Landwirtschaftsminister Totschnig ist seit Mai im Amt.

Landwirtschaftsminister Totschnig: „Niemand wird hungern“

Wie lange können wir uns noch ein Schnitzel leisten? Bleiben Landwirtschaft und Tierschutz ewige Gegensätze? Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig im profil-Gespräch.

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profil: Herr Minister, wie oft essen Sie Fleisch?

Totschnig: Wahrscheinlich drei Mal in der Woche. Fleisch ist ein wertvolles Lebensmittel, bei dem Österreich sehr auf Qualität setzt.

profil: Ein argentinisches Angus-Steak kommt nicht auf Ihren Teller?

Totschnig: Gern, wenn ich in Argentinien bin, aber nicht hier.

profil: Wie lange werden sich die Österreicherinnen und Österreicher ihr Schnitzel noch leisten können?

Totschnig: Unser Krisenstab verfolgt sehr genau, wie sich die Lebensmittelpreise und Warenströme entwickeln. Wir beobachten, dass die Konsumenten preissensibler einkaufen, aber Premium-Produkten dennoch treu bleiben. Wer etwa beim Fleisch Bio kauft und auf das Tierwohl achtet, steigt nicht um, sondern geht sparsamer damit um.

profil: Wie stehen Sie zu Mehrwertsteuersenkung und Preisregulierung bei Grundnahrungsmitteln?

Totschnig: Niemand kann garantieren, dass der Handel die Senkung an die Kunden weitergeben würde. Als Bundesregierung setzen wir auf gezielte Entlastungen, keine Ausschüttungen mit der Gießkanne. Die im Jänner beschlossene ökosoziale Steuerreform hat ein Volumen von 18 Milliarden Euro, das im April beschlossene Anti-Teuerungspaket vier Milliarden Euro, das große Paket vom Sommer insgesamt 28 Milliarden Euro, der 500-Euro-Klimabonus und der Familienbonus werden bereits ausbezahlt. Österreich hat von allen EU-Ländern am meisten entlastet. Die Abschaffung der kalten Progression wird im Herbst beschlossen, ebenso die Stromkostenbremse für alle Haushalte.

profil: Es muss sich also niemand fürchten, nichts zum Essen zu haben?

Totschnig: Es wird niemand hungern, es gibt ausreichend Lebensmittel. Ja, es gibt eine hohe Inflation. Aber wir haben nach wie vor gute, wirtschaftliche Rahmenbedingungen, Wachstum, Rekordbeschäftigung. Außerdem ist Österreich Teil der Europäischen Union, die bei fast allen landwirtschaftlichen Produkten Nettoexporteur ist.

profil: Wenn die Preise für Milch, Fleisch, Getreide steigen, müsste die Welt für Bauern eigentlich in Ordnung sein.

Totschnig: Es stimmt, die Preise sind so hoch wie nie. Allerdings sind auch die Kosten für Dünger, Futtermittel und Energie enorm gestiegen. Wir reden von über einer Milliarde Euro Mehrbelastung für die Bauern.

profil: Die allerdings kompensiert wird.

Totschnig: Ob sich das ausgeht, sehen wir am Ende des Jahres. Die gestiegenen Betriebsmittelkosten bringen unsere bäuerlichen Familienbetriebe unter Druck, daher habe ich ein 110-Millionen-Euro-Versorgungssicherungspaket geschnürt. Zusätzlich heben wir erstmals die Grenzwerte für die steuerliche Pauschalierung an, die von Bürokratie und Zettelwirtschaft entlastet.

Die Bilder von den großen Monokulturen stammen meistens nicht aus Österreich." 

Norbert Totschnig

profil: Düngemittel sind nicht nur teuer, sondern schädigen auf lange Sicht die Böden. Wäre ein geringerer Verbrauch nicht ohnedies der richtige Weg?

Totschnig: Das stimmt nicht. Der richtige Einsatz von Düngemitteln sichert die Ernte und den Boden. Abgesehen davon läuft in Österreich seit dem EU-Beitritt 1995 ein Agrar-Umweltprogramm, an dem über 80 Prozent der heimischen Betriebe teilnehmen. In weltweiten Rankings sind wir bei Nachhaltigkeit führend. 26 Prozent der Fläche und 22 Prozent der Betriebe sind Bio-Landwirtschaft, Tendenz steigend. Die Ziele, die sich die EU mit dem Green Deal vornimmt, haben wir schon erreicht.

profil: Viele Betriebe sind in einer Steigerungslogik gefangen: Große Mais-Monokulturen rechnen sich, weil es Förderungen gibt. Die Maschinen, die immer größer und teurer werden, gehören der Bank.

Totschnig: Die Bilder von den großen Monokulturen stammen meistens nicht aus Österreich. Unsere Landwirtschaft ist mit einer durchschnittlichen Nutzfläche von 23 Hektar klein strukturiert, das Umweltprogramm schreibt sehr viel vor, etwa bei den Fruchtfolgen.

profil: Wie verstehen Sie sich mit Ihren Kollegen aus Ländern mit intensiver Landwirtschaft wie Dänemark oder den Niederlanden?

Totschnig: Ich pflege gute Kontakte in alle Mitgliedstaaten. Viele haben uns als die Österreicher mit ihrer netten Landwirtschaft belächelt. Nun zeigt sich, dass wir mit dem ökosozialen Weg richtigliegen. Laut Regierungsprogramm soll der Anteil an biologischer Landwirtschaft auf 30 Prozent steigen. Dafür braucht es eine marktkonforme Weiterentwicklung: Was nützt eine biologische Produktion, wenn die Konsumenten die Produkte nicht kaufen?

profil: Es gibt – auch in der Landwirtschaft – Menschen, die als Spinner gelten, in Wahrheit aber oft innovative Köpfe sind. Viele klagen, dass sie keine Förderungen kriegen und man ihnen Steine in den Weg wirft.

Totschnig: Ich habe im Sommer viele Betriebe besucht, die innovativ unterwegs sind, von Direktvermarktung über Buschenschank bis Bioenergie. Diese Pioniere sind aus unserer Sicht voll zu unterstützen, weil sie Vorbilder sind.

profil: Das größte Projekt Ihrer bisherigen Amtszeit war ein Tierschutzgesetz. Hat es Sie irritiert, dass Sie sogar von den resoluten Tierschützer vom „Verein gegen Tierfabriken“ mit Einschränkungen gelobt wurden?

Totschnig: Unser Ziel als Koalition ist, Projekte gemeinsam umzusetzen – das haben wir mit dem Tierwohlpaket geschafft. Das ist eine Lösung, die gemeinsam mit den Branchen erarbeitet wurde und gut für alle ist: für die Bauern, die Planungssicherheit bekommen, für den Tierschutz, der damit weiterentwickelt wird, und für die Konsumenten. Unstrukturierte Vollspaltenbuchten in der Schweinehaltung laufen mit Ende 2039 aus, im Um- und Neubau sind sie schon ab 2023 verboten.

profil: Tierwohl steht oft im Widerspruch zu einer profitablen Landwirtschaft. Hat sich das nun in Luft aufgelöst?

Totschnig: In diesem Spannungsfeld stehen wir immer. Wir wollen das Tierwohl weiterentwickeln und die Versorgung sicherstellen. Sonst werden Produkte mit schlechteren Standards aus dem Ausland importiert.

profil: Einen ähnlichen Zielkonflikt gibt es zwischen Ernährungssicherheit und Klimaschutz. Muss das so sein, dass zum Beispiel der Schutz des Bodens zulasten der Erträge geht?

Totschnig: Klimaschutz gegen Versorgungssicherheit auszuspielen, nützt niemandem. Unser Kompass ist das ökosoziale Modell. Wir müssen uns überall weiterentwickeln, nicht abrupt, sondern Schritt für Schritt. Die Digitalisierung wird eine Hilfe sein. Außerdem brauchen wir begleitende Forschung. Die Landwirtschaft ist nur für zehn Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Allerdings: Die Hälfte der Nutzfläche ist Grünland, die man nur über den Rindermagen verwerten kann, für die Produktion von Milch und Fleisch. Die Bauern sind jedenfalls keine Klimakiller.

Klimaschutz gegen Versorgungssicherheit auszuspielen, nützt niemandem. 

Norbert Totschnig

profil: Ihre Vorgängerin Elisabeth Köstinger hat sich über die „unmoralischen Dumpingpreise“ im Lebensmittelhandel mokiert. Ärgern Sie sich auch darüber?

Totschnig: Meine Vorgängerin hat den Beschluss des Gesetzes gegen unlautere Geschäftspraktiken durchgesetzt. Außerdem wurde im März ein Fairness-Büro eröffnet, an das sich Betroffene wenden können. Das ist ein Riesenvorteil.

profil: Sind die Rewe- und Spar-Vorstände schon bei Ihnen gesessen?

