Eine Siedlung in St. Pölten steht unter Wasser.
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Ökonomin Stagl: „Müssen über eine Pflichtversicherung diskutieren“

Ein Jahr nach dem Hochwasser in Niederösterreich ist Österreich denkbar schlecht gewappnet für weitere Katastrophen, sagt die Wissenschafterin des Jahres, Sigrid Stagl.

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Sigrid Stagl, Ökonomin und Wissenschafterin des Jahres 2024, hat eine emotionale Beziehung zum Hochwasser, das vor einem Jahr halb Niederösterreich unter Wasser setzte. Sie befand sich am elterlichen Bauernhof in Horn, als der Prutzendorfer Bach, der in die Fugnitz und dann in die Thaya fließt, immer höher anschwoll. Und es regnete unerlässlich weiter. 

Doch dann kam eine Luftströmung aus Norden und verfrachtete die unheilvollen Wolken in Richtung St. Pölten. „Es ist purer Zufall, wo ein Extremwetter zur Katastrophe führt“, sagt Sigrid Stagl am Anfang des Interviews. Die Kennziffern des Hochwassers im September 2024 sind verheerend: Fünf Tote, 349 Gemeinden und der wichtige Bahnhof Tullnerfeld unter Wasser, 1,07 Milliarden Euro Schaden (nachzulesen hier). 

Das nächste Hochwasser kommt bestimmt. Ist Österreich darauf besser vorbereitet?

Stagl

Nein. Österreich ist in punkto finanzieller Vorbereitung weiterhin denkbar schlecht aufgestellt. Nur ein minimaler Teil der Haushalte ist ausreichend für Extremwetterereignisse wie dieses versichert.

Gibt es dafür nicht den Katastrophenfonds?

Stagl

Genau das ist der Denkfehler im kollektiven Gedächtnis. Alle verlassen sich auf den Katastrophenfonds, der für Ereignisse dieses Ausmaßes aber nicht dotiert ist. Allein mit den Hilfen aus dem Fonds hätten die Menschen ihre Häuser nicht reparieren und wieder aufbauen können. Die Niederösterreicherinnen und Niederösterreicher hatten Glück im Unglück: Weil die Nationalratswahl vor der Tür stand, mobilisierte die Politik große Mengen Geld.

Wissenschafterin Sigrid Stagl vor einer Tafel in ihrem Büro.
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Ohne die Wahlen wäre der Wiederaufbau nicht so schnell gelungen?

Stagl

Auf keinen Fall. Die Bevölkerung ist hier viel zu sehr von der Gunst der Politik abhängig. Das ist unerträglich, das müssen wir dringend ändern. Aber es gibt nicht einmal eine Diskussion darüber.

Was wäre die Lösung?

Stagl

Ein Versicherungsmodell für alle Haushalte. Das kann man natürlich nicht allein die privaten Versicherer tragen lassen.

Diese würden sich schlicht weigern, Häuser in bestimmten Hochwassergebieten zu versichern.

Stagl

Genau. Trotzdem darf der Staat die Menschen in gefährdeten Regionen nicht im Stich lassen. Schließlich hat er dort auch irgendwann einmal die Baugenehmigungen erteilt. Wir brauchen hier ein Zusammenwirken der öffentlichen Hand, der Versicherungswirtschaft und der Eigentümerinnen und Eigentümer. Dafür gibt es in Europa gute Vorbilder, zum Beispiel Frankreich. Dort sind sogenannte Elementarschäden in jeder Haushaltsversicherung inkludiert.

Plädieren Sie für eine Pflichtversicherung?

Stagl

Ob es auf eine Pflicht oder eine Empfehlung hinausläuft, müsste man sehen. Aber es wäre dringend zu diskutieren. Versicherungen sind ein Teil der Anpassung an den Klimawandel.

Würde das für den oder die Einzelne nicht sehr teuer?

Stagl

Man muss das pragmatisch sehen. Ein bisschen Schmerz ist eher erträglich als der große Schmerz, wenn das Haus unter Wasser steht und man keine Versicherung hat.

Franziska Dzugan

Franziska Dzugan

schreibt für das Wissenschaftsressort, ihre Schwerpunkte sind Klima, Medizin, Biodiversität, Bodenversiegelung und Crime.