„Wenn mir die Brau Union die Kunden wegnimmt, bin ich tot“: Tag 7 im Kartellprozess
„Wir haben uns bis vor Kurzem nicht getraut, ein anderes Bier zu verkaufen“, erzählt der Getränkehändler T. aus Scheibbs in Niederösterreich vor dem Kartellgericht im Wiener Justizpalast. Er führt seinen Betrieb in dritter Generation. Kunden, Lieferanten und Verträge: gewachsen, gepflegt und oft durch persönliche Beziehungen zusammengehalten. Die Branche ist klein, viele kennen einander. Verträge gelten als Formalität, was zählt, ist Handschlagqualität. Über die eigene wirtschaftliche Situation tauscht man sich am Stammtisch aus, ebenso über die Partnerschaften mit der Brau Union.
Dass T. nun auch Bier abseits des Brau‑Union‑Sortiments anbietet, war ein langer Weg – offenbar auch deshalb, weil er, wie andere Händler, Missstände angesprochen hat und damit die Kartellbehörde aufmerksam wurde.
Der Prozess gegen die Brau Union
Die Brau Union, die mit Marken wie Gösser, Zipfer und Wieselburger rund zwei Drittel des österreichischen Biermarkts hält, soll ihre marktbeherrschende Stellung genutzt haben, um Getränkehändler unter Druck zu setzen, damit diese ausschließlich Produkte des Konzerns führen. Gleichzeitig drängt das Unternehmen seit Jahren durch den Zukauf von Handelsfirmen verstärkt selbst als Großhändler in den Markt der Getränkehändler.
Kleinere Händler, die im Auftrag der Brau Union liefern, sehen sich daher gedrängt, ihr Sortiment zu erweitern. Die Zentrale in Linz soll allerdings versucht haben, dies zu unterbinden und Vertragspartnern Konsequenzen bis hin zum Lieferstopp angedroht haben. Nach einer Hausdurchsuchung 2022 beantragte die Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) ein Bußgeld von bis zu zehn Prozent des Umsatzes der niederländischen Mutter Heineken. Sollte Heineken mithaften, würde der Umsatz des gesamten Konzerns herangezogen – 2024 rund 30 Milliarden Euro. Die Brau Union weist die Vorwürfe zurück.
Im Justizpalast läuft mittlerweile der siebte Verhandlungstag, an dem zwei weitere Zeugen einvernommen werden. Viele der bisher geladenen Getränkehändler berichten, dass sich die Geschäftsbeziehung seit den Hausdurchsuchungen in der Brau‑Union‑Zentrale in Linz im Jahr 2022 verbessert habe.
Getrennte Wege können Brauereien und Getränkehändler augenscheinlich nicht gehen. Besonders in Regionen fernab der Ballungszentren, in denen die Lieferlogistik der letzten Meile schwierig ist, greifen Produzenten auf Vertragspartner wie T. zurück. „Streckenlieferungen“ nennt sich dieses Geschäftsmodell: Gasthöfe, Zeltfeste und Supermärkte gehören zu den typischen Abnehmern. Sie bestellen Bier bei der Brau Union, ausgeliefert wird im Auftrag des Konzerns von T. Der Kunde bezahlt an die Brau Union, der Lieferant erhält eine Vergütung von rund 25 Euro pro Hektoliter – soweit die Darstellung der Brau Union vor Gericht.
T. schildert den Richterinnen und Richtern allerdings ein anderes Bild davon, wie die Zusammenarbeit tatsächlich abläuft. Seine Kunden bestellen bei ihm persönlich, telefonisch oder sogar per Fax. Er lagert Bier der Brau Union und andere alkoholfreie Getränke, leitet Bestellungen an Linz weiter und übernimmt die gesamte Auslieferung. Der Kunde erhält zwei Lieferscheine: einen mit dem Briefkopf von T., einen von der Brau Union. Doch dieses System scheint an Grenzen zu stoßen. Aus Sicht vieler Händler versucht der Konzern zunehmend, Lieferungen in Eigenlogistik zu übernehmen.
Auch wenn die Kunden anderes Bier wünschten, wir haben nur Brau‑Union‑Bier
über seine Loyalität zur Brau Union
Fremdbier unerwünscht
Trotz aller Kritik gibt sich T. loyal gegenüber dem Konzern. „Verträge sind einzuhalten“, sagt er. Neben der Vertragstreue nennt er einen weiteren Grund für seine Loyalität: Rund drei Viertel seiner Umsätze hingen an Aufträgen der Brau Union. „Auch wenn die Kunden anderes Bier wünschten, wir haben nur Brau‑Union‑Bier“, erzählt er. Schon das bloße Ansprechen anderer Marken habe zu Konflikten geführt. „Es war immer eine Diskussion über Fremdbiere. Ein Kunde wollte Franziskaner. Da ging es um vier Kisten.“ Für eine Veranstaltung musste er einmal einen regionalen Konkurrenten beauftragen, Fremdbier zu liefern – selbst wollte er sich gegenüber der Brau Union nicht verantworten müssen.
