Sexualstrafrecht: Ist „Nur Ja heißt Ja“ bloße Symbolpolitik?
Das Problem ist nicht erst seit dem Fall Anna bekannt: Sexueller Missbrauch und Vergewaltigungen sind vor Gericht schwer beweisbar, viele Opfer schrecken vor Anzeigen zurück. Doch selbst wenn es zu Prozessen kommt, enden sie oft mit Freispruch. Aktuell gilt im österreichischen Sexualstrafrecht das Prinzip „Nein heißt Nein“, festgeschrieben durch den Tatbestand der „Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung“: Wer eine Person gegen deren Willen oder durch Ausnutzung von Zwang oder Einschüchterung zu sexuellen Handlungen zwingt, macht sich strafbar. Das klingt etwas technisch, in der Praxis bedeutet das: ein Opfer muss eine sexuelle Handlung verneinen – ein Gegenwille muss erkennbar sein. Damit ist nicht nur ein ausgesprochenes Nein gemeint, auch Weinen oder Abwehrhandlungen werden gerichtlich als Gegenwillen verstanden. Und diese Regelung steht derzeit unter starker Kritik. Ein Grund: In manchen Situationen ist es dem Opfer nicht möglich, ein Nein zu artikulieren, beispielsweise durch eine Schockstarre.
Politische Bestrebungen
Die Lösung für das Problem wäre eine Weiterentwicklung des Sexualstrafrechts hin zu dem Prinzip „Nur Ja heißt Ja“ – eine Verschärfung, welche die SPÖ-Frauen seit Jahren fordern. Mit „Nur ja heißt Ja“ braucht es die Zustimmung aller Beteiligten einer sexuellen Handlung, erklärt Opferanwältin Patricia Hofmann. Das bedeutet, es müsste eine non-verbale oder verbale Zustimmung, also ein „Ja“ erkennbar sein. Eine Evaluierung des Sexualstrafrechts ist im Regierungsprogramm vage festgeschrieben, doch das heißt noch lange nicht, dass dieses sogenannte Zustimmungsprinzip umgesetzt wird. Während Justizministerin Anna Sporrer im profil-Interview Anfang September noch nicht sagen wollte, ob die Verschärfung in der Koalition eine Mehrheit finden würde, kündigte sie am Montag eine Weiterentwicklung des Sexualstrafrechts und die Umsetzung von „Nur Ja heißt Ja“ an. Sie will den Fall Anna nun offenbar nutzen, um ihr Anliegen durchzubringen. Sporrer ist nicht die Einzige, die eine Verschärfung fordert – auch aus der ÖVP gibt es Befürworterinnen. So kritisieren auch Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner und die ebenfalls aus Niederösterreich stammende Verteidigungsministerin Klaudia Tanner das derzeitige Sexualstrafrecht und sprechen sich für eine Verschärfung aus.
Trotz wachsender Zustimmung für eine Verschärfung des Sexualstrafrechts bleibt eine Frage bestehen: Wie würde das Zustimmungsprinzip die Rechtsprechung verändern?
Kein klarer Konsens
Die Änderung zu „Nur Ja heißt Ja“ hätte zunächst eine gesellschaftspolitische Wirkung, betont Opferanwältin Patricia Hofmann: „Die Änderung der Grundhaltung ist besonders wichtig: Die Zustimmung zu sexuellen Handlungen von allen beteiligten Personen muss im Mittelpunkt stehen und nicht das Nein oder andere Abwehrhandlungen“, erklärt Hofman. Mit dieser Einschätzung ist die Opferanwältin nicht allein, auch der Frauenring fordert die Umsetzung des Zustimmungsprinzips. Denn: „Täter werden mehr in die Verantwortung genommen“, hofft Klaudia Frieben, Leiterin des Frauenrings. „Derzeit muss sich das Opfer rechtfertigen und erklären, ob und wie die sexuelle Handlung verneint wurde. Mit ‘Nur Ja heißt Ja’ muss der Täter erklären, wie das Opfer zugestimmt hat.“ Die damit verbunde Hoffnung, dass Betroffene häufiger Anzeige erstatten und vor Gericht ernst genommen werden.
Das Problem ist: Frauen haben das Vertrauen in die Behörden verloren.
Es gibt aber auch Stimmen, die skeptischer sind. Darunter: Elena Haslinger, Präsidentin der Vereinigung Österreichischer Staatsanwältinnen und Staatsanwälte. „Im Strafrecht wird nie ein Beschuldigter oder ein Angeklagter seine Unschuld beweisen müssen – das ist die Pflicht des Staates, in dem Fall der Staatsanwaltschaft beziehungsweise des Gerichtes“, betont Haslinger. In einzelnen Fällen könnte „Nur Ja heißt Ja“ eine Veränderung bewirken – doch im Strafrecht gelte weiterhin der Zweifelsgrundsatz – wenn unauflösbare Zweifel bestehen, wie sich das Geschehen zugetragen hat, muss die Staatsanwaltschaft beziehungsweise das Gericht von der Version ausgehen, die für den Beschuldigten die günstigste ist.
In zumindest einem Punkt sind Haslinger und Hofmann sich einig: Egal ob „Nein heißt Nein“ oder „Nur Ja heißt Ja“ – das Problem der Beweisbarkeit würde in vielen Fällen bestehen bleiben.
Strukturen statt Symbolik
Im profil-Gespräch weist Frieben vom Frauenring auf ein aus ihrer Sicht relevanteres Problem hin: Bei der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen gäbe es nicht nur die eine rechtliche Herausforderung. „Das Problem ist: Frauen haben das Vertrauen in Behörden verloren“, so Frieben, „denn Anzeigen bei einer Vergewaltigung werden häufig eingestellt oder es findet gar kein Verfahren statt.“ Auch die Staatsanwältin Haslinger sieht Möglichkeiten der Verbesserung: „Wichtig wäre, bessere Beweise zu erlangen – diesbezüglich spielen Gewaltambulanzen eine große Rolle.“
Ein Ausbau der Ambulanzen, die Beweise nach Vergewaltigungen sichern, würde laut der Juristin die Beweislage verbessern. Egal, ob das Prinzip „Nein heißt Nein“ oder „Ja heißt Ja“ lautet.