Manchmal sind es weltliche Abläufe, in denen sich Kirchliches offenbart. Der Name des künftigen Wiener Erzbischofs wurde etwa nicht in einer sakralen Zeremonie bekannt, sondern über den österreichischen Ministerrat. Dieser hatte vergangenen Donnerstag in einem sogenannten Umlaufbeschluss Josef Grünwidl seinen Segen für das Amt des Obersten Kirchenführers der Wiener Erzdiözese gegeben. Damit sind monatelange Spekulationen über die Nachfolge von Kardinal Christoph Schönborn beendet, der seit Jänner nicht mehr im Amt ist.
Josef Grünwidl war bereits seit Schönborns Abgang im als Apostolischer Administrator tätig und damit so etwas wie der Interimsleiter der Erzdiözese. Grünwidl ist 62 Jahre alt, aufgewachsen in einer Bauernfamilie in Wullersdorf im Weinviertel, 1988 von Kardinal Franz König in Wien zum Priester geweiht. Er fungierte als Kaplan und Jugendseelsorger, war in Schönborns ersten Jahren als Erzbischof dessen Sekretär, ist Pfarrer und Bischofsvikar eines der drei Vikariate der Erzdiözese Wien. Neben Theologie studierte Grünwidl auch das Konzertfach Orgel. In einem Interview mit dem Radiosender Ö1 sagte er, Musik sei für ihn ein „Lebensmittel“ und: „Viele Wege führen zu Gott, einer führt über die Tonleiter.“
Vor allem in der Frage des Zölibats fand der Niederösterreicher in der Vergangenheit deutliche Worte: Zwar sei dieses ein hohes Gut, ein eheloses Leben sehe er jedoch nicht als Voraussetzung für die pastoralen Aufgaben eines Priesters. Gegenüber Ö1 erzählte Grünwidl selbst kürzlich in einem Interview von seinen eigenen Erfahrungen mit der Ehelosigkeit; die Sehnsucht nach einer eigenen Familie würde phasenweise sehr stark werden, dann aber auch wieder abebben.
Wer sich in kirchlichen Kreisen umhört, hört kaum ein schlechtes Wort über Grünwidl. Allerdings haben so manche Zweifel an seiner Erfahrung. Seine pastoralen Tätigkeiten könnten sich sehen lassen, er sei allerdings weder theologisch noch organisatorisch ein Kapazunder.
Als Erzbischofskandidaten wurden auch die Namen des Ex-Caritas-Präsidenten Michael Landau sowie des nunmehrigen Abts von Kremsmünster Bernhard Eckerstorfer kolportiert. Diese sollen jedoch kein Interesse gezeigt haben. Der Name „Josef Grünwidl“ kursierte seit Ende des vergangenen Jahres. Er selbst wollte diesen Job ebenfalls nicht, zumindest war dies der Stand von vor einigen Monaten, als er sich öffentlich in einem ORF-Interview noch entschieden dagegen aussprach. Erst im August meinte er, er sei daran erinnert worden, dass er als Priester zu Gehorsam verpflichtet sei.
Josef Grünwidl mag vielleicht nicht der erste Kandidat gewesen sein, unzufrieden ist man mit der Wahl dennoch nicht. Er sei ein „grundvernünftiger Priester“, „angenehm in der Art“ und noch dazu jemand, der Medientermine wie Interviews in der „ZIB 2“ gut meistert; „ein echter Frontmann“, der vielen sympathisch erscheint und authentisch den Typus des guten Pfarrers verkörpert.
Sein Name landete auf dem Dreiervorschlag, den die Apostolische Nuntiatur in der Wiener Theresianumgasse 31, quasi die Botschaft des Heiligen Stuhls in Österreich, dem Vernehmen nach bereits im Sommer an das sogenannte bischöfliche Dikasterium in Rom geschickt hatte. Das Dikasterium ist eine Art vatikanisches Ministerium, das den Papst bei der Wahl und Ernennung neuer Bischöfe unterstützt. Bevor der US-Amerikaner Robert Francis Prevost im Mai zu Papst Leo XIV. gewählt wurde, war er selbst Präfekt dieser Einrichtung. Sein Nachfolger, der Italiener Filippo Iannone, trat sein Amt nur einen Tag vor dem österreichischen Ministerrat an. Die Sache musste offenbar rasch gehen. Die Aufgaben, die auf Schönborns Nachfolger warten, sind groß.
Grünwidl wird der größten Diözese Österreichs vorstehen, neben Wien umfasst sie auch die gesamte östliche Hälfte Niederösterreichs. Ihre territorialen Grenzen hat sie seit der Zeit von Kaiser Joseph II. Der Wiener Erzbischof ist nicht nur Ordinarius der Erzdiözese, er hat 27 weitere Funktionen und ist zudem auch Metropolit, also Vorsitzender einer der beiden österreichischen Kirchenprovinzen, die neben Wien auch Linz, St. Pölten und Eisenstadt umfasst (die zweite Kirchenprovinz unterliegt dem Erzbischof von Salzburg, derzeit Franz Lackner).
Die Erzdiözese Wien zählt 1.054.838 Katholikinnen und Katholiken, 602 Pfarren, 15.412 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, darunter die Caritas, der größte Sozialdienstleister, rund 75.000 Ehrenamtliche, 807 Priester, 1412 Religionslehrerinnen und Religionslehrer. Ein gigantischer Apparat, der jedoch zusehends ins Wanken gerät. Zu 75 Prozent finanziert er sich aus Kirchenbeitragszahlungen, die jedoch aufgrund der Kirchenaustritte der vergangenen Jahrzehnte – ausgelöst durch vielfache Skandale und Enthüllungen über sexuellen Missbrauch in der Kirche – vielen Katholiken Anlass waren, aus der Kirche auszutreten.
Der Rechnungsabschluss aus dem Vorjahr zeigte jedenfalls ein negatives Ergebnis, die Erzdiözese musste auf Rücklagen in der Höhe von 1,3 Millionen Euro zurückgreifen. Schon 2023 stellte sie die Finanzierung von „Radio Stephansdom“ und der Kirchenzeitung „Der Sonntag“ ein. Dazu wurden Kirchengebäude veräußert, wie jenes der Kirche „Dreimal Wunderbare Muttergottes“ in der Buchengasse im Wiener Gemeindebezirk Favoriten, das nun zu Wohnungen und einem Atelier umgebaut werden soll, profil berichtete.
Kirchenkenner befürchten, dass die finanzielle Lage prekärer werden könnte. Wenn die Gläubigen aus geburtenstarken Jahrgängen, die aufgrund ihres hohen Einkommens auch entsprechend hohe Kirchenbeiträge leisten, sterben, wird sich die Situation noch einmal deutlich ändern. Der demografische Wandel, der auch durch Migration bedingt ist, wird Grünwidl ebenfalls beschäftigen: Der Anteil muslimischer Schülerinnen und Schüler in Wiener Pflichtschulen liegt bei 41,2 Prozent, jener der römisch-katholischen bei 17,5 Prozent.