Verena Buck eilt durch die verworrenen, orangefarbenen Gänge des Wiener AKH. Die langen Haare fallen ihr über die Schultern, als sie auf einem der weißen Schalensessel im Wartezimmer des Endometriosezentrums Platz nimmt. Es fühle sich an, wie nach Hause zu kommen, sagt die Wienerin. Hier bekam sie nach 28 Jahren endlich ihre Diagnose.
Mit 16 hatte für Verena Buck eine jahrzehntelange Qual begonnen. Ihre Regelschmerzen waren so heftig, dass sie regelmäßig in Ohnmacht fiel. Bauchkrämpfe, Kreuzschmerzen, eine überwältigende Müdigkeit, Übelkeit und der darniederliegende Kreislauf zwangen sie monatlich vier bis fünf Tage ins Bett. Die Geduld von Eltern, Hausarzt und Lehrerinnen war schnell erschöpft. „Menstruationsbeschwerden sind normal, so schlimm wird es schon nicht sein“, hörte Verena Buck oft, und vor allem: „Stell dich nicht so an.“ Also lebte sie irgendwie mit den Schmerzen.
Betroffene im Psycho-Eck
Mit 18 wurde sie schwanger, und weil sie nach der Geburt ihrer Tochter eine Blutvergiftung erlitt, diagnostizierten die Ärzte eine posttraumatische Belastungsstörung und erklärten ihre Beschwerden damit. Sogar in die Psychiatrie schickte man sie im Lauf der Jahre regelmäßig – aber die Schmerzen blieben. „Es ist absurd, wie viel meine psychosomatische Behandlung den Staat gekostet hat. Dabei wäre eine medizinische Therapie viel billiger und effektiver gewesen“, sagt Buck. Erst seit 2024 ist klar: Die heute 43-Jährige leidet seit der Pubertät an Endometriose.
Verena Buck ist damit nicht allein. Zehn bis 15 Prozent der Österreicherinnen leben mit der chronischen Krankheit, die vielen von ihnen unsagbare Schmerzen bereitet. Schuld ist die Gebärmutterschleimhaut, auch Endometrium genannt. Sie wächst bei manchen Frauen auch außerhalb der Gebärmutter und bildet Herde in anderen Körperregionen. In den Eierstöcken, den Eileitern, im Muskelgewebe der Gebärmutter, in Darm oder Blase, im Bauchfell, manchmal sogar in der Niere, der Lunge oder im Gehirn. Die Wucherungen reagieren auf den Monatszyklus, bauen also Schleimhaut auf, können aber nicht ausbluten. Zysten, Entzündungen und Vernarbungen sind die Folge.
„Weiblicher Schmerz darf nicht normalisiert werden.“
Verena Buck hörte 28 Jahre lang den Satz: „Stell dich nicht so an.“
Die Medizin beschäftigt sich mittlerweile intensiver mit der lang vernachlässigten Krankheit. Was weiß man aktuell über die Ursachen von Endometriose? Wird sie vererbt? Wie kann man sie schneller diagnostizieren? Welche Therapien gibt es? Und wie schwer ist es, mit Endometriose schwanger zu werden?
Man kann den Schmerzkreislauf durchbrechen
Eine gute Nachricht vorweg: „Wir können den Schmerzkreislauf durchbrechen“, sagt René Wenzl, Leiter des Endometriosezentrums der Medizinischen Universität am AKH Wien. Dazu muss die Krankheit aber erst einmal erkannt werden. Im Schnitt dauert das in Österreich sieben Jahre, so steht es im 2024 vom Gesundheitsministerium veröffentlichten Menstruationsgesundheitsbericht. Das Problem: Endgültige Sicherheit erlangt man erst durch eine Bauchspiegelung unter Vollnarkose. Durch kleine Schnitte in die Bauchdecke führt man dabei eine kleine Kamera und Instrumente in den Bauch, sucht nach den Endometrioseherden und entfernt diese dann.
Eine weitere gute Nachricht: Für Ärzte und Ärztinnen mit geschultem Auge ist der Eingriff für die Diagnose gar nicht nötig. „Zwei Drittel der Fälle werden bereits bei der Ultraschall-Untersuchung oder im MRT erkannt“, sagt René Wenzl. In Zürich wird zudem gerade eine künstliche Intelligenz auf das Erkennen der Krankheit in Ultraschallbildern trainiert.
