Ischgl und das Coronavirus: Immer mehr Kritik an Tiroler Behörden

Späte Reaktion auf Warnungen aus Island, falsche Angaben zum Übertragungsrisiko und keine Schließung der Skigebiete: Den Tiroler Behörden wird vorgeworfen, die Bergbahnlobby vor die Gesundheit ihrer Bürger und Gäste gestellt zu haben. Tirols Gesundheitslandesrat Bernhard Tilg (ÖVP) weist die Kritik zurück.

Drucken

Schriftgröße

Bereits am Freitag berichtete profil, dass sich über 100 Dänen im Tiroler Wintersportort Ischgl mit dem Coronavirus angesteckt haben. Vor allem Gäste aus Skandinavien und Deutschland verbrachten Ende Februar und Anfang März ihren Urlaub in Ischgl. Mittlerweile sind mehrere Hundert Ansteckungen auf Aufenthalte von Skitouristen in Ischgl zurückzuführen. Island schlug als erstes Land Alarm. Eine Gruppe Isländer war nach ihrer Rückkehr aus Ischgl positiv auf das Coronavirus getestet worden und musste unter Quarantäne. Island informierte daraufhin die Tiroler Behörden und setzte Ischgl am 5. März auf die gleiche Gefahrenstufe wie den Iran und das chinesische Wuhan - als absolutes Risikogebiet.

"Keine weitere medizinische Abklärung nötig“

Die Tiroler Behörden reagierten jedoch nicht. Vonseiten des Landessanitätsdirektors Franz Katzgraber hieß es: „Aus medizinischer Sicht“ sei es „wenig wahrscheinlich, dass es in Tirol zu Ansteckungen gekommen ist.“ Den ersten offiziellen Coronafall meldete Ischgl am 7. März. Betroffen war ein Barkeeper der Apres-Ski-Bar „Kitzloch“. Dass sich die Bar, in der jeden Abend dichtgedrängt Menschen feierten, als Hotspot für Coronafälle erweisen könnte, glaubten die Behörden jedoch offenbar nicht. Dazu war auf der Facebook-Seite des Landes Tirol zu lesen: „Für alle BesucherInnen, die im besagten Zeitraum in der Bar waren und KEINE Symptome aufweisen, ist keine weitere medizinische Abklärung nötig.“ Erst als 15 Menschen im Umfeld des positiv getesteten Barkeepers ebenfalls am Coronavirus erkrankten, wurden die Tiroler Behörden langsam aktiv. Am 10.März wurden alle Apres-Ski-Lokale in Tirol geschlossen.

Wirtschaftsministerin: Schramböck: Offenhalten der Lifte "nicht richtig"

Trotzdem vergingen sechs weitere Tage, bis die Skilifte am 16. März geschlossen wurden. Zu diesem Zeitpunkt waren die Gebiete Paznauntal, in dem Ischgl liegt, und St. Anton am Arlberg von der Bundesregierung bereits unter Quarantäne gestellt worden. Im Interview mit profil zeigte sich der Bürgermeister von St. Anton am Arlberg, Helmut Mall, verwundert, über das späte Reagieren der Behörden: "Ich war schon seit Wochen skeptisch, dass wir weiterhin wöchentlich 200.000 Gäste nach Tirol geholt haben." Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) äußerte sich gestern in der ZIB Spezial ebenfalls skeptisch und bezeichnete das lange Offenhalten der Lifte als "nicht richtig".

"Die Behörden haben alles richtig gemacht"

Gesundheitslandesrat Bernhard Tilg (ÖVP) wies am Montag in der "ZiB 2" alle Vorwürfe zurück, Tirol - das mit jetzt 313 die meisten Krankheitsfälle hat - habe zu spät auf die Corona-Bedrohung reagiert. "Die Behörden haben alles richtig gemacht", erklärte er wiederholt, angesprochen auf Vorhalte, die Skisaison sei zu spät beendet oder man habe Touristen aus Ischgl nach Verhängung der Quarantäne unkontrolliert ausreisen lassen.

Der Vorwurf, dass sich die Bergbahnlobby durchgesetzt habe, "stimmt nicht". Tirol habe ständig Maßnahmen getroffen, "die Gesamtvorgangsweise war richtig", sagt Tilg. Dazu, dass St. Christophen - ein Nebenort von St. Anton - nicht ebenfalls unter Quarantäne gestellt wurde, obwohl dort nach einem Ärztekongress mehrere Menschen positiv getestet wurden, meinte Tilg: Es gebe noch andere Gemeinden in Österreich mit positiven Fällen.

Am Sonntag hat Tirols Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) eine de facto Ausgangssperre über das Land verhängt.