Totschnig: Wir haben bereits ausführlich über die Anliegen des Handels, aber auch der Produzenten gesprochen.

profil: Den ÖVP-Untersuchungsausschuss bezeichnete Ihre Vorgängerin als „Löwinger-Bühne“. Sie waren dort noch nie zu Gast …

Totschnig: … aber ich kenne als ehemaliger Mitarbeiter im ÖVP-Klub die U-Ausschüsse sehr gut.

profil: Was ist Ihr Eindruck?

Totschnig: Mir bereitet dieses ständige Kampagnisieren und Anschütten große Sorgen, weil es zu einem Vertrauensverlust in der Politik führt. Der U-Ausschuss wird als politisches Tribunal missbraucht.

profil: Ihr Haus geriet vor Ihrer Zeit als Minister wegen einer angeblichen Zahlung in Höhe von 300.000 Euro an ein Medium des ÖVP-Bauernbundes in Kritik. Sie haben dazu einen Bericht in Aussicht gestellt.

Totschnig: Das ist so nicht korrekt. Gegenstand ist ein europaweit ausgeschriebener Auftrag des Landwirtschaftsministeriums aus dem Jahr 2017 für die Produktion einer Magazin-Reihe. Im Sinne der Transparenz habe ich die Innenrevision beauftragt, sich das anzuschauen.

profil: In Tirol wird in zwei Wochen der Landtag neu gewählt. Wie geht es Ihnen als Tiroler angesichts der schlechten Umfragewerte des Spitzenkandidaten Anton Mattle?

Totschnig: Am Ende des Tages entscheidet das Ergebnis. Ich sehe Anton Mattle als extrem engagierten, inhaltlich breit aufgestellten Wahlkämpfer, der mit großer Freude auf die Leute zugeht und begeistern kann.

profil: Eine Koalition mit der FPÖ hat Mattle ausgeschlossen. War das taktisch richtig?

Totschnig: Ich würde vor einer Wahl grundsätzlich niemanden ausschließen. Er hat sich so positioniert, nachdem FPÖ-Chef Kickl den Klimawandel infrage gestellt hat, daher kann ich Mattles Aussage nachvollziehen.

profil: Laut einer neuen Wertestudie sind 40 Prozent der Bevölkerung mit der Demokratie unzufrieden. Sollten bei einem Politiker da nicht alle Alarmglocken schrillen?

Totschnig: Sie müssten bei den Politikern, bei den Medien, bei allen schrillen, die dazu beitragen, wie Diskussionen geführt werden und wie die Stimmung im Land ist. Mein Zugang ist, als Regierungsmitglied konsequent für die Bevölkerung zu arbeiten. Es gab noch nie so viele Krisen auf einmal, da braucht es eine funktionierende Koalition. Wir haben mit den Grünen ein gutes Übereinkommen.

profil: Herr Minister, vielleicht haben Sie gehofft, dass wir Sie nicht auf die Wölfe in Tirol ansprechen …

Totschnig: … ich habe damit gerechnet.

profil: Der Schaden, den Wölfe anrichten, ist beträchtlich. Darf man zwei Wochen vor der Landtagswahl darüber reden, dass es zu viele sind?

Totschnig: Die Debatte ist sehr emotional. Wir haben Rechtsgrundlagen aus den 1970er- und 1990er-Jahren, als es keine Wölfe in Österreich gab. Inzwischen stellt sich die Lage anders dar. Selbst große Tierschutzorganisationen sagen, dass der Wolf in Europa nicht mehr vom Aussterben bedroht ist. Wir sehen Rudelbildungen in allen Teilen Europas. Daran muss die EU-Richtlinie angepasst werden. Bundeskanzler Nehammer und ich werden dazu eine Diskussion auf EU-Ebene anstoßen. Es geht um den Erhalt unserer Almwirtschaft und Kulturlandschaft, die Grundlage für den Tourismus sind, aber auch um die Sicherheit, weil die Raubtiere bis zum Siedlungsgebiet vordringen.

profil: Kühe sind auch nicht ungefährlich für Menschen. Immer wieder kommt es zu Zwischenfällen.

Totschnig: Der Wolf ist ein Raubtier, die Kuh ist ein Nutztier, das nur ihr Kalb beschützt.

profil: Haben Sie einen Jagdschein?

Totschnig: Ja.

profil: Das heißt, Sie könnten Wölfe auch selbst erlegen. In Ihrer Heimat in Osttirol erließ die Behörde Abschussbescheide für vier Wölfe.

Totschnig: Das überlasse ich den zuständigen Landesjägern.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges