ÖVP-Kommunikationschef Gerald Fleischmann im Interview
Interview

Gerald Fleischmann: „Alle Politiker sitzen irgendwann im Bunker“

Der ÖVP-Kommunikationschef war Wegbegleiter von Sebastian Kurz, stolperte wie der Ex-Kanzler über Ermittlungen der WKStA und hat nun ein Buch über Message Control veröffentlicht. Ein Interview über Umfragen, Strategien – und Nirvana.

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2020 sagten Sie im profil-Interview, Message Control sei eine Erfindung der Medien. Jetzt widmen Sie der PR-Methode ein ganzes Buch. Wollten Sie es damals nicht zugeben oder wollen Sie jetzt dringend Bücher verkaufen?
Fleischmann
Message Control entstand tatsächlich als Zuschreibung der Medien, für einen Istzustand in der türkis-blauen Regierung. Im Grunde ist es ein Synonym für professionelle PR-Arbeit.
Und für Steuerung.
Fleischmann
Es war eine Beschreibung dafür, dass ÖVP und FPÖ nicht mehr stritten wie Rot-Schwarz – sondern einheitlich kommunizierten.
Sie erklären im Buch den Begriff SNU: strategisch notwendiger Unsinn, den Sie und andere Pressesprecher von Kurz platzierten, um Medien und Öffentlichkeit zu beschäftigen. Wann haben Sie zuletzt SNU verbreitet?
Fleischmann
Es ist sicher Taktik, aber viel mehr Beschreibung eines Zustandes. Als Beispiel: Vor einem halben Jahr galt Pamela Rendi-Wagner als nächste Kanzlerin, jetzt als Ablösekandidatin … Wer weiß, wie das in sechs Monaten wieder ist.
Sie beschreiben im Buch Methoden, Fragen auszuweichen – das war jetzt ein schönes Beispiel. Die Frage war: Wann haben Sie zuletzt SNU verbreitet?
Fleischmann
Seit Dezember 2022, seit ich als Kommunikationschef arbeite, gar nicht.
Weil es die Menschen durchschaut haben?
Fleischmann
Ja, das liegt einerseits an der Politik – die FPÖ ist seit Jahren Meister im SNU –, andererseits an den Medien. Ganz Austrotwitter ist zugespitzt formuliert SNU.
Sie schreiben, SNU wurde gern zum Thema Klimakrise gestreut. War der Sager von Sebastian Kurz, „Wir dürfen nicht in die Steinzeit zurück“, SNU?
Fleischmann
Das war ein berechtigter Ansatz – im Nachhinein aber vielleicht SNU.
Ist Kurz daran gescheitert, dass er zu viel SNU gebracht hat, aber zu wenig Substanz?
Fleischmann
Auf keinen Fall. Die einen glauben, dass er aufgehalten wurde, bevor er etwas Schlechtes tun konnte. Die anderen, bevor er das Land zum Besseren reformieren konnte. Selbstverständlich bin ich Anhänger der zweiten Sichtweise.
Sie schreiben, Fans sehen seinen Abgang als „nicht demokratisch legitimierten Sturz durch eine vereinigte linke Schmutzkübel-Armada“. Wer gehört zu dieser Armada? Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, die Grünen?
Fleischmann
Das kann ich nicht beantworten.
Sie schreiben es, aber wissen nicht, wer dazugehört?
Fleischmann
Ich schreibe auch, dass er für viele wie Mordor aus „Herr der Ringe“ war, für die anderen der Nibelungenheld Siegfried, dem das Lindenblatt in Form des Telefons, aus dem die Chats stammen, auf die Schulter fiel. Ich glaube Letzteres. 
Derzeit ist die Regierung trotz milliardenteurer Hilfspakete nicht beliebt. Ist die Politik zu schlecht oder die PR?
Fleischmann
Karl Nehammer hat sein erstes Jahr nur Krisen managen müssen. Er wurde angelobt im Lockdown, in den ersten 100 Tagen gab es Krieg, dann Wirtschaftskrisen und Rekordinflation und einen drohenden Gasmangel. Er hat sein Momentum noch vor sich. Ganz allgemein liegen Politiker zwar an letzter Stelle im Vertrauensindex – aber an vorletzter Stelle die Medien. Es ist okay, wenn der Vorletzte dem Letzten ständig ausrichtet, was er besser machen kann. Aber das ganze polit-mediale System hat ein Glaubwürdigkeitsproblem. Deswegen ist das Buch der Versuch, zu erklären, warum Journalisten und Politiker so agieren, wie sie es tun. Vielleicht sieht man dann vieles in anderem Licht.
