
In Österreich gibt es einen großen Nachwuchs an Hebammen. Doch die Chance dieses Wandels bleibt ungenutzt.
Hebammen könnten Gesundheitssystem entlasten – wenn man sie lässt
Blaue Tore, graue Wände, spiegelnde Fensterfronten. Am FH-Campus Pinkafeld im Bezirk Oberwart haben im September die ersten Absolventinnen den neuen Hebammenstudiengang abgeschlossen. Seit 2022 werden hier im Burgenland Hebammen ausgebildet – der erste neue Standort in Österreich seit über 25 Jahren.
Der Andrang an der FH Burgenland ist groß: Rund 150 Bewerber:innen reißen sich jedes Jahr um 15 Studienplätze. Das Land wollte damit einem akuten Problem begegnen – dem Hebammenmangel. Dieser beschäftigte auch die Bundespolitik, insbesondere infolge einer Studie der Arbeiterkammer von 2023. Das Ergebnis: „Sollen alle Mütter eine gute Versorgung erhalten, braucht es bis 2032 rund 1400 Hebammen mehr”. Ansonsten drohe eine Unterversorgung. Die Politik reagierte mit einer Ausbildungsoffensive. In Österreich werden mittlerweile acht Hebammen-Studiengänge angeboten, die ihre Ausbildungsplätze aufgestockt haben.
Und tatsächlich: Die Initiative trägt Früchte. Österreich kann sich über eine neue Generation ausgebildeter Hebammen freuen, die bereit sind, ins Berufsleben einzusteigen. Der Erfolg hat aber eine Kehrseite: Mit der wachsenden Zahl an diplomierten Hebammen gestaltet sich der Berufseinstieg zunehmend schwierig. Aus dem Hebammenmangel ist ein Stellenmangel geworden.
Wandel mit Widerspruch
Wie konnte es so weit kommen? Zwei Entwicklungen greifen ineinander: Die Geburtenzahlen sinken, während Geburtsstationen zusammengelegt werden. Dadurch spart man Personal – doch gleichzeitig verlieren viele Hebammen ihre Jobmöglichkeiten.
Offiziell gelten die Kreißsäle in Österreichs Spitälern als gut besetzt. Doch die formale Vollbesetzung bedeute nicht, dass das Potenzial der Hebammen tatsächlich genutzt werde, sagt Beate Kayer, Vizepräsidentin des Österreichischen Hebammengremiums (ÖHG) und Studiengangsleiterin an der FH Burgenland.

Mag.a(FH) Beate Kayer
Beate Kayer ist Vizepräsidentin des Österreichischen Hebammengremiums (ÖHG) und Studiengangsleiterin an der FH Burgenland.
Statt Hebammen in ihren Kernkompetenzen einzusetzen – etwa in der Wochenbettbetreuung oder beim Übergang von der Klinik zur häuslichen Nachsorge – werden diese Aufgaben häufig Pflegekräften überlassen. Pflegekräfte, die in Österreich oft überlastet sind und an denen ein Mangel herrscht. Der Grund dürfte finanzieller Natur sein: Hebammen verdienen vielerorts mehr als Pflegekräfte und gelten daher als teurere Arbeitskräfte.
Das führt zu einem paradoxen Zustand: Während in der Pflege händeringend Personal gesucht wird, finden ausgebildete Hebammen keine Anstellung – obwohl sie einen wichtigen Beitrag zur Entlastung des Gesundheitssystems leisten könnten. Würden die am Arbeitsmarkt verfügbaren Hebammen stärker in der Wochenbettbetreuung eingesetzt werden, könnten die Kliniken die Pflegekräfte für andere Tätigkeiten einsetzen.
Stillstand trotz Chance
Zudem wird die Chance, die Betreuung während der Geburt nachhaltig zu verbessern, nicht genutzt. Der geforderte Standard: Eine Hebamme betreut eine Frau – kontinuierlich, während der gesamten Geburt. Diese sogenannte 1:1-Betreuung gilt seit Jahren als Qualitätsmerkmal und zentrale Forderung des ÖHG. Doch ihre flächendeckende Umsetzung lässt weiterhin auf sich warten. Stattdessen pendeln Hebammen oft zwischen mehreren Kreißsälen und betreuen bis zu drei Frauen gleichzeitig – eine Belastung für das Personal, aber auch für die Gebärenden.
Zwar gilt der Hebammenmangel offiziell als beendet, doch von einer flächendeckenden, qualitativ hochwertigen Versorgung könne kaum eine Rede sein, bestätigt auch Martina König-Bachmann, Studiengangsleitung an der FH Gesundheit in Tirol gegenüber der „Tiroler Tageszeitung”. Besonders im freiberuflichen Bereich fehle es an Stabilität. Außerdem: Viele junge Hebammen wollen ohnehin zunächst im Spital Erfahrung sammeln, finden dort aber keine Stelle.
Entscheidungsmacht der Spitäler
Die Entscheidung, wie viele Hebammen tatsächlich beschäftigt werden, liegt bei den Spitalsträgern – die meisten davon stehen unter der Kontrolle der Bundesländer. Die Stellungnahmen gegenüber profil folgen dabei einem klaren Muster: Zwar wird betont, die Hebammenversorgung sei „gedeckt“ – teils ist sogar von einer „Überbesetzung“ die Rede. Doch statt verbindlicher Strategien dominieren vage Verweise auf „laufende Evaluierungen“ und interne Prüfprozesse.
In Oberösterreich, Tirol und Kärnten wird die 1:1-Betreuung laut eigenen Angaben größtenteils und sofern möglich umgesetzt. Genauere Informationen bleiben aus. Auffällig ist zudem, dass fast alle Träger den Fokus auf die Geburtsbegleitung legen. Wie die Vor- und Nachbereitung, etwa die klinische Wochenbettbetreuung, künftig gestaltet werden soll, bleibt unklar.
Für Beate Kayer ist klar: Wenn mehr Fachkräfte ausgebildet werden, müssen auch die entsprechenden Stellen geschaffen werden – im Interesse der Hebammen ebenso wie im Interesse der Gebärenden. Denn ohne strukturelle Anpassung verpufft der Fortschritt. Ob der Stillstand auf Geldmangel oder auf fehlenden politischen Willen zurückzuführen ist, lasse sich schwer sagen. Kayer bleibt dennoch zuversichtlich: „Ich bin optimistisch, dass sich vieles ändern wird – wir haben jetzt genug Hebammen, und das ist eine gute Ausgangsbasis. Jetzt müssen nur noch die Strukturen folgen.“