T. spricht offen von einem Knebelvertrag. „Du darfst keine andere Ware aufnehmen, die die Brau Union nicht gelistet hat.“ 2017 bot sich ihm die Chance, ein Depot der Stiegl‑Brauerei in Loosdorf zu übernehmen – 14.000 Hektoliter. Er fragte bei der Brau Union um Einverständnis an. Die Antwort: Er könne es versuchen, „dann werde ich aber schon sehen, was passiert“. Gemeint sei, so T., dass ihm Aufträge entzogen werden würden. „Wenn mir die Brau Union die Kunden wegnimmt, bin ich tot.“
Plattformökonomie
Kurz vor der Corona‑Pandemie spitzte sich der Konflikt zwischen Produzent und Händlern offenbar zu. Die Brau Union führte ihre digitale Bestellplattform ein. Kunden sollten künftig Bier und alkoholfreie Getränke über eine einzige Oberfläche bestellen. Was für Kunden wie ein Vorteil klang, stieß bei Händlern wie T. auf Widerstand. Denn die Brau Union bekäme dadurch Zugriff auf Marktdaten zu Produkten, die der Getränkehändler unabhängig von Linz absetzt.
Aus Sicht der Händler drängte sich der Konzern damit selbst immer weiter mit der eigenen Logistik vor. „In unserer Region könnte die Brau Union das selbst machen“, sagt T. auf die Frage, wie abhängig er vom Konzern sei. Während der Corona‑Lockdowns entzog die Brau Union vielen Händlern das lukrative Streckengeschäft in den Lebensmitteleinzelhandel. Übrig blieben weniger rentable Gastronomieaufträge – während viele Lokale geschlossen waren.
Dass die Brau Union nun selbst als Großhändler auftrete, liege auf der Hand, meint T. Doch nicht alle Kunden wollten beim Konzern bestellen. „Ihr lieferts bei mir nicht“, soll ein Kunde gesagt haben. Paradox scheint es dennoch: Abnehmer bestellen Brau‑Union‑Produkte lieber beim Zwischenhändler als beim Produzenten selbst. Entscheidend sei nicht der Preis, so der Getränkehändler, er könne vor allem durch flexible Lieferkonditionen punkten. Ein lokaler Händler hätte so manches Zeltfest oder den spontanen Sonntagsansturm im Wirtshaus retten können.
Warum hat die Brau Union Ihr Lager betreten?
Streit um den Paulaner‑Garten
Der zweite Zeuge des Tages reiste für den Prozess aus Tirol an. N. ist ebenfalls Getränkehändler. Um Konflikte mit der Brau Union zu vermeiden, führt er zwei Gesellschaften: eine für Streckenlieferungen und eine für sein eigenes Sortiment. Sein Liefergebiet im Westen verschafft ihm eine besonders privilegierte Position: Die vielen Gastronomiebetriebe in den kleinen Tälern stellt die Eigenlogistik der Brau Union vor Herausforderungen.
Als Kaufmann sieht sich T. tüchtig. Er habe es geschafft, die deutsche Paulaner‑Brauerei in den österreichischen Lebensmittelhandel zu bringen. „Viele Kunden, die bei uns Paulaner kaufen, wollen nicht bei der Brau Union kaufen“, sagt der Tiroler. Auch Maxlrainer und Augustiner habe er vertrieben. „Allein mit Brau‑Union‑Aufträgen könne man nicht überleben.“ Deshalb setze er zusätzlich auf bayerische Biere. Die Brau Union wusste lange nicht, welche Fremdprodukte in seinen Lagern standen – bis ein Mitarbeiter diese inspiziert haben soll.
„Warum hat die Brau Union Ihr Lager betreten?“, fragt Richterin Eva Maria Vetter. „Weil sie es wollte“, antwortet der Zeuge. Er habe es zugelassen. Die Konsequenz: Seit 2021 vertreibt die Brau Union Paulaner-Bier exklusiv im österreichischen Lebensmittelhandel. Der Tiroler verlor einen Großauftrag. Auch Maxlrainer und Augustiner seien später von der Brau Union kontaktiert worden – diese halten jedoch weiterhin an ihren Vereinbarungen mit dem Händler fest.
Was sich am siebten Verhandlungstag zeigt: Wie viel Bier tatsächlich kostet, ist schwer zu bestimmen. Rabatte für Großhandel, Lebensmittelhandel und Gastronomie verzerren das Bild. Manche Händler überlegen sogar, ihre Ware über die Gastronomie zu beziehen, weil dort bessere Rabatte gewährt werden. Dazu kommen Boni für Hektoliterziele und Werbung, oder – so die Kritik der BWB – Loyalitätsboni. Eines ist klar: Transparenter wird der Bierpreis dadurch nicht.
Kartellbehörde gesprächsbereit
„Wir könnten auf Basis der aktuellen Ergebnisse ein Zwischenresümee ziehen und schauen, ob wir einen Weg zu einer einvernehmlichen Einigung finden“, sagte der Anwalt der Brau Union in Richtung Wettbewerbsbehörde. Jänner und Februar wolle man für Verhandlungen nutzen, um einzelne Punkte außer Streit zu stellen.
In Kartellverfahren sind einvernehmliche Beendigungen – sogenannte Settlements – möglich. Diese reduzieren das Bußgeld und verkürzen das Verfahren. Die Kartellbehörde zeigt sich verhalten, signalisiert aber Gesprächsbereitschaft, sobald die Brau Union ernsthafte Zugeständnisse vorlegt. Bis dahin konnten sich beide Parteien auf einen weiteren Prozesstag im März einigen.