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Fehlende Deutschkenntnisse in Schulen: Neue Ansätze für alte Probleme

Der Anteil der Schulkinder mit zu geringen Deutschkenntnissen ging im Vorjahr zurück. Grund dafür ist der Stopp des Familiennachzugs. Warum Expertinnen eine Reform der Deutschförderklassen trotzdem begrüßen.

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Am Montag verkündete die Wiener Bildungsstadträtin Bettina Emmerling (Neos) eine überraschend positive Nachricht: Die Zahl der außerordentlichen Schülerinnen und Schüler ist im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen. Als „außerordentlich“ gelten jene, die einen standardisierten Deutschtest nicht bestehen und damit unzureichende Sprachkenntnisse haben. Entscheidungskriterium ist eben dieser Test, sein Name: Mika-D. Wer ihn machen muss, das entscheidet die Schulleitung. Getestet wird beim Schuleintritt, wenn die Schulleitung das will, und dann jedes Semester in der Deutschförderung. 

Wer beim Test durchfällt, muss in  eine Deutschförderklasse, das Konzept stammt von Türkis-Blau und gilt seit dem Schuljahr 2018/19. Die Schülerinnen und Schüler werden, separat von der Regelstufe, für maximal zwei Jahre und bis zu zwanzig Stunden pro Woche in Deutschunterricht. Viele Betroffene sind sogenannte Quereinsteiger:innen, die während des Schuljahres nach Österreich gekommen sind. Sie werden vom normalen Klassenverband in Deutschförderklassen separiert. Nach zwei Jahren werden sie, unabhängig von ihren Deutschkenntnissen, in die Regelstufe geschickt, oftmals gibt es dann größere Altersunterschiede von bis zu zwei Jahren.

In den Polytechnischen Schulen Wiens ging die Zahl der sogenannten AOs um rund ein Drittel (31,5 Prozent) zurück, im Bereich Mittelschulen um 18,7 Prozent. Die Zahl der Schüler:innnen mit AO-Status in der Volksschule blieb gleich. Insgesamt gibt es in Wiens öffentlichen Schulen 114.000 Kinder – das sind 1.300 mehr als im Vorjahr. Davon sind 40 Prozent AO. 

Aber warum?

Stadträtin Emmerling glaubt: Die Sprachförderung wirke, Integration würde Schritt für Schritt gelingen. Konkret verweist sie auf gezielte Sprachförderung, vom Kindergarten über Schule und Sommerschule, ebenso wie kostenlose Deutschkurse für Schulneulinge. Diese seien im Schuljahr 2025 voll ausgelastet gewesen. 

Bildungswissenschaftlerin Susanne Schwab hat eine andere Erklärung, die deutlich banaler ist: der Stopp des Familiennachzugs bei Flüchtlingsfamilien. Schwab forscht an der Universität Wien unter anderem zu inklusiver Schulentwicklung. 2024 kamen über den Nachzug um die 300 neuen Schüler:innen monatlich nach Wien und das sei nun abgeebbt. Dem stimmen auch Julia Malle und Felix Stadler zu. Sie sind die Bildungssprecher:innen der Wiener Grünen. Beide arbeiten selbst als Lehrkräfte. Mit Beginn des Ukraine-Kriegs 2022 seien viele Schülerinnen und Schüler ohne Deutschkenntnisse nach Österreich gekommen und diese fallen nach zwei Jahren aus der AO-Klassifizierung. Auch das Bildungsministerium sieht darin den Hauptgrund für den Rückgang der Zahlen an Schülerinnen und Schülern mit unzureichenden Deutschkenntnissen. Und widerspricht damit indirekt auch der Parteifreundin aus Wien.

Es handelt sich also mehr um eine statistische Entwicklung und weniger um eine bildungspolitische Erfolgsgeschichte. 

