit effektivem Testen könnte man aber lokal begrenzte Schulschließungen machen. Ein Grundproblem war die Konsistenz und Geschwindigkeit. Die Politik hat oft zu spät reagiert. Und ich bin ich überzeugt, dass Länder, die mehr auf Freiwilligkeit und weniger auf Zwang setzten, erfolgreicher durch die Pandemie kamen-dazu müssen aber auch die Voraussetzungen stimmen.
Van Laer
Mit der harten Maßnahme Lockdown sind die Zahlen rasant gefallen. Wir wissen auch, dass das ewige Händewaschen bei respiratorischen Infekten keine großen Auswirkungen hat. Trotzdem hingen überall Desinfektionsmittel-Spender, und die Hände waren rot vom ewigen Desinfizieren. Es war auch unsinnig, dass Menschen im Lockdown nicht in die Parks durften. Beim Spazierengehen steckt man sich nicht an.
Popper
Haben wir das nicht immer gewusst?
Von Laer
Ende Sommer 2020 zeigte eine Studie aus Irland, dass weniger als ein Prozent der Infektionen an der frischen Luft stattfanden. Das wussten wir am Anfang nicht. Jetzt gibt es wieder eine Metaanalyse, welche Maßnahmen wirksam sind. Am wenigsten soziale, bildungspolitische und psychologische Nachteile hat das Tragen von FFP2-Masken. Gelernt haben wir außerdem, dass größere Ansammlungen in Räumen in der frühen Phase einer Pandemie zu vermeiden sind und wir die Maßnahmen je nach Immunität in der Bevölkerung anpassen müssen. Was Schulschließungen betrifft, haben wir bei der Alpha-Welle in England gesehen, dass Schulen die Pandemie sehr wohl befeuert haben. Wegen der enormen Folgen von Schulschließungen werden wir sie jedoch künftig eher nicht mehr machen.
 War die Impfpflicht ein Fehler?
Von Laer
Hätte die Impfung wie bei Masern weit über 95 Prozent der Infektionen verhindert, wäre ich absolut dafür gewesen. Bei Corona war das anders. Daher war die Impfpflicht sinnlos, man hätte davon absehen müssen.
Anschober
Sie war nach meiner Zeit. Ich hatte den Eindruck, sie war ein quasi letzter Versuch, 30 Prozent Ungeimpfte zur Impfung zu bewegen. Für mich ist das kein Tabu, aber die Kommunikation und der Umsetzungsversuch waren schlecht. Das hat Corona-Leugnern viel Fläche gegeben, die etwa verbreitet haben, dass Polizei und Arzt in die Wohnung kommen und eine Zwangsimpfung durchführen.
Oder man von unten durch den Kanaldeckel mit einer Spritze geimpft wird.
Anschober
Das fanden hoffentlich die meisten nur zum Lachen.
Popper
Wir haben 2021 monatlich ein Update der effektiven Immunisierung veröffentlicht und noch öfter gesagt, dass wir mit einer höheren Impfquote die Welle in diesem Jahr stark dämpfen hätten können. Als die Impfpflicht kam, war sie nicht nur inhaltlich sinnlos, weil zu spät, es war auch sehr fraglich, ob sie umgesetzt werden kann und akzeptiert wird. Aber uns Wissenschafter hat in den entscheidenden Tagen niemand mehr gefragt.
Herr Anschober, in Ihrem Corona-Buch steht der Satz: "Ich kann über die Position des Kanzlers nur rätseln." Wie sehr ist Sebastian Kurz schuld an der Politisierung der Pandemie?
Anschober
Ich bin kein Freund der nachträglichen Blutgrätsche in der Politik. Türkis-Grün war eine neue Regierung, niemand hatte die Pandemie auf der Agenda. Ich habe anfangs gut mit Kurz zusammengearbeitet, fühlte mich von ihm unterstützt. Was später mit ihm passiert ist, weiß ich bis heute nicht. Haben sich die Machtverhältnisse in der ÖVP verschoben? Im Frühling 2021 waren manche Länder gegen ein vorsichtiges Vorgehen. Da war Kurz keine Unterstützung mehr, er hat wieder Parteipolitik gemacht.
Unter der Politisierung litten Spitalsmitarbeiter, Hausärzte und alle, die in der Öffentlichkeit standen. Wie erlebten Sie die Anfeindungen?