Ist es nicht riskant, aus dem Nähkästchen zu plaudern?
Fleischmann
Ich hoffe, dass es mit manchen Missverständnissen aufräumt.
Sie beschreiben die Nicht-Entschuldigung-Entschuldigung: Wenn Politikerinnen und Politiker nur allgemein von Fehlern sprechen oder es so klingt, dass diejenigen schuld sind, die eine Aussage irritiert.
Fleischmann
Genau.
Gerald Fleischmann, Kanzlersprecher, mit seinem FPÖ-Kollegen Martin Glier.
Es war also Taktik, als Kanzler Karl Nehammer nach dem Viren-Sager sagte: „Wenn meine überschwängliche Begrüßung Menschen irritiert hat, dann möchte ich mich dafür entschuldigen.“ Oder Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer in der Pandemie: „Niemand kann alles richtig machen. Da sind sicher Fehler passiert.“
Fleischmann
Ich unterliege hier der Message Control des Verlages und soll aktuelle Politiker nicht kommentieren.
Will das der Verlag oder Sie?
Fleischmann
Das war ein Wunsch des Verlages – und der kommt mir sehr gelegen.
Wenn Sie hören, dass ein PR-Mann, der wegen Korruptionsvorwürfen beschuldigt ist und eine Partei in der Krise berät, ein Buch über politische PR schreibt – würden Sie das für eine gute Idee halten?
Fleischmann
In meinem Fall war es so, dass der Verlag im Sommer mit der Idee an mich herantrat. Ich fand sie gut, weil mein Plan war, mich im Dezember international beruflich zu verändern. Das Buch hätte dafür eine Trägerrakete sein sollen.
Aber?
Fleischmann
Dann fragte mich die ÖVP, ob ich Kommunikationschef werden möchte. Da sagt man natürlich nicht nein.
Was wäre der andere Job gewesen?
Fleischmann
Etwas ganz anderes. Das nur zur Erklärung, weil man sich fragen könnte: Warum schreibt er jetzt ein Buch? Der Verlag hat natürlich gesagt, dass man das Buch nun auch verkaufen soll, und das mache ich hiermit.
Es bleibt das Dilemma, dass Sie als PR-Mann unter Korruptionsverdacht eine Partei unter Korruptionsverdacht beraten und ein Buch schreiben – und darin Umfragen thematisieren.
Fleischmann
Das ist der zweite Punkt der Message Control des Verlages: Ich soll nur Fragen zum Buch beantworten und zu dem Thema nichts sagen.
2017 schreibt Ihnen Thomas Schmid: „Haben wir Fragen für Umfragen. Montag geht Österreich ins Feld.“ Sie antworten: „Vorschlag, wenn ok: Wem kostet Pilz? Grüne stark, Sozis Mittel, VP so gut wie nichts.“ Klingt nach bestellter Umfrage.
Fleischmann
Mich hat täglich irgendwer zu Umfragen gefragt. Irgendwann werden sich diese Vorwürfe als das herausstellen, was sie sind, nämlich falsch. Mehr sage ich dazu nicht.
Ihre Bestellung zum Kommunikationschef sorgte für Kritik. Die grüne Klubchefin Sigrid Maurer nannte es „ein verheerendes Bild“.
Fleischmann
Als Pressesprecher habe ich meinen Chefinnen und Chefs   immer gesagt: Der Preis dafür, dass du Entscheidungen treffen kannst, die alle betreffen, sind solche Nadelstiche durch Medien und andere Parteien. Das gehört in der Demokratie dazu wie Zähneputzen.
Kritik könnte auch einfach berechtigt sein.
Fleischmann
In einer Demokratie kann man immer unterschiedlicher Meinung sein, und jede davon ist berechtigt.
Haben Sie das Gefühl, der ÖVP imagetechnisch gutzutun?
Fleischmann
Das müssen Sie die ÖVP fragen.
Sie schreiben im Buch den Satz: „Kurz ist der Kurt Cobain der österreichischen Innenpolitik.“ Wie in aller Welt kommen Sie darauf?