Bildungsminister Christoph Wiederkehr (Neos) gilt ohnehin nicht als Fan des türkis-blauen Deutschförderungsmodells: Das System habe nicht ausreichend funktioniert. So gebe es zu wenig Ressourcen – deshalb habe man die Zahl der Deutschförderkräfte erhöht und es gebe genaue Vorgaben seitens des Ministeriums, wie diese Förderung auszusehen habe. 

Am Mittwoch wurde die Weiterentwicklung der Deutschförderklassen vom Ministerrat beschlossen. Daran ist dann nicht nur Wien, sondern ganz Österreich gebunden. Nur: Wie soll der Plan umgesetzt werden?

Lang geforderte Autonomie

Mit der Wahlfreiheit sei man einem Wunsch der Schulen nachgekommen, so das Bildungsministerium. Dass Schulen nun mehr Wahlfreiheit in puncto Umsetzung der Deutschförderung haben, begrüßen Experten, sowie Interessenvertretungen in diversen Aussendungen. Es sei jedenfalls ein Schritt in die richtige Richtung, so Bildungsforscherin Schwab von der Universität, weg von politischen und hin zu pädagogischen Entscheidungen in der Bildungspolitik, „die mit wissenschaftlicher Begleitforschung untermauert werden sollen“. 

Was das in der Praxis heißt, ist offen: Will ein Standort schulautonom entscheiden, dann muss dem Bildungsministerium ein Konzept vorgelegt werden. Dieser Weg ist also mit einem Mehraufwand verbunden. Unterstützt werde mit einem bundesweiten Informationsangebot und Leitfragen zur Erstellung des Konzepts. 

Auch der oftmals kritisierte Mika-D-Test soll nun reformiert werden. Die Testung soll nur mehr am Ende des Sommersemesters durchgeführt werden. Bei guten Ergebnissen und Fortschritten sollen die Kinder zwischen Deutschförderklasse und der Regelklasse wechseln können. Das war bis jetzt nicht möglich.

Die Krux mit den Planstellen

Im letzten Wienwahlkampf versprachen die Neos 500 Lehrkräfte für Deutschförderung – im September 2025 waren davon 402 Stellen besetzt, wobei nur knapp 300 davon Vollzeitkräfte waren. Das geht aus einer Anfragebeantwortung vom September 2025 an die Wiener 

Das Büro der Wiener Stadträtin Emmerling verweist gegenüber profil auf ein Verschlafen der vorhergehenden Bundesregierungen. „Dass wir nicht bei 500 sind, liegt nicht am Geld, sondern am Fachkräftemarkt und genau deshalb setzen wir auf Ausbildung, Langfristigkeit und klare Prioritäten“, heißt es.

Im neuen Vorschlag des Bildungsministeriums sind nun 1300 Planstellen für Deutschförderkräfte in ganz Österreich vorgesehen. Die Zuteilung der Planstellen sollen im Rahmen eines zweckgebunden Zuschlags für die Deutschförderung erfolgen, auf Basis der Zahl der AO-Schülerinnen und Schülern und einem Sockelbetrag je nach Bundesland. Je mehr Außerordentliche es gibt, desto mehr Planstellen werden einem Schulstandort zugewiesen. Insgesamt werden 505,2 es somit in Wien im Schuljahr 2025/6 sein.

Wien hat mit Abstand die meisten Schulkinder mit AO-Status. In der Volksschule sind es rund 16.000 und in der Mittelschule rund 2000. Am stärksten zugenommen hat die Zahl der AO-Schüler:innen in den Sonderschulen – was aber auch damit zusammenhängt, dass Oberösterreich und Salzburg die bildungswissenschaftlich veralteten Sonderschulen wieder neu aufleben lassen.

Zu wenig Förderung vor der Volksschule

Der Stopp des Familiennachzugs gilt also als Erklärung für das Sinken der Zahl der Schülerinnen und Schüler mit unzureichenden Deutschkenntnissen. Aber warum bleibt die Zahl der AO-Schüler:innen im Volksschulalter unverändert hoch? 

