Die Gründer Gregor Müller (l.) und Felix Ohswald (r.) des Start-ups Go-Student.

Lebt das Start-up GoStudent vom Versagen des Bildungssystems?

Ein Interview mit den Gründern der Nachhilfe-Plattform GoStudent, dem wertvollsten Start-up Österreichs, das gerade den Markt für Nachhilfeunterricht aufmischt.

Drucken

Schriftgröße

profil: Sie mischen gerade den Markt für Nachhilfeunterricht auf. Wissen Sie überhaupt, wovon Sie reden? Haben Sie jemals selbst Nachhilfe genommen?

Ohswald: Im Studium, ja. Als ich Mathematik studiert habe, gab es immer wieder Momente, wo ich mir Unterstützung gesucht habe.

Müller: Bei mir war es einmal für eine Lateinschularbeit. Ich wollte unbedingt eine besonders gute Note erreichen.

profil: Und hat es funktioniert?

Müller: Ja.

profil: Ist Nachhilfe eine Wachstumsbranche?

Ohswald: Nicht Nachhilfe per se, sondern die Bildungsbranche insgesamt. Da gibt es schon seit Jahren den Trend, Geld zu investieren. Sehr stark sehen wir das jetzt in Latein- und Südamerika. Dort gibt es einen wachsenden Wohlstand, und damit einher geht auch ein stärkeres Interesse, in Bildung zu investieren.

profil: Wenn Sie den deutschsprachigen Raum betrachten: Jahr für Jahr steigen die Ausgaben der Eltern für den Nachhilfeunterricht ihrer Sprösslinge. Woran liegt das? Sind die Anforderungen an die Schüler in den vergangenen Jahren so gestiegen oder sind die Kinder heute lernschwächer als frühere Generationen?

Müller: Momentan gibt es durch Corona einen gewissen Nachholbedarf, aber generell würde ich nicht sagen, dass die Anforderungen gestiegen sind. Was aber schon zugenommen hat, ist der Wettbewerb. Schule selbst wird immer kompetitiver. Und die Leute sind viel mobiler. Wir sehen das im Unternehmen. Wir haben Franzosen, Spanier, Italiener, die nach Wien gezogen sind und hier für uns arbeiten. Das bedeutet aber auch, sie matchen sich um dieselben Jobs wie die Österreicher.

Ohswald: Und Nachhilfe zu nehmen, bedeutet ja nicht zwangsläufig, dass die betreffende Person schlecht in der Schule ist. In Ländern wie Deutschland, wo es einen Numerus clausus gibt, braucht man für viele Studienrichtungen einen bestimmten Notendurchschnitt in der Oberstufe. Wenn da vielleicht jemand in Biologie auf einem Dreier steht, muss sich der verbessern, damit sich ein Medizinstudium ausgeht.

profil: Aber eigentlich lebt Ihr Unternehmen vom Versagen des Bildungssystems.

Ohswald: Nein. Das ist ja kein Entweder-oder, sondern es muss eine Symbiose aus dem privaten und dem öffentlichen Bereich geben. Wenn die Geschichte eines gezeigt hat, dann dass Innovation immer dazu beigetragen hat, dass Dinge für die Menschen leistbarer geworden sind. Bei Bildung sind die Kosten, die pro Schüler entstehen, in den vergangenen 20 bis 30 Jahren gestiegen. Das ist in fast keinem Bereich, wo es Innovationen gibt, eingetreten. Das bedeutet, es muss mehr private Firmen geben, die innovative Dienstleistungen im Bildungsbereich anbieten. Die Aufgabe der öffentlichen Hand ist es, ein gutes Fundament zu bieten.

profil: Die Kommerzialisierung von Bildung sehen Sie nicht problematisch?

Ohswald: Bildung ist per se ja nicht kostenlos. Durch unsere Steuern zahlen wir alle indirekt für Bildung.

Müller: Man darf die Innovationskraft der privaten Unternehmen nicht kleinreden. Der öffentliche Bereich kann davon lernen, gewisse Dinge übernehmen oder Partnerschaften eingehen. Ich persönlich bin auch der Meinung, dass man vom Staat nicht alles erwarten kann. Es muss eine Basis geben, wo den Menschen ein guter Zugang zu Bildung gewährt wird. Aber wenn ich für mich entscheide, ich will unbedingt auf diese oder jene Elite-Uni gehen oder ganz bestimmte Skills beherrschen, dann ist das nicht die Aufgabe des Staates, für jeden Einzelnen genau das anzubieten. Vielmehr muss er privaten Anbietern ermöglichen, ihr Produkt anzubieten.

profil: Dann wird erstklassige Bildung immer mehr eine Frage der finanziellen Möglichkeiten.

Ohswald: Ein konkretes Beispiel, wie das in anderen Ländern teilweise gelebt wird, ist das Gutschein-System. Der Staat gibt ja pro Jahr und Kind einen bestimmten Betrag für Bildung aus. Dieses Budget oder einen Teil davon könnte der Staat in Form von Gutscheinen den Familien direkt zur Verfügung stellen. Diese lösen die Gutscheine dann bei zertifizierten Schulanbietern nach Wahl ein. Das wird in Lateinamerika so gemacht, aber auch in Frankreich gibt es das.

Müller: Man kann als Staat konkrete Anforderungen an die Anbieter stellen und diese in regelmäßigen Abständen evaluieren. Wer nicht entspricht, verliert die Zertifizierung. So ein System würde auch einen Wettbewerb zwischen den Anbietern entstehen lassen.

Ohswald: Um die Leistbarkeit für Bildung zu erhöhen, braucht es private Innovationen. Dass die Kosten für Bildung in den vergangenen Jahren gestiegen sind, hängt hauptsächlich damit zusammen, dass es in diesem Bereich nicht diesen Innovationszug gegeben hat wie in anderen. Obwohl ja auch da etwas passiert. Wenn ich mich vor 30 Jahren für Betriebswirtschaft interessiert habe, war ich von meiner lokalen Uni oder Bibliothek abhängig. Heute kann ich auf YouTube gehen und mir kostenlos die Vorlesungen der renommiertesten Wirtschaftsprofessoren Harvards anhören. Ermöglicht durch Innovationen wie Internet und YouTube. Das ist meines Erachtens eine Demokratisierung von Bildung. Aber dazu muss man Innovationen zulassen. Und im Bildungsbereich sind wir da noch ganz am Anfang.

profil: Was ist denn die Innovation bei GoStudent?

Ohswald: Unterricht messbar zu machen. Das war bisher eine Blackbox. Man hat nie genau gewusst, warum ist Lehrer A besser als Lehrer B, warum lernt Kind A langsamer oder schneller als Kind B. Wir wollen verstehen, was einen guten Lehrer ausmacht und wie Unterricht am besten funktioniert. Weil der Unterricht virtuell abläuft, können wir diese Dinge erstmals messbar machen, dabei lernen und im nächsten Schritt auch verbessern.

Müller: Auch unser Zugang zu Lehrern ist innovativ. Früher hat man sich einen Nachhilfelehrer gesucht, der im selben Viertel wohnt und nicht etwa nach fachlichen oder pädagogischen Kriterien. Durch unsere Online-Plattform und unser Verknüpfungssystem können wir einem Schüler, der in Wien sitzt, einen Lehrer, der beispielsweise in Hamburg wohnt, vermitteln, weil der zu den Bedürfnissen des Kindes vielleicht am besten passt.

profil: Ihre Ware ist Bildung. Gelten da andere Gesetzmäßigkeiten hinsichtlich Vermarktung und Vertrieb, als wenn man beispielsweise Autos oder Semmeln verkauft?

Ohswald: Das ist länderspezifisch. In China beispielsweise ist sehr detailliert geregelt, welche Bildungsdienstleistungen wie beworben werden dürfen.

Müller: In autoritären Ländern ist das generell stärker reguliert, was unterrichtet werden darf und wie das beworben werden darf. Wenngleich es auch in der westlichen Welt Auflagen gibt. Da wir mit unserer Werbung jedoch die Eltern adressieren und deren Kontaktdaten einsammeln, macht das die Sache natürlich einfacher.

Ohswald: Und wir sind ja auch kein Schulbetreiber, da gäbe es natürlich sehr viele Auflagen.

profil: GoStudent ist das wertvollste Start-up Österreichs. Für ein Unternehmen aus dem Bildungsbereich recht ungewöhnlich. Wie kann man Investoren für ein solches Thema begeistern?

Ohswald: Wir hatten anfangs sehr viele Rückschläge und echt oft Absagen bekommen. Bildung bringt zwar ein riesiges Marktpotenzial mit sich, gleichzeitig ist die Monetarisierung schwierig. Es gibt viele Plattformen, die lokal sehr stark genutzt werden, die es aber aufgrund dieses hohen Lokalisierungsgrades nicht geschafft haben, schnell in andere Länder zu skalieren. Das ist für internationale Wachstumsinvestoren hemmend. Die wollen am liebsten in Firmen investieren, die das Potenzial haben, ein globaler Champion zu werden.

Müller: Und wenn es keine vergleichbaren Firmen gibt, die das schon bewiesen haben, tut sich ein Investor schwer. Er möchte zwar nichts verpassen, aber er möchte auch nicht der Erste sein.

profil: Also zuerst einmal ordentlich Klinken putzen?

Müller: Anfangs, ja. Aber das schlägt dann um. Man muss viel netzwerken, wenn man jedoch einmal die richtigen Bekanntschaften gemacht hat, dann ist es nicht mehr so schwierig, mit dem Nächsten zu reden. Und je besser das Unternehmen läuft, desto mehr ist man ein heißes Eisen. In der letzten Finanzierungsrunde war es schon so, dass die Investoren gesagt haben: Hey, lasst uns sprechen.

Ohswald: Und es gibt global nur eine Handvoll Investoren, die diese Wachstumsfinanzierung mit sehr hohen Investitionssummen machen. Diese Fonds schauen sich weltweit Firmen an, die schnell wachsen, spannende Geschäftsmodelle und gute Teams haben. Schon nach den ersten Finanzierungsrunden gab es da sporadischen Austausch. Im Zuge der letzten haben wir gesehen, dass es da gerade ein Momentum und viel Interesse gibt.

profil: GoStudent wurde im Rahmen dieser Finanzierungsrunde mit 1,4 Milliarden Euro bewertet, das ist deutlich mehr als manches heimische Industrieunternehmen. GoStudent ist fast dreimal so viel wert als etwa der Baukonzern Porr. Halten Sie das nicht auch für absurd?

Ohswald: Wenn man sich die Liste der zehn wertvollsten Unternehmen weltweit anschaut, dann wird die angeführt von Unternehmen wie Apple, Microsoft, Amazon und Google. Das sind alles Technologie unternehmen. Vor 15 Jahren standen noch die alteingesessenen Industriekonzerne wie beispielsweise der Mineralölkonzern Exxon an der Spitze. Technologieunternehmen haben den Vorteil, schneller wachsen zu können, weil sie nicht dadurch eingeschränkt sind, nur eine bestimmte Anzahl von einem Stück X produzieren zu können. Sie haben einfach mehr Wachstumspotenzial, und zwar global, weil sie nicht an Produktionsstandorte gebunden sind.

Müller: Und was man natürlich beachten muss: Ein großer Teil der Unternehmensbewertung bildet das Zukunftspotenzial dieser Firma ab. Wenn man nur das bewertet, was im Moment gerade da ist - also Mitarbeiterzahlen, Umsatz - und die Zukunft völlig ignoriert, dann kann man vielleicht sagen, das ist absurd. Aber so werden Unternehmen in der Regel nicht bewertet. Wenn man sich unsere Wachstumszahlen anschaut, rückt das schon in ein anderes Licht: Anfang des Jahres waren wir in fünf Ländern aktiv, aktuell sind es 15, und bis Ende des Jahres werden es 20 Länder sein.

profil: Haben Sie nicht Sorge, zu schnell zu wachsen?

Müller: Nein, eher das Gegenteil. Aus unserer Sicht könnte es noch schneller gehen.

Ohswald: Was jedoch stimmt: Mit dem Wachstum kommen bestimmte Herausforderungen, die man meistern muss. Bei schnellem Mitarbeiterwachstum muss man darauf achten, dass man die Kultur aufrecht erhält. Kommunikation und interne Prozesse gehen leicht, wenn 20 Leute im Raum sitzen und jeder mit dem anderen sprechen kann. Wenn man plötzlich mehrere Hundert Leute hat, ist das alles ein bisschen komplizierter. Aber diese Fonds, die bei uns investiert haben, sind ja Profis, wenn es um solche Beteiligungen geht. Die machen eine sehr genaue und tiefe Analyse des Unternehmens, mit einem wirklich extremen Detailgrad. Da müssen die Zahlen schon in die richtige Richtung gehen, damit die einsteigen.

profil: Sie beide haben es aus dem Stand auf die Liste der reichsten Österreicher des Wirtschaftsmagazins "trend" geschafft. Konkret auf Platz 89, Ihr Vermögen wird dort mit 300 Millionen Euro geschätzt. Was macht das mit einem, wenn man mit unter 30 plötzlich viele Millionen Euro schwer ist?

Müller: Der Wert steckt ja im Unternehmen. Keiner von uns hat die Möglichkeit, das Geld per Knopfdruck auf das Bankkonto zu transferieren. Wir leben genauso wie vorher von dem, was wir in der Firma als Geschäftsführer verdienen, das natürlich in einem sinnvollen Verhältnis zu den Gehältern der Leute, die hier mit uns arbeiten, stehen muss. Natürlich ist es eine coole Errungenschaft, und man ist stolz, wenn die Firma, die einem zum Teil gehört, viel wert ist. Aber an unserem Lebensstil hat das nichts geändert. Das wär auch nicht gut, wenn man glaubt, man muss da jetzt irgendwelche Spompanadeln aufführen. Wir müssen auf unser großes Ziel konzentriert bleiben, das größte Bildungsunternehmen der Welt zu werden. Wir sind noch lange nicht dort, wo wir hinwollen.

profil: Keine superteuren Autos oder Ähnliches?

Ohswald: Nichts dergleichen.

GOStudent
2016 zunächst als Gratis-Hausaufgaben-Chat gegründet, bietet GoStudent nun kostenpflichtige Online-Nachhilfestunden an. Das Unternehmen zählt laut eigenen Angaben aktuell 15.000 Kunden und beschäftigt rund 600 Mitarbeiter sowie 5500 Tutoren in 15 Ländern. Investoren wie die japanische Softbank oder Tencent aus China steckten kürzlich 205 Millionen Euro in die Nachhilfe-Plattform. Den Unternehmenswert taxieren sie auf 1,4 Milliarden Euro, damit wurde Go-Student zum "Einhorn"-so nennt man Start-up-Unternehmen, die mehr als eine Milliarde Dollar wert ist.

Gregor Müller, 27
Der gebürtige Wiener absolvierte das Studium der Betriebswirtschaft im Schweizer St. Gallen und an der San Diego State University in Kalifornien. Seinen Mitgründer lernte er bereits als Teenager kennen-beim Ausgehen in den Wiener Innenstadtdiscos.

Felix Ohswald, 26

Bereits als 14-Jähriger begann der Sohn eines Bankers ein Mathematik-Studium an der Universität Wien; den Bachelor hatte er schon vor der Matura in der Tasche. Studien in Cambridge und an der ETH Zürich folgten, erste Berufserfahrungen machte Oswald bei diversen Praktika.

Christina   Hiptmayr

Christina Hiptmayr

ist Wirtschaftsredakteurin und Moderatorin von tauwetter, dem profil-Podcast zur Klimakrise.