Signation! Wuchtige Lettern in Weiß und Rot auf grünem Fond schweben vorbei: SPÖ eins. Das Programm ist deutlich schmäler. Seit bald einem Monat ist SPÖ eins bereits auf Sendung, abrufbar sind auf YouTube (abgesehen von den Ankündigungen) bloß fünf Videos, dazu noch acht Kurzversionen („Shorts“) desselben Materials. Das SPÖ-Binge-Watching der vergangenen drei Wochen lässt sich in 38 Minuten erledigen. Dazu kommt noch ein Livestream des einmal im Jahr stattfindenden SPÖ-Themenrates (4:22:18) für Anhänger ungeschnittener Rede-Stafetten.
Drüben auf FPÖ-TV gingen im selben Zeitraum 39 Videos raus, dazu 27 Shorts und sieben Livestreams. Der Unterschied im Programmschema ist rasch erklärt: Während die FPÖ „täglich Beiträge zu aktuell politisch brisanten Themen“ liefert, gibt man sich bei SPÖ eins mit einem „Wochenrückblick“ als Flaggschiff-Sendung zufrieden.
„Hallo und herzlich willkommen! Mein Name ist Anna, und das ist der Wochenrückblick“, sagt Anna Ernst, SPÖ-eins-Moderatorin. Der neue Parteisender will sympathisch rüberkommen, das Publikum wird geduzt, Anna trägt Jeans und Pulli.
Ein Wochenrückblick mutet im digitalen Hochgeschwindigkeitsbetrieb an wie ein Format aus der Ära, als politische Kommunikation ihren Höhepunkt in ORF-Belangsendungen fand. SPÖ eins will „sozialdemokratisch einordnen“ und „aufklären“, sagt Anna, und wer eingeschaltet hat, versteht die Botschaft: Bloß nicht hetzen und scharfmachen wie der andere, böse Kanal von Du-weißt-schon-wem.
Damit manövriert sich SPÖ eins nach sechs Sekunden Sendezeit bereits in die nächste Lose-lose-Situation. Entweder die Redaktion entsagt der Versuchung, ihr Publikum mit aggressiver Kommunikation und scharfen Attacken auf politische Gegner aufzuwühlen, und riskiert damit, ähnlich einer Schulfunksendung wissenshaltige Fadesse zu verströmen. Oder sie macht sich den an- und untergriffigen Sound der FPÖ zu eigen und kann dann ihren moralisch durchgestreckten Zeigefinger in den Fleischwolf stecken.
Die bisherigen Sendungen zeigen, dass die SPÖ ihre Angst vor Fadesse ziemlich gut im Griff hat. Die wütendsten Angriffe im Wochenrückblick klingen etwa so: „Bei den anderen sparen, nur nicht bei sich selbst – das ist das Motto der FPÖ.“ Oder: Rabattaktionen der Supermärkte seien „gemeine Tricks aus der Verhaltenspsychologie, die hier angewendet werden. Mit einem Ziel: den Menschen in Österreich heimlich das Geld aus der Tasche zu ziehen.“
Zum Vergleich der Umgangston auf FPÖ TV: „Diese ÖVP-Dame ist völlig daneben!“, „Die Verlierer-Ampel kann es nicht!“, „Die Medien manipulieren, sie betrügen, sie lügen!“ oder „Die ÖVP spürt sich nicht mehr!“
Ein Problem der SPÖ ist der quälende Mangel an herzeigbaren Feinden. Die Regierungspartner ÖVP und Neos fallen schon aus Gründen der Koalitionsdisziplin aus, die Grünen würden durch übermäßige Aufmerksamkeit eher aufgewertet, und dauernd die FPÖ zu piesacken, wirkt rasch obsessiv. Bereits in Folge drei des Wochenrückblicks muss der Thinktank Agenda Austria als Aufreger herhalten, der kaum als Wutobjekt für die Massen taugt.
Also werden im Wochenrückblick eher allgemein die hohen Mieten und Lebensmittelpreise beklagt, und Sätze wie „Am Ende zahlen die Kleinen drauf, und die Großen häufen ihr Vermögen weiter an“ lassen das Publikum im Unklaren, gegen wen es seinen allfälligen Zorn konkret richten sollte. Ein SPÖ-eins-Zuseher meint in der Kommentarspalte auf YouTube: „Der Ton könnt a bissl schärfer werden, die Zeit für political correctness ist vorbei.“ Für dieses Posting bekommt er kein Like von SPÖ eins.
Die FPÖ tut sich leicht
Bei der Suche nach Zielscheiben tut sich die FPÖ vergleichsweise leicht. Eine unvollständige Liste der auf FPÖ TV bevorzugt Geprügelten beinhaltet: alle anderen Parteien, die EU, die Medien (insbesondere die öffentlich-rechtlichen), die Woken, die Linken, die Asylwerber, die NGOs, die WKO und alle Eliten mit Ausnahme der eigenen. Die anderen mögen es Hetze nennen, die FPÖ nennt es Content, und ihr Publikum weiß Brutalität im Ton ebenso zu schätzen wie Radikalität in der Sache.
Sich mit den Erfolgszahlen von FPÖ TV zu vergleichen, könnte der SPÖ-eins-Redaktion rasch den Mut rauben. Schlimmer noch, auch die Kurve der Zuseherzahlen des Wochenrückblicks zeigt jetzt schon nach unten. Mehr als 21.000 Aufrufe verzeichnete die allererste Folge, 6120 die zweite, nur noch 2491 die dritte Ausgabe. Die Zahl der Abonnenten steckt bei 3600 fest.
Man kann an SPÖ eins sehr viel kritisieren. Der Sender kommt viel zu spät, produziert zu wenig, ist optisch bieder, inhaltlich harmlos, mau im Ton. Vieles davon könnte man ändern, und doch bleibt ein echter Erfolg des Unternehmens „Wir holen die Massen auf unseren Kanal“ sehr unwahrscheinlich. Das beste Indiz dafür, dass das nicht einfach ein hausgemachtes Versagen ist, liefert ein Blick auf die YouTube-Kanäle anderer sozialdemokratischer Parteien in Europa. Die deutsche SPD, die französische Sozialistische Partei, die britische Labour Party – all ihre Kanäle dümpeln vor sich hin. Die SPD hat gerade einmal 36.800 Abonnenten, das letzte Video ging vor drei Wochen online und verzeichnet 1300 Aufrufe.
Zwischen dem FPÖ TV und SPÖ eins besteht ein fundamentaler Unterschied. FPÖ TV boomt, weil die Anhängerinnen und Anhänger der Freiheitlichen allen traditionellen Medien misstrauen und sie als Sprachrohre des feindlichen Systems ansehen. Für sie ist FPÖ TV eine rettende Insel, auf der bösartige Faktenchecks, lästige Interviewfragen und angebliche Menschenrechte und sonstige störende Einwände gegen das eigene Weltbild nichts verloren haben.
Die Wähler aller anderen Parteien hingegen finden im breiten Spektrum der Medienlandschaft im Wesentlichen das, was sie an Informationen und Meinungen suchen. Das nimmt SPÖ eins, aber auch vergleichbaren Projekten anderer Parteien weitgehend die Existenzberechtigung.
Ist somit jeder Kanal, der nicht rechts und systemfeindlich daherkommt, zum Scheitern verurteilt?
Nein. In den USA zeigt Bernie Sanders, 84 und Senator des Bundesstaates Vermont, dass ein prononciert linker YouTube-Kanal massentauglich sein kann. Mit 1.170.000 Abonnenten übertrifft er den Kanal der Demokratischen Partei um mehr als das Zwölffache. Dazu kommen 8,4 Millionen Follower auf Instagram, 3,7 Millionen auf TikTok, 14,8 Millionen auf X. Sanders’ Videos sind allesamt kämpferisch, man kann sie auch linkspopulistisch nennen, und sie sind gemacht wie perfekte kurze Dokus. Sanders ist ein hervorragender Redner, sein Team erledigt Kamera, Schnitt und Musik. Wer Sanders folgt, will Sanders zuhören.
Wer wäre der Sanders der österreichischen Sozialdemokratie? Parteichef „Andi“ Babler? Altbundespräsident Heinz „Hei-Fi“ Fischer? SPÖ-Steiermark-Vorsitzender „Lercher-Max“?
„Tschüss“, sagt Anna am Ende des Wochenrückblicks.