Rund 45 Prozent der Kinder die in Wien mit der Volksschule beginnen, haben Deutschförderbedarf, davon besuchten 80 Prozent einen Wiener Kindergarten. Hier sehen die grünen Bildungssprecher Malle und Stadler ein Versagen der Politik: Diese Kinder würden im Stich gelassen, denn sie sind in Österreich aufgewachsen. Grund für die schwachen Deutsch-Kenntnisse sehen sie am Fehlen einer flächendeckenden, hochqualitativen Deutschförderung im Bereich der Elementarpädagogik.

Aktuell springen Sprach-Fachkräfte von Kindergarten zu Kindergarten. Dadurch blieben nur wenige Stunden pro Woche mit den Kindern, das sei zu wenig. Verschärft wird dieser Effekt durch die zu großen Gruppen, so Malle und Stadler. Die Wiener Grünen fordern eine Sprachförderungskraft als Teil des Teams und einen besseren Personalschlüssel. 

Das ist leichter gefordert als umgesetzt: Selbst das bestehende Betreuungspersonal spricht teils nicht fließend Deutsch – in Zeiten des Personalmangels kann sich die Stadt das nicht immer aussuchen.

Jährlich würden 58,8 Millionen Euro pro Kindergartenjahr zur Verfügung stehen, heißt es dazu aus dem Bildungsministerium. Geregelt ist diese über eine 15a-Vereinbarung zwischen Bund und Ländern, gefördert werden Personalkosten, sowie Fort-, Weiterbildungs- und Sachkosten. 

Zurück zu den Deutschklassen und des Autonomie am Schulstandort. Das löse nicht alle Probleme, wie Expertinnen und Experten festhalten:

Es bestünde weiterhin die Gefahr, dass Sechsjährige gemeinsam mit Neunjährigen gemeinsam in einer Klasse sitzen. Das separierende System befeuert Bildungsabbrüche und Klassenwiederholungen. „Soziale Ausgrenzung ist ein massives Problem”, sagt Schwab. Und, weil die Deutschförderklassen weiter bestehen, lernen Kinder nicht mit sprachkompetenten Gleichaltrigen. Auch würden sie die Sprache nicht integriert lernen, also nicht Mathematik oder Sachunterricht auf Deutsch, sondern nur Deutsch. 

Gegen das Problem der „überalterten“ Schüler:innen will die Regierung mit dem neuen Beschluss konkrete Maßnahmen setzen: Ein Aufstieg in die folgende Schulklasse soll auch bei „mangelhaften“ Deutschkenntnissen, also einem Vierer im Zeugnis, möglich sein, wenn die Schulkonferenz zustimmt. Das gilt aber nur für die Mittelschule und nicht die AHS.

Separieren oder integrieren?

In Deutschland zeigte eine Studie, dass Geflüchtete, die Deutsch-Vorbereitungsklassen besuchten, ein schlechteres Deutsch-Niveau erreichten als jene, die das nie getan haben. 

Was ist nun das Ziel der österreichischen Bildungspolitik?

Aus dem Büro der Wiener Bildungsstadträtin Emmerling heißt es auf die Frage, dass versucht werde, den Kindern schnell Deutschkompetenz zu geben und gleichzeitig die soziale Integration zu stärken. „Der richtige Ansatz ist nicht entweder separativ oder integrativ, sondern so viel gezielte Förderung wie nötig und so viel gemeinsames Lernen wie möglich.

Zeigen wird sich die Wirksamkeit erst in vielen Jahren, denn bildungspolitische Maßnahmen wirken nicht sofort. In Kraft treten soll die neue Regelung ab dem Herbst 2026 – bis dahin sollten die Details zur Ausgestaltung geklärt sein.

Franziska Schwarz

Franziska Schwarz

Franziska Schwarz ist seit Dezember 2024 im Digitalteam. Davor arbeitete sie als Redakteurin bei PULS 24, und als freie Gestalterin bei Ö1. Sie schreibt über Politik, Wirtschaft und Umwelt.