Langsam wächst auch das Bewusstsein in den Gynäkologie-Praxen und bei den Hausärzten. Besteht ein Verdacht, sollten Patientinnen umgehend an eines der zertifizierten Endometriosezentren überwiesen werden, die es mittlerweile in fast allen Bundesländern gibt. Es sind freilich immer noch zu wenig; am AKH Wien ist der nächste Termin im Februar 2026 zu vergeben. Aber immerhin: Die Frauen, die hier landen, werden zunehmend jünger – und die Leidenswege damit kürzer.
Therapie Nummer 1: Schmerzmittel
Steht die Diagnose fest, geht es an die Therapie der Symptome. Der erste Schritt sind stets Schmerzmittel. Manche Frauen kommen damit an zwei bis drei Tagen im Monat gut über die Runden. „Wichtig ist, die Mittel einzunehmen, bevor die Schmerzen beginnen“, sagt Manuela Gstöttner. Sie ist als sogenannte Study Nurse für die klinischen Studien im Endometriosezentrum zuständig. Gerade wertet sie die Daten einer Studie zu Kurkuma und Grüntee-Extrakt aus. Gibt es schon erste Ergebnisse? „Von den Teilnehmerinnen bekamen wir viele positive Rückmeldungen – allerdings auch von jenen, die nur Placebo bekommen haben“, berichtet Gstöttner. Zusätzlich zu den Schmerztabletten empfehlen sie und das Team des Endometriosezentrums Nahrungsergänzungsmittel. Magnesium wirkt krampflösend, Omega-3-Fettsäuren entzündungshemmend.
Geübte Mediziner wie René Wenzl erkennen Endometriose ohne eine Bauchspiegelung im OP.
Mit Schmerzmitteln allein kommt die Oberösterreicherin Annika Kneidinger, 30, schon lange nicht mehr aus. Ihre Geschichte beginnt, wie bei den meisten, mit der ersten Regel. Kneidinger war 14, litt einmal im Monat unsagbare Schmerzen – trotzdem hieß es schnell, sie sei psychisch labil. Mit 18 verschrieb ihr der Frauenarzt die Pille. Von Endometriose war damals keine Rede. Kneidinger hörte das Wort erst im Alter von 25 Jahren zum ersten Mal.
Therapie Nummer 2: Hormone
Die Pille half einige Zeit recht gut – Annika Kneidinger nimmt sie bis heute. Kein Wunder: Hormontherapien gehören zur Standardbehandlung bei Endometriose. Ohne die sonst üblichen Pausen eingenommen, hält die Pille den Hormonspiegel stabil, verhindert Auf- und Abbau der Schleimhaut, die Regel bleibt aus. Das hält die Schmerzen oftmals im Zaum. Wer die Pille gut verträgt, kann sie Jahre oder gar Jahrzehnte durchnehmen.
Doch Kneidinger plagte sich trotz der Pille weiter. Quälende Schmerzen im Unterleib begleiteten sie bald auch ohne die Wellen des Zyklus, Sex ohne Schmerzen gab es nicht, die junge Frau litt an chronischer Erschöpfung. Ihren Vollzeitjob im Büro konnte sie nur behalten, weil sie einen sehr verständnisvollen Chef und ein tolles Team hatte. „Ich fehlte oft einen Tag pro Woche“, sagt Kneidinger. Die Diagnose vor drei Jahren verdankt sie ihrer eigenen Hartnäckigkeit. Sie schob die psychologischen Argumente beiseite, begab sich zum CT, zur Darmspiegelung und schließlich zur Bauchspiegelung. 2022 hatte sie es endlich schwarz auf weiß.
Therapie Nummer 3: Operation
Der chirurgische Eingriff ist nach Schmerzmitteln und Hormonen die dritte und letzte Stufe der Behandlung. Dabei wird die verirrte Schleimhaut herausgeschnitten, die Entzündungsreaktionen können sich beruhigen. Aber haben Körper und Gehirn nicht ein Schmerzgedächtnis? Kann eine Patientin die jahrelang erlittenen Schmerzen einfach so vergessen? „Das kann sie, aber es dauert seine Zeit“, sagt Gynäkologe Wenzl. Man könne sich das vorstellen wie eine Fernreise: „Je weiter sie in der Vergangenheit liegt, desto mehr verblassen die Erinnerungen – bis nur noch kleine Schlaglichter übrig sind.“ Die Erfolgsquote dieser Operationen ist sehr hoch: 92 Prozent der Patientinnen haben danach eine gute Lebensqualität und brauchen keinen weiteren Eingriff.
Aber es gibt Ausnahmen. Dazu zählt Annika Kneidinger. Sie wurde 2022 operiert, die Herde an Beckenwand, Bauchfell und Blase entfernt, woraufhin sich ihre Symptome besserten. Aber die Schmerzen kamen zurück. Vergangenen Februar folgte ein weiterer Eingriff. „Aktuell geht es mir gut“, sagt sie im profil-Gespräch. Kneidinger kommt gerade von einem Spaziergang mit ihrem Hund. Den Bürojob hat sie aufgegeben, weil sie sich umorientieren will. Sie steckt mitten in der Ausbildung zur psychosozialen Beraterin, die Hauptzielgruppe sind Frauen mit Endometriose, einige betreut sie schon. Ihr Motto: „Du kannst nicht kontrollieren, was dir im Leben passiert. Aber du kannst entscheiden, wie du damit umgehst.“
Kinderwunsch: Eizellen einfrieren erlaubt
Unterschwelligen Schmerz fühlt Kneidinger eigentlich immer, „aber das ist erträglich“. Bei einer auf Frauengesundheit spezialisierten Physiotherapeutin bekämpft sie regelmäßig ihre Verspannungen im Unterleib; Yoga, Atemübungen und Wärmflaschen helfen ebenfalls. Mit ihrem Partner dachte sie vor einiger Zeit über Kinder nach. In einer Kinderwunschklinik fragte sie vor drei Jahren, ob sie sich überhaupt Hoffnungen machen dürfe. Das Ergebnis: Kneidinger hatte damals nur noch wenige Eizellen übrig, die Ärzte gaben ihr ein Zeitfenster von etwa zwei Jahren; danach werde das Kinderkriegen immer schwerer. Diese sind mittlerweile verstrichen.
Die Betroffene Annika Leidinger berät andere Frauen mit Endometriose.
„Du kannst nicht kontrollieren, was dir im Leben passiert. Aber du kannst entscheiden, wie du damit umgehst.“
Die Betroffene Annika Kneidinger berät andere Frauen mit Endometriose.
Eizellen einfrieren aus sozialen Gründen ist in Österreich verboten, für Frauen mit Endometriose aus medizinischer Indikation aber erlaubt (bezahlt wird es von der Kasse allerdings nicht). Annika Kneidinger hat sich dennoch dagegen entschieden. Sie scheut die Hormongaben vor der künstlichen Befruchtung: „Sie könnten die Endometriose wieder anfeuern“, befürchtet sie.
Schwanger mit Endometriose
Manuela Gstöttner, René Wenzl und ihr Team im Endometriosezentrum werden oft gefragt, ob Frauen mit dieser Erkrankung überhaupt Kinder bekommen können. Ihre Antwort löst oft Überraschung aus: „80 Prozent werden problemlos schwanger.“
Ganz so einfach ging es bei Michaela Kahr allerdings nicht. Ihre zweieinhalbjährige Tochter kam nach „einem längeren Kinderwunschweg“ auf die Welt. Nun ist die 37-Jährige zum zweiten Mal schwanger. „Ich bin in der 15. Woche“, freut sie sich.
