Heineken Zapfhahn
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Brau Union vor Gericht: „Wir werden von Heineken beherrscht“

In Anbetracht eines millionenschweren Bußgelds geht der Konzern Heineken auf Distanz zu seinem nationalen Ableger in Österreich – die Brau Union, die autonom und frei Entscheidungen treffen soll. Einblicke in einen internationalen Getränkekonzern.

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„Derzeit sind wir noch sehr weit auseinander“, eröffnet Richterin Eva Maria Vetter die Verhandlung am Oberlandesgericht Wien. Im holzgetäfelten Saal C ist die Akustik schlecht – wenig hilfreich für die Zeugeneinvernahmen, die an diesem Tag sieben Stunden dauern sollen.

Es ist der dritte Prozesstag zwischen der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB), der Brau Union und deren Muttergesellschaft, dem niederländischen Heineken-Konzern. Vetter hat den Vorsitz des Richtersenats neu übernommen. Der Akt ist mittlerweile zu einem Monstrum angewachsen: hunderte Seiten Schriftsätze, unzählige Beilagen, teils unter Verschluss, da sie sensible Geschäftsinformationen enthalten. Für die neue Vorsitzende ist das Verfahren komplex – branchenspezifische Begriffe, interne Praktiken und Hintergründe erschweren den Einstieg.

Vetter bemüht sich zumindest um terminologische Einigungen. Während die BWB zu ihrer Rechten von „Vertragspartnern“ spricht, nennt die Brau Union zu ihrer Linken dieselben Betroffenen „Logistikpartner“. Gemeint sind Lieferanten, die im Auftrag der Brau Union Getränke ausliefern. Der Braukonzern setzt neben Eigenlogistik und unabhängigen Getränkehändlern auf sogenannte „Streckenlieferungen“. Ob die Ware tatsächlich im Eigentum und unter der Haftung der Lieferanten oder der Brau Union steht, ist unter den Verfahrensparteien – wie so vieles – strittig. Die Richterin dämpft die Erwartungen: „Wir haben noch sehr viele Baustellen vor uns.“

Schwere Vorwürfe

Die BWB wirft der Brau Union vor, Lieferanten unter Druck gesetzt zu haben, Getränke ausschließlich aus dem Konzernportfolio zu beziehen – andernfalls drohe die Lieferverweigerung. Händler sollen verpflichtet worden sein, keine Konkurrenzprodukte zu führen oder den Großteil ihres Sortiments über die Brau Union zu beziehen. Der Braukonzern bestreitet die Vorwürfe. Durch die Historie des Konzerns habe es unterschiedliche Rahmenvereinbarungen mit Partnern gegeben – nicht alle davon wurden schriftlich festgehalten, gesteht der Konzern ein. Die Brau Union verspricht eine Verbesserung ihrer Vertragswerke unter Einbeziehung der Kartellbehörde. 

Ausgangspunkt des Verfahrens waren Hausdurchsuchungen der BWB in der Linzer Konzernzentrale im Jahr 2022, ausgelöst durch anonyme Hinweise aus der Branche. Dass auch Heineken mit einem eigenen Anwaltsteam im Gerichtssaal sitzt, geht auf einen Antrag der BWB zurück: Der Mutterkonzern mit Sitz in Amsterdam trage Verantwortung für die Geschäftspraktiken seiner Tochter. Direktes wettbewerbswidriges Verhalten wirft die Behörde Heineken nicht vor – entscheidend sei jedoch, wie unabhängig die Brau Union tatsächlich agiert.

Von Amsterdam nach Wien

An diesem Prozesstag tritt internationaler Besuch auf. Bart van den Huijsen, seit 29 Jahren im Heineken-Konzern und heute Geschäftsführer des Europageschäfts. Seine Botschaft: Die Konzernmutter sei nicht verantwortlich, Heineken setze konsequent auf Dezentralisierung. „Lokales Management trifft bessere Entscheidungen vor Ort als wir global in Amsterdam“, so der Manager.

In der Unternehmenssprache heißen die Tochtergesellschaften „local operating companies“, wie auch die Brau Union in Österreich. Jedes Land verfüge über eigene Spezifika, so sei Bier hierzulande ein besonders regionales Produkt, in anderen Ländern betreibe Heineken hingegen eigene Pubs oder Distributionsfirmen.

Ein Versuch, den Konzern aus der Verantwortung zu ziehen? Die Frage ist angesichts des möglichen Strafausmaßes zentral. Denn eine Geldbuße kann bis zu zehn Prozent des Jahresumsatzes betragen: Bei der Brau Union lag dieser 2022 bei 850 Millionen Euro, falls Heineken zur Verantwortung hergezogen wird, könnten 30 Millarden Euro zur Berechnung herangezogen werden.

Heineken betont, kein Führungspersonal in die Brau Union einzusetzen. Beide Unternehmen würden ihr eigenes Personal mit eigenen Strukturen unterhalten – auch eigenen E-Mailadressen hätte jedes Unternehmen. Die Brau Union wurde 2003 vom Heineken Konzern übernommen. Van der Huijsen betont mehrmals, dass die einzelnen Tochtergesellschaften Heinekens der Zuständigkeit der lokalen Management-Teams unterliegen. Dass im Vorstand der Brau Union auch internationale Manager sitzen würden, erklärt sich der Holländer mit fehlendem Nachwuchs innerhalb der Brau Union. Ob Heineken Entsendungsrechte für Führungspersonal bei der Brau Union hat, weiß der Konzern-Manager nicht. 

„Wir haben diverse Nationalitäten im Brau-Union-Vorstand“, gibt Van den Huijsen zu Protokoll. Unter „divers“ versteht der Heineken Europa-Chef die niederländischen Staatsbürger unter den Brau-Union-Vorständen.

Der Heineken Chef bemüht sich, die Autonomie der Brau Union in Österreich zu betonen. Denn die Budgets werden von den einzelnen nationalen Ableger geplant und an die Zentrale in Amsterdam berichtet. „Wer gibt die strategischen Parameter vor?“, möchte Richterin Vetter wissen. Van den Huijsen spricht von „Guidance“ – keine Vorgabe, eher eine „Erwartung“, die man diskutiere. Könnte die Brau Union also beschließen, in Österreich kein Heineken-Bier mehr zu vertreiben? „Das ist okay“, so der Manager, denn das Produkt des Eigentümers Heineken mache in Österreich lediglich zwei Prozent Martkanteil aus. 

Zweiter Zeuge

Als zweiten Zeuge lud die Brau Union einen ihrer Geschäftsführer vors Gericht. Viktor Gillhofer, langjähriger Mitarbeiter, der schon vor der Heineken-Übernahme für den Braukonzern tätig war und seit 2020 die Geschäftsführung der Tochtergesellschaft Ammersin inne hat. Seine Botschaft: Die Brau Union entscheide in Österreich selbstständig und sei „am Kunden orientiert“. Vertrieb und operatives Geschäft hätten sich seit der Übernahme 2003 nicht verändert.

Verändert habe sich allerdings die Nachfrage. „Die Kunden möchten alle Getränke aus einer Hand“, sagt Gillhofer. Deshalb habe die Brau Union ihr Sortiment ausgeweitet – etwa um Säfte und zusätzliche Biermarken. 80 Prozent der Waren würden über 29 externe Partner vertrieben, da man in jenen Regionen keine eigene Logistik betreibe.

2018 übernahm die Brau Union die Mehrheitsanteile des Familienunternehmens Ammersin, das damit in das Heineken Imperium eingegliedert wurde. Dass der Braukonzern den Getränkehändler Ammersin übernahm, löste weiteren Unmut in der Branche aus. Denn bis dahin fokussierte sich die Brau Union lediglich auf den Vertrieb von Bier. Mit dem Einstieg ins Geschäft für nicht-alkoholische Getränke und der Übernahme Ammersins befürchtete die Branche eine zunehmende Marktkonzentration – die BWB stimmte der Übernahme jedoch zu. 

Bei Gericht hält die BWB dem Brau Union Geschäftsführer eine interne E-Mail vor, die im Zuge der Hausdurchsuchungen 2022 sichergestellt wurde. Eine Korrespondenz einer unternehmensinternen Juristin an Gillhofer in Kopie: „Wir werden von Heineken beherrscht.“ Gillhofer gibt an, sich an die Korrespondenz nicht erinnern zu können. Der Anwalt der Brau Union beanstandet die Vorlage als unzulässig – ein weiterer Streitpunkt zwischen Konzern und Behörde.

Kevin Yang

Kevin Yang

seit November 2024 im Digitalteam von profil. Davor bei Wiener Zeitung und ORF.