Anschober
Sie sind nicht vorbei, sogenannte Corona-Leugner fühlen sich wieder ermutigt. Mein Eindruck ist, dass diese Menschen schon vor der Pandemie abgebogen sind. Es ist ein politisches Versäumnis, dieses verschwörungstheoretische Spektrum lange übersehen zu haben. Dieselben Personen vertreten auch in der Frage des russischen Angriffskrieges verheerende Positionen.
Politiker sind es gewöhnt, öffentlich aufzutreten. Wie ging es der Expertin, dem Experten damit?
Von Laer
Wenn ich im Mittelpunkt hätte stehen wollen, wäre ich nicht Virologin geworden. Ich hatte auch ein Burn-out.
Sie wollten sich zurückziehen, waren in Altersteilzeit, als die Pandemie begann.
Von Laer
Ja, und plötzlich hatte ich eine 80-Stunden-Woche und E-Mails, die mich ziemlich mitgenommen haben. "Verkriech dich doch in ein deutsches Labor zurück, du Judenfotze" war fast alltäglich. Geholfen hat, dass die Uni-IT meine Mailadresse verschwinden ließ, die Nachrichten an das Sekretariat gingen und dort gelöscht wurden. Und dass ich bei Auftritten dazugesagt habe, dass es als Virologin meine Aufgabe ist, Menschen vor einer Infektion zu schützen. Ob man mehr Tote für mehr Freiheit in Kauf nehmen will, ist nicht mein Fachgebiet. Das war gegenüber Politikern gemein, weil sie zusammengetragenes Wissen abwägen und Entscheidungen treffen müssen. Dafür kriegen die es dann ab. Deshalb wäre ich als Politikerin ungeeignet. Ich ging zeitweise nur mit Perücke nach draußen.
Popper
In der Pandemie haben wir böse Mails von Maßnahmengegnern bekommen, wenn wir für Maßnahmen eingetreten sind. Wenn wir für Lockerungen waren, kamen sie von Leuten, die sich sehr vor Covid fürchten. Jetzt finde ich es viel anstrengender, weil böse Mails von beiden Seiten kommen, es alle besser wissen und die evidenzbasierte Vorgehensweise grundsätzlich diskreditiert wird. Damit verlieren wir massiv Vertrauen, und das macht mir mehr Sorgen als persönliche Angriffe.
Was kann man gegen dieses Misstrauen tun?
Popper
Es gibt Politiker, die unverantwortlich handeln und die Pandemie für ihre Interessen ausnützen. Deshalb müssen wir noch transparenter werden, wer warum wozu sich äußert. Es muss bessere Dokumentations-und Veröffentlichungspflichten geben. Sich eine Runde zu entschuldigen und zu erwarten, dass alle wieder gut sind, ist ein paternalistischer Ansatz. Wir müssen die Menschen von beiden Seiten ins Boot holen und dafür eben unsere Prozesse verbessern. Es gibt keine Abkürzung.
Wie lernen wir angesichts dieser Wissenschaftsskepsis mit der Pandemie zu leben? Was ist noch zu tun?
Von Laer
Ich bin als Kind großteils in Amerika aufgewachsen. Da haben wir in der zwölften Klasse im Biologieunterricht jeden Nachmittag einen Platz in einem Labor gehabt und ein Forschungsprojekt durchgeführt. So lernt man, dass wissenschaftliche Erkenntnisse nicht die letzte Wahrheit sind, aber die beste Annäherung daran. So eine Bildungsoffensive brauchen wir. Mein zweiter Wunsch an die Politik ist die Schaffung einer für die Gesundheit der Bevölkerung zuständigen Institution, wie es in Deutschland das Robert Koch Institut oder in Großbritannien der NHS ist.
Anschober
Wir haben bei der Gesundheitskompetenz großen Nachholbedarf. Außerdem müssen wir uns den verdrängten, langfristigen Folgen von Corona zuwenden. Die WHO geht in Europa von 17 Millionen Long-Covid-Fällen aus. Wir haben keine ausreichende Struktur für medizinische Betreuung, therapeutische Maßnahmen und soziale Absicherung. Das mit höchster Priorität anzugehen, sind wir den Betroffenen schuldig.
Popper
Österreich ist im internationalen Vergleich ein Träumelein-Land. Wenn wir die Prozesse, von Daten über Modelle bis zur Entscheidungsfindung, jetzt nicht professionell aufsetzen, stehen wir das nächste Mal wieder unvorbereitet da. Dann hätten wir wenig gelernt.
Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges