Kuratorium für Verkehrssicherheit: E-Scooter auf 20km/h drosseln
2018 kamen die ersten E-Scooter-Anbieter nach Österreich. Heute gehören die elektrischen Roller zum Stadtbild – viele sind aber genervt. Was ist Ihr Resümee?
Klaus Robatsch
Bis Juni 2019 durften E-Scooter offiziell noch auf Gehsteigen fahren. Danach wurden sie rechtlich den Fahrrädern gleichgestellt. Seither gilt eigentlich die Benutzungspflicht von Radwegen oder Radfahrstreifen, wenn vorhanden, ansonsten die Fahrbahn – aber keinesfalls der Gehsteig. Das war damals eine sehr sinnvolle Maßnahme.
Damit sollten E-Roller eigentlich nur auf Radwegen fahren dürfen.
Robatsch
Diese Entscheidung war richtig, wurde aber nicht zu Ende gedacht. Denn rechtlich sind E-Scooter zwar Fahrrädern gleichgestellt, technisch jedoch nicht. Bei Fahrrädern sind etwa zwei Bremsen, eine Glocke und ein Licht vorgeschrieben – für E-Scooter gilt das österreichweit noch nicht.
Verkehrsminister Peter Hanke (SPÖ) will Elektromopeds von den Radwegen verbannen. Ist die Straßenverkehrsordnung bei der E-Mobilität nicht mehr zeitgemäß?
Robatsch
Genau das ist das Problem: Die Begriffe wie E-Bike, E-Moped, E-Scooter oder Pedelec werden oft durcheinander verwendet, es gibt keine klaren Definitionen. Der Ausdruck E-Moped wird derzeit für E-Bikes bis 25 km/h verwendet – dazu zählen auch E-Scooter. Genau genommen sind das alles E-Bikes und nicht Pedelecs (Fachbegriff für E-Bike mit Tretunterstützung, Anm).
Braucht es also neue Kategorien?
Robatsch
Ja. Unser Vorschlag ist, dass Pedelecs, bei denen man selbst treten muss, wie bisher auf 25 km/h und bis 250 Watt beschränkt bleiben. Zusätzlich braucht es eine eigene Gruppe für E-Bikes ohne Tretunterstützung – dazu gehören auch E-Scooter und die sogenannten E-Mopeds. Für diese Fahrzeuge empfehlen wir eine Bauartgeschwindigkeit von 20 km/h. Damit könnten sie auch weiterhin Radwege nutzen. Denn was wäre die Alternative – dass sie dann auf die Fahrbahn ausweichen müssen?
Abgesehen von den Problemen, hat der E-Scooter auch Vorteile?
Robatsch
Ja, er erweitert die Mobilität. Man ist schneller am Ziel, es ist eine praktische Unterstützung – grundsätzlich also positiv. Aber es muss sicherer werden, und dafür braucht es bessere Rahmenbedingungen. Die wichtigsten Maßnahmen sind qualitativ und quantitativ hochwertigere Radinfrastruktur.
Also noch mehr Radwege?
Robatsch
Vor allem ausreichend breite Radwege. Schon für klassische Radfahrende sind sie oft zu schmal – mit E-Scootern, E-Mopeds und Lastenrädern wird es noch enger. Zudem besteht der Großteil des Radwegenetzes im Ortsgebiet aus Mischverkehrsflächen, wo Tempo 30 oder weniger gilt. Wichtig ist, dass diese Geschwindigkeitslimits dann auch tatsächlich eingehalten werden.
Die Unfallzahlen und auch die Verkehrstoten mit E-Scootern steigen. Sollte gesetzlich nachgeschärft werden?
Robatsch
Unbedingt. 2024 gab es 7.500 verunglückte E-Scooter-Fahrende, die im Krankenhaus behandelt werden mussten. 2019 waren es erst 1.200 – das ist eine Versechsfachung in sechs Jahren. Das ist ein Wahnsinn. Wir brauchen daher mehrere Maßnahmen: bessere Infrastruktur, eine Senkung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 25 auf 20 km/h und technische Vorgaben wie zweite Bremse, Glockenhupe und eine verpflichtende Ausstattung mit Blinkern.
Worauf sollten die E-Scooter-Fahrenden selbst achten?
Robatsch
Natürlich muss auch an die E-Scooter-Fahrenden appelliert werden, die vorgeschriebenen Geschwindigkeiten einzuhalten. Nur so können andere Verkehrsteilnehmende – besonders im Kreuzungsbereich – rechtzeitig wahrgenommen werden. Dafür braucht es mehr Bewusstsein: Ein E-Scooter ist wegen seiner kleineren Reifen auf Straßenbahnschienen, bei Regen oder auf nasser Fahrbahn viel schwieriger zu fahren. Deshalb muss man dementsprechend angepasst fahren.
Gleiches hat man über das Angurten im Auto gesagt. Wer sich anschnalle, fahre schneller. Es ist immer das Gleiche.
Kuratorium für Verkehrssicherheit
Braucht es eine Helmpflicht für E-Scooter?
Robatsch
Wir müssen es schaffen, nicht nur Unfälle zu verhindern, sondern auch die Verletzungsschwere zu reduzieren. Dafür erheben wir Daten in Krankenhäusern im Rahmen von KFV IDB Austria: Jedes Jahr führen wir dort tausende Interviews mit Unfallopfern. Diese Daten werten wir dann aus und können so unter anderem vergleichen, wie groß das Unfallrisiko mit oder ohne Helm ist. Das Ergebnis ist eindeutig: Ohne Helm ist die Gefahr einer Schädel-Hirn-Verletzung 6,4-mal höher.
Kritiker meinen, durch eine Helmpflicht, würden sich Verkehrsteilnehmer in einer falschen Sicherheit wiegen und dadurch risikobereiter fahren.
Robatsch
Diese Argumente gibt es seit Jahrzehnten. Beim Motorrad hieß es, mit einer Helmpflicht werde schneller gefahren. Gleiches hat man über das Angurten im Auto gesagt. Wer sich anschnalle, fahre schneller. Es ist immer das Gleiche. Am Ende bleibt aber: Solche Maßnahmen senken nachweislich die Verletzungsschwere.
Von einer Helmpflicht wären auch die Leihscooter betroffen. Niemand trägt einfach so einen Helm mit sich – die Anbieter bangen um Ihre Geschäftsbasis.
Robatsch
Es gibt bereits Systeme, bei denen Helme direkt am Roller befestigt sind, samt Reinigungsmitteln für die Hygiene. Also möglich ist das. Man muss entscheiden, was ist wichtiger. Wir haben 96.000 Verkehrsverletzte in Österreich, davon 7.500 mit E-Scootern.
Ist der E-Scooter ein Beitrag zur Verkehrswende oder bloß ein Lifestyle-Gadget?
Robatsch
Im urbanen Raum ist er eine sinnvolle Form der Fortbewegung und trägt durchaus zur Verkehrswende bei. Aber das Potenzial wird noch nicht ausgeschöpft – derzeit ersetzt er oft nur Wege, die sonst mit öffentlichen Verkehrsmitteln gefahren würden.
Was müsste passieren, damit der E-Scooter ein besseres Image bekommt?
Robatsch
Wichtig ist, dass er nicht auf Gehwegen unterwegs ist. Dort bewegen sich die schwächsten Verkehrsteilnehmer – etwa mobilitätseingeschränkte Menschen, Kinder, Seniorinnen und Senioren. Ansonsten leidet das Image massiv. Wer einen E-Scooter nutzt, muss sich bewusst sein: Das ist kein Spiel- oder Sportgerät,– sondern ein Verkehrsmittel – und im Straßenverkehr zählen Aufmerksamkeit und Konzentration.
Würden Sie den E-Scooter als Verkehrsmittel empfehlen?
Robatsch
Ja, ich kann ihn empfehlen. Ich fahre ihn selbst.
Klaus Robatsch
seit 1992 im Kuratorium für Verkehrssicherheit als Verkehrstechniker und Verkehrsplaner tätig, seit 2005 als Leiter des Bereichs für Verkehrssicherheit. Er leitet zahlreiche Forschungsprojekte zu verschiedensten Aspekten der Verkehrssicherheit und gibt sein Wissen seit 1999 als Lektor an der TU Wien und der Fachhochschule des bfi Wien weiter.