80 Prozent der Frauen mit Endometriose werden problemlos schwanger.
René Wenzl, MedUni Wien
Die Diagnose Endometriose bekam die Welserin nach einer Bauchspiegelung 2015, mit der Krankheit lebt sie schon viel länger. Von frühester Kindheit an kämpfte sie mit Bauchweh, richtig schlimm wurde es, als mit zehn die erste Regelblutung kam. „Ich schluckte Schmerztabletten wie Zuckerl, bis mir die Apothekerin keine mehr verkaufen wollte“, erzählt sie. Später saß sie in Schwangerschaftshosen in der Arbeit, weil sie den Druck von normalen Hosen nicht aushielt. „Irgendwann hörte ich auf, mich dafür zu schämen.“
Aktuell ist ihr viel schlecht, sie ist müde, die inneren Vernarbungen spannen, weil das Baby die Bauchdecke dehnt. In Summe erwartet Michaela Kahr aber, dass es ihr besser geht als sonst – das war auch während der ersten Schwangerschaft so. Die vorübergehende Besserung ist ein übliches Phänomen: Die Hormone sind in dieser Zeit stabil erhöht, die Regelblutung bleibt aus. „Früher riet man 17-jährigen Mädchen, sich durch eine Schwangerschaft zu kurieren“, sagt Kahr. Diese Zeiten sind zum Glück vorbei.
„Wir kämpfen für Sichtbarkeit, Aufklärung und Unterstützung."
Michaela Kahr, Verein Endometriose Österreich
Wenn das Kinderthema abgeschlossen ist, steht für Kahr eine OP im Endometriosezentrum Wels an, bei der sie einen Eierstock verlieren könnte. Jetzt freut sie sich aber erst einmal über ihr erstes und auf ihr zweites Kind.
Kann Endometriose vererbt werden?
Und woher kommt sie eigentlich? „Bei Frauen ohne Familiengeschichte liegt das Risiko für Endometriose bei fünf bis zehn Prozent, bei Töchtern von Betroffenen ist es ungefähr doppelt so hoch“, erklärt Gynäkologe Wenzl. Aber: „Eine Frau mit Endometriose ist noch lange keine Patientin. Viele entwickeln gar keine Symptome.“
Die Ursache der Erkrankung ist nach wie vor ein Rätsel, Theorien gibt es jedoch mehrere. Eine der plausibelsten ist folgende: Aus den Eileitern tropft bei jeder Frau während der Regel neben Blut auch Schleimhaut in den Bauchraum. Bei jenen mit Endometriose fließt sie nicht ab, sondern setzt sich im Bauchraum fest. Eine weitere Theorie reicht bis ins Embryonalstadium zurück: Bei Mädchen wächst die Schleimhaut in der fünften oder sechsten Woche in die Gebärmutter ein; dabei könnten bei manchen Embryos Zellen in anderen Körperregionen liegen bleiben, die sozusagen zum Leben erwachen, wenn die erste Regel kommt.
„Was auch immer die Ursache ist: Weiblicher Schmerz darf nicht normalisiert werden“, sagt Verena Buck. Die Wienerin weiß, wovon sie spricht. Wie erwähnt dauerte ihr Leidensweg 28 Jahre, die Diagnose bekam sie erst 2024. Sie lag im Aufwachraum des AKH, nachdem ihr die Gebärmutter entnommen worden war. Bucks Zimmernachbarin war erstaunt, dass die OP um einiges länger gedauert hatte als besprochen. Später erklärte die Ärztin Buck, dass sie nicht nur die erwarteten gutartigen Wucherungen (Myome) gefunden hatte, sondern auch zahlreiche Endometrioseherde. Seit der OP geht es Verena Buck zunehmend besser.
Selbsthilfe: Verein Endometriose Österreich
Ist die Entfernung der Gebärmutter ebenfalls eine gängige Therapie bei Endometriose? „Wir versuchen, das zu vermeiden. Vor allem, wenn es noch einen Kinderwunsch gibt, ist dies keine Option“, sagt Wenzl. Meist reicht es aus, nur die Herde zu entfernen.
Früher litten die Frauen meist, bis die Wechseljahre überstanden waren. Danach beruhigen sich oftmals auch die Beschwerden. So lange soll heute aber keine Frau mehr warten müssen. Dafür wollen Michaela Kahr, Verena Buck und Annika Kneidinger sorgen. Alle drei engagieren sich in dem von Kahr 2022 gegründeten Verein Endometriose Österreich. Als sie vor einem Jahr zum ersten Mal zu einem Treffen kam, war das wie eine Offenbarung für Verena Buck: „Es kam kein Augenrollen, kein Infragestellen meiner Schmerzen, nur Unterstützung.“
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Franziska Dzugan
schreibt für das Wissenschaftsressort, ihre Schwerpunkte sind Klima, Medizin, Biodiversität, Bodenversiegelung und Crime.