Fleischmann
Ich war 1993 in einer Rock-Band und habe erlebt, dass es zwei Sphären gab: Popper und Rocker. Mit Kurt Cobain und Nirvana löste sich der Unterschied zwischen den Gruppen auf, weil er beide vereinte, indem er Underground-Melodien mit Heavy-Metal-Instrumenten spielte. In der Politik war SPÖ-Kanzler Bruno Kreisky als Erster nahbar für Medien. Seit ihm kann die SPÖ mit der medialen Öffentlichkeit gut umgehen –  die ÖVP hingegen checkte nie, dass es diese Instrumente wie etwa Verkürzung und Verständlichkeit braucht. Kurz war der Erste in der ÖVP, der diese Instrumente spielen konnte.
Kurt Cobain schrieb Superhits, war ein Weltstar, heroinsüchtig und erschoss sich. Finden Sie Ihren Vergleich von Kurz mit Cobain gelungen?
Fleischmann
Ich schreibe, dass der Star Cobain früh starb – und Sebastian Kurz ein Polit-Star war, der viel erreichte, aber politisch früh gestorben ist. Natürlich gefällt der Vergleich nicht allen.
Karl Nehammer ist demnach wie die Foo Fighters?
Fleischmann
Er bietet derzeit das kompletteste Paket in der österreichischen Politik. Ich weiß, das ist eine langweilige Antwort. Aber der Vergleich mit einer Band wäre eine zu lustige Schlagzeile, die liefere ich nicht.
Gestürzt ist Kurz über Korruptionsermittlungen. Wann war Ihnen klar, dass ein Rücktritt unvermeidlich ist?
Fleischmann
Es war fließend. Es gab nicht den einen Moment, wo alles klar war.
Worin wurzelt sein Scheitern: Überheblichkeit, Kaltschnäuzigkeit, fehlende Inhalte?
Fleischmann
Generell sitzen alle Politiker irgendwann im Bunker und glauben, dass sie von allen unfair behandelt werden. Sogar Angela Merkel landete im Bunker, allerdings erst nach 15 Jahren. Die Kritik der Medien, die sich wie Nadelstiche anfühlt, ist der Preis dafür, gestalten zu können. Wenn die Nadelstiche zu schmerzhaft werden, landet man im Bunker. Es geht fast täglich darum, aufs Neue aus dem Bunker rauszukommen. So ging es auch Kurz.
Wird Kurz ein Comeback versuchen?
Fleischmann
Er hat mir gegenüber sehr glaubwürdig gesagt, dass er mit der Politik abgeschlossen hat und nicht mehr zurückkehrt.
Sie beschreiben Medien als Wolfsrudel oder Hühnerstall, die sich auf Fleischbrocken und Krumen werfen, die man ihnen hinwirft. Was ist denn die Bevölkerung in dem Vergleich?
Fleischmann
Die Bevölkerung ist Konsument und goutiert manchmal die Produkte nicht mehr. Durch den Blick hinter die Kulissen in meinem Buch wächst vielleicht das Verständnis für Politik und Medien. Denn in einer Demokratie ist das wahr, was berichtet wird. Wenn etwa in Wikipedia steht, dass Sebastian Kurz die Balkanroute geschlossen hat, ist es wahr.
Nur wenn Sie den Wikipedia-Eintrag schreiben. Denn die Balkanroute ist sperrangelweit offen.
Fleischmann
Es gibt unterschiedliche Sichtweisen, aber wahr ist, was geschrieben steht. Damit hat sich die ÖVP lange schwergetan – und damit auch mit Medien.
Im ORF und in der „Presse“ traten Chefredakteure wegen Chats mit Politikern zurück. Ist das ein Beleg für zu große Nähe zwischen Medien und Politik?
Fleischmann
Diese Nähe gab es immer. Aber es passieren kulturelle Veränderungen. Vielleicht wandelt sich das Verhältnis von Politik und Medien, weil die Grenzen, was als unpassend gilt, neu gezogen werden. Kultur verändert sich stets.
Chats zeigen auch, dass Kurz lange an seinem Aufstieg gearbeitet hat. Er behauptete aber noch 2016, dass er die Obmannschaft nie anstrebe. War das eine Lüge?
Fleischmann
Viele sagen, im Jahr 2016 wollten alle in der ÖVP, dass Sebastian Kurz übernimmt – außer Sebastian Kurz.
Und Reinhold Mitterlehner.
Fleischmann
Kurz hätte damals nur zurücktreten oder die ÖVP übernehmen können – eine andere Wahl gab es nicht. Ich hätte jedenfalls nicht mitbekommen, dass Kurz an der Übernahme der ÖVP arbeitete.
Sie erwarten doch nicht, dass wir das glauben. Kurz hat sich mit der „Operation Ballhausplatz“ generalstabsmäßig vorbereitet.
Gerald Fleischmann, ÖVP-Kommunikationschef
Fleischmann
Es ist etwas anderes, sich auf etwas vorzubereiten, was vielleicht kommt, oder etwas anzustreben.
Und dann schreibt man sich Nachrichten wie „Mitterlehner is dead like a dodo“?
Fleischmann
Ich weiß nicht, wer das geschrieben hat.
Thomas Schmid, der zum Umfeld von Kurz gehörte.
Fleischmann
Hier greift wieder die Message Control des Verlags.
Welche Antworten würden Sie jemandem raten, der Parteichef werden will, es aber nicht öffentlich zugeben möchte?
Fleischmann
Diese Person soll mich anrufen. Für eine gewisse Gage liefere ich vielleicht eine Antwort.
Wozu brauchten Sie Umfragen, wonach Kurz ein Delfin oder ein Eichhörnchen und Mitterlehner ein Affe oder eine Hyäne ist?
Fleischmann
Keine Ahnung. Ich habe von diesen Umfragen erst vor einem halben Jahr erfahren.
Sie liefen ab 2016 über das Finanzministerium und sind Teil der Ermittlungen der WKStA. Warum müssen Steuerzahler derartige Umfragen bezahlen?
Fleischmann
Das verstehe ich auch nicht. Aber das ist Teil der Ermittlungen, dazu äußere ich mich nicht.
Zurück zum Buch. Sie schreiben, dass vier Eigenschaften ein Profil von Politiker ergeben. Was sind die vier Eigenschaften von Karl Nehammer?
Fleischmann
Ehrlich. Vaterlandsliebend. Einsatzbereit. Die vierte Eigenschaft hängt mit dem Momentum zusammen, das Nehammer noch nutzen kann. Er hat bisher noch nicht gesagt, wofür er steht. Den Menschen eine Perspektive zu geben, das hat Nehammer noch vor sich.
Damit hoffen Sie, die ÖVP, die in Umfragen auf Platz drei liegt, nach vorn zu bringen?
Fleischmann
Diese Spielzeugumfragen sind alle SNU. Tatsächliche Umfragen zeigen einen Korridor zwischen 23 und 26 Prozent – in dem derzeit ÖVP, SPÖ, FPÖ liegen. Nehammer hat 2024 alle Chancen, als Erster ins Ziel zu kommen.
Die Landtagswahlen in Tirol und Niederösterreich zeigen: Die ÖVP verliert deutlich, die SPÖ ist schwach – und die FPÖ im Aufwind.
Fleischmann
Aber auf Bundesebene ist für FPÖ, ÖVP und SPÖ vom ersten bis zum dritten Platz alles drinnen.
Sind Kurz und die Korruptionsaffären schuld an der Misere der ÖVP?
Fleischmann
Die aktuellen Daten der ÖVP lassen sich vor allem durch die Krisen erklären – Pandemie, Krieg, Teuerung. Entscheidend wird die Perspektive in und nach den Krisen.
Das Projekt Ballhausplatz wird verfilmt. Wer sollte Sie denn in einem Spielfilm spielen?
Fleischmann
Wie heißt der von „CSI Miami“ – David Caruso? Im Ernst: Das sollen andere beurteilen.

Zur Person

Gerald Fleischmann, 49, ist seit Dezember 2022 Kommunikationschef der ÖVP. Davor war er jahrelang Stratege und Pressesprecher von Sebastian Kurz, zuerst als Staatssekretär, dann als Außenminister und später als Bundeskanzler. Gemeinsam mit Kurz legte er die Funktionen zunächst nieder, als die Korruptionsvorwürfe gegen die beiden aufkamen. Fleischmanns PR-Stil wurde unter Türkis-Blau als sogenannte Message Control bekannt, nun hat er zu diesem Thema ein gleichnamiges Buch geschrieben.

Iris Bonavida

Iris Bonavida

ist seit September 2022 als Innenpolitik-Redakteurin bei profil. Davor war sie bei der Tageszeitung "Die Presse" tätig.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin