Spar-Briefe: Was heimische Wirtschafts-Weise der Regierung jetzt raten
Das Defizit ist höher als gedacht. Und jetzt? Braucht es neue Steuern, mehr Kürzungen oder ein höheres Pensionsantrittsalter? Was fünf heimische Wirtschafts-Weise jetzt der Politik raten, um das Land wieder auf Kurs zu bringen.
Vor genau einer Woche traten Vertreter der Bundesregierung, von Ländern und Gemeinden selbstzufrieden vor die Presse. Sie hatten sich nach mühsamen Verhandlungen endlich auf einen neuen Stabilitätspakt geeinigt. Der Pakt regelt im Kern, wie
die einzelnen Gebietskörperschaften ihren Haushalt zu führen haben, damit die Schuldenentwicklung im Rahmen bleibt und die EU-Kriterien von höchstens drei Prozent Neuverschuldung im Jahr (gemessen am BIP) eingehalten werden. Während der Pandemie und der darauffolgenden Energiekrise wurde der Stabilitätspakt ausgesetzt, und Bund, Länder und Gemeinden wechselten auf Pump in den „Koste es, was es wolle“-Modus.
Bei Presseterminen wie dem der Vorwoche fallen oft Begriffe wie „großer Meilenstein“ (ÖVP-Staatssekretärin Barbara Eibinger-Miedl), „gelungener Kompromiss“ (Tirols Landes-Chef Anton Mattle) oder „guter Kompromiss“ (Wiens Bürgermeister Michael Ludwig). Die Einigung wird von einem Milliarden-Budgetloch begleitet. Die Neuverschuldung wird heuer zumindest 4,5 Prozent der heimischen Wirtschaftsleistung betragen. Vielleicht aber auch mehr, so genau kann das immer noch niemand sagen. profil fragte bei sechs heimischen Wirtschafts-Auskennern nach, welche Reformen jetzt dringend nötig wären, um das Land wirtschaftlich wieder auf die Beine zu stellen.
Grund und Erbschaften besteuern, Einkommen entlasten
Margit Schratzenstaller,
Budgetexpertin am Wifo
Budgetsanierung und Wachstumsbelebung sind vordringlich. Gleichzeitig sind Emissionen zu senken sowie die Frauen besser in den Arbeitsmarkt zu integrieren, und der steigenden Vermögenskonzentration ist entgegenzuwirken. Diese Ziele erfordern grundlegende Veränderungen im Abgabensystem. Einerseits braucht es eine spürbare Senkung der Abgaben auf Arbeit für Arbeitnehmer und Unternehmen, um die Beschäftigung insgesamt sowie speziell die Frauenbeschäftigung zu fördern. Zwar wäre eine Reduktion der jüngst gestiegenen Abgabenquote angezeigt, angesichts der Budgetnöte ist eine Gegenfinanzierung solcher Abgabensenkungen allerdings kurzfristig unverzichtbar. Dafür bietet sich zunächst eine Indexierung von Mineralölsteuer und Energieabgaben an, die lange nicht mehr an die Inflation angepasst wurden. Zudem sollten umweltschädliche Steuerausnahmen wie das Diesel- oder das Dienstwagenprivileg abgebaut werden. Diese Maßnahmen würden die Klimaziele unterstützen, aber Wachstum und Beschäftigung nur wenig belasten.
Daneben sollten die Grundsteuer deutlich erhöht und die Erbschaftssteuer wieder eingeführt werden, beides sind relativ wachstums- und beschäftigungsverträgliche Steuern. Nach der Budgetkonsolidierung wäre die überdurchschnittliche Abgabenquote durch weitere Senkungen der arbeitsbezogenen Abgaben zurückzuführen. Die dazu benötigten Budgetspielräume erfordern umfassende Effizienzreformen bei den Staatsausgaben. Weitere Steuererhöhungen zur Budgetkonsolidierung, die derzeit auf der Gemeindeebene in Diskussion sind, sollten zweierlei beachten: Einerseits sollten strukturell sinnvolle Abgaben angehoben werden, neben der Grundsteuer etwa auch Abgaben mit Lenkungswirkungen, wie Parkgebühren oder eine City-Maut. Andererseits sollte sich die Politik selbst verpflichten, nach erfolgreicher Budgetsanierung anderweitig Abgaben zu reduzieren, damit die Abgabenquote nicht steigt.
Die Lage der öffentlichen Finanzen ist dramatisch. Auch nach dem Defizitverfahren bis 2028 muss die Budgetkonsolidierung fortgesetzt werden, um die Schuldenquote zu senken und die demografisch bedingte Ausgabendynamik zu bremsen. Wir brauchen rasch Strukturreformen – wie schon seit langer Zeit immer wieder verlangt. Ein großer Teil davon hat mit der föderalistischen Struktur unseres Landes zu tun. Es beginnt mit den kontraproduktiven Anreizen bei den Finanzströmen: Der Bund hebt den Großteil der Steuern und Abgaben ein und gibt die Erträge im Rahmen des Finanzausgleichs an die Länder und Gemeinden weiter. Die Verantwortung für das Steuer-Einnehmen und das Geld-Ausgeben muss zusammengeführt werden. Das würde Anreize zum Sparen setzen. Und dazu kommen die altbekannten Beispiele für Ineffizienzen: So müssen die verschachtelten Zuständigkeiten im Gesundheitswesen dringend vereinfacht werden, um Sparpotenziale zu heben. Das wird ohne eine stärkere Zentralisierung bei der Finanzierung und bei der Planung des Angebots nicht machbar sein. Auch bei den Subventionen braucht es eine drastische Vereinfachung. Der letzte Förderungsbericht listet für den Bund 623 und für die Bundesländer 1826 Förderungen auf. 2024 wurden etwa 32 Milliarden Euro für Förderungen ausgegeben. Zwischen den Gebietskörperschaften gibt es keine Abstimmung, Mehrfachförderungen kommen oft vor, auch in großen und teuren Bereichen wie Wirtschaft, Familien, Kultur, Umwelt etc. Dazu kommen die kontraproduktiven klimaschädlichen Förderungen. Es geht nicht darum, Förderungen an sich zu schlechtzureden, wohl aber zu kritisieren, dass es zu wenig klare Ziele und Prüfungen über die Wirksamkeit gibt. All diese Kritik ist nicht neu, sondern seit gefühlt ewiger Zeit bekannt. Was fehlt, ist der politische Wille, die notwendigen Reformen endlich anzugehen. Wie lange, liebe Regierung, Landeshauptleute, Sozialpartner und so weiter, wollt ihr eigentlich noch warten? Was muss noch passieren, damit endlich Entscheidungen passieren? Wir können uns politische Uneinigkeit und weitere Verzögerungen nicht leisten!
Um den Industriestandort zu stärken und das Wachstum wieder anzukurbeln, braucht es jetzt gezielte Reformen, die an den strukturellen Schwächen ansetzen. Österreich steht vor der Herausforderung, im internationalen Vergleich bei Investitionen, Exporten und Produktivität an Boden zu verlieren, während Kosten und regulatorische Belastungen steigen. Entscheidend ist daher, die Standortkosten spürbar zu senken und die Verwaltung effizienter zu machen. Eine Entlastung bei Abgaben, eine straffere Förderlandschaft und vor allem schnellere, digitale und verlässliche Genehmigungsverfahren würden Investitionen erleichtern und die Wettbewerbsfähigkeit unmittelbar erhöhen. Gleichzeitig braucht Österreich deutlich stärkere Impulse für Innovation und Unternehmenswachstum. Europa verliert im technologischen Wettbewerb, weil weniger innovative Jungunternehmen entstehen und diese langsamer wachsen. Ein vertiefter europäischer Kapitalmarkt, einheitlichere Regeln für Eigenkapitalfinanzierung und der Abbau regulatorischer Hürden sind entscheidend, damit Start-ups leichter an Wachstumskapital kommen.
Nicht zuletzt müssen auch Arbeitsmarkt und Pensionssystem an die demografischen Realitäten angepasst werden. Eine höhere Erwerbsbeteiligung, insbesondere älterer Arbeitnehmer:innen, sowie stärkere Anreize für Vollzeitarbeit würden helfen, den Fachkräftemangel abzufedern. Gleichzeitig kann ein stärker kapitalgedecktes Element im Pensionssystem langfristig nicht nur die öffentlichen Finanzen stabilisieren, sondern auch zusätzliches Investitions- und Risikokapital schaffen. Diese Reformschritte wirken nur dann nachhaltig, wenn sie als koordinierter Gesamtansatz verstanden werden. Eine moderne Industriestrategie muss Steuer-, Arbeitsmarkt-, Innovations- und Regulierungspolitik zusammenführen, um Wachstum zu ermöglichen und gleichzeitig die Staatsfinanzen auf einen tragfähigen Pfad zu bringen.
Für eine tragfähige Finanzierung der Alterssicherung im demografischen Wandel müssten in Österreich verschiedene Hebel angesetzt werden. Kurzfristig sollte die teure Förderung der Altersteilzeit abgebaut werden. Viele gehen darüber hinaus weit vor der Regelaltersgrenze in Pension, was dem Arbeitsmarkt leistungsfähige ältere Arbeitskräfte entzieht. Ähnliches gilt für die Korridorpension. Hier wurden heuer mit kurzer Vorlaufzeit bereits Zugangsvoraussetzungen verschärft. Hieran ließe sich anknüpfen. Ein weiter gehender Schritt, der Möglichkeiten für ein flexibles Ausscheiden aus dem Erwerbsleben erhält, wäre eine Erhöhung der bei vorzeitigem Antritt der Pension fälligen Abschläge. Damit lässt sich eine sozial ausgleichende Komponente verbinden, indem die Höhe der Abschläge mit der Höhe der Pensionsansprüche ansteigt. Bessergestellte Fachkräfte, die in der Tendenz auch durch eine längere Lebenserwartung begünstigt sind, erhielten dadurch stärkere Anreize, länger im Arbeitsmarkt zu bleiben. Über solche kurzfristig wirksamen Maßnahmen hinaus sind langfristig wirkende Stabilisatoren im Alterssicherungssystem erforderlich.
Unbedingt sollte Österreich mit dem Tabu brechen, die Entwicklung des Pensionseintrittsalters an die steigende Lebenserwartung anzupassen. Damit sich die Betroffenen frühzeitig darauf einstellen, muss die Politik schnellstmöglich fixieren, wie es mit dem Regelpensionsalter ab 2035 weitergeht. Dem Trend in Europa folgend, erscheint 67 Jahre als Mitte des Jahrhunderts zu erreichende Zielgröße. Ein zusätzlicher Schritt wäre die Einführung eines Nachhaltigkeitsfaktors, durch den die jährliche Anhebung der Pensionen niedriger ausfällt, wenn die Pensionsausgaben schneller steigen als die Beitragseinnahmen. Im Ergebnis würden damit das Pensionsniveau sinken und die Lasten der Stabilisierung des Pensionsniveaus gleichmäßiger auf jüngere und ältere Generationen verteilt. Für eine solche Reform muss jedoch zunächst gesellschaftlich ausverhandelt werden, welche Lastenverteilung und damit welcher Nachhaltigkeitsfaktor gerecht und zumutbar ist.
Die Probleme sind lange bekannt: Durch zu viele Akteure wird eine überregionale Zusammenarbeit zugunsten von „Eigeninteressen“ behindert. Die Vorsorge für die ärztliche Betreuung alter Menschen und chronisch Erkrankter ist im Allgemeinen unzulänglich.
Trotz Bemühungen um eine verstärkte Koordinierung ist das Gesundheitssystem aufgrund seiner Verwaltungsstruktur und dualen Finanzierung komplex und fragmentiert. Deshalb muss davon ausgegangen werden, dass zurzeit die Gesundheitsergebnisse schlechter und die Gesamtkosten höher ausfallen, als dies in einem koordinierten System der Fall wäre.
Absatz 1 enthält Aussagen einer öffentlichen Studie aus dem Jahr 1969 (!), Absatz 2 aus einer Studie des Gesundheitsministeriums aus 2017. Parallel gab es auch unendlich viele Reformen – die aber alle nie umgesetzt wurden. Was im Grunde ja heißt, dass Gesetze ignoriert wurden und selbst die geschriebene Verfassung durch die Realverfassung ausgehebelt wurde. Gesetze und Verfassung sind immer nur dann gültig, wenn es darum geht, die eigenen Einflusssphären zu verteidigen und dem anderen den schwarzen Peter zuzuschieben.
Wenn nun wieder einmal alle zusammensitzen, sollte daher nicht über irgendwelche normierten Kompetenzen und deren Verschiebung gesprochen, sondern ein Pakt geschlossen werden, die gegenseitigen Blockaden für die nächsten zehn Jahre zu beenden. Und weil es ja unendliche Vorarbeiten aus unendlich gestrandeten Reformen gibt, ist auch keine „neue Reform“ nötig. Pragmatisch wäre es sinnvoll, schlicht eine rasche Umsetzung der Reform aus 2012 zu paktieren – damals wurde die Zielsteuerung Gesundheit erfunden. Es sollte darum gehen, wo ein Patient am besten aufgehoben ist (der oft zitierte „Best Point Of Service“). 150 Millionen Kassenarztbesuche, 20 Millionen Spitalsambulanzbesuche und zwei Millionen Spitalsaufenthalte pro Jahr sind europäische Spitzenwerte und zeigen, dass wir Patientenlenkung derzeit nicht erreichen. Aber warum sollte es diesmal gelingen? Nur weil die jetzige Agentur/Arbeitsgruppe/Task Force/partnerschaftliche Zielsteuerungskommmission etc. sich Reformpartnerschaft nennt?