Collage, rechts Porträtfoto einer Frau, links ein Wachturm.
Bild anzeigen

Warum sitzen Sie im Gefängnis, Frau Khoshtaria?

profil erreicht die georgische Oppositionelle Elene Khoshtaria im Gefängnis. Interview mit einer politisch Verfolgten.

Drucken

Schriftgröße

Es sind vier handgeschriebene Seiten, die profil gescannt per E-Mail zugeschickt bekommt. Ein Vertrauter von Elene Khoshtaria hat sie aus dem Gefängnis hinausgeschmuggelt. Die georgische Oppositionelle sitzt in U-Haft und wartet im Frauengefängnis in der Stadt Rustawi auf ihren Gerichtsprozess. profil konnte ihr vorab über ihren Assistenten Fragen zuschicken.

Im September schmierte die Vorsitzende der liberalen Partei „Droa!“ Slogans auf zwei Plakate der rechtskonservativen Regierungspartei „Georgischer Traum“. Ein Polizist in Zivil versuchte ihr den Marker aus der Hand zu reißen. Tags darauf wird sie verhaftet. Ihr drohten wegen Sachbeschädigung im Extremfall bis zu fünf Jahre Haft.

Eine Frau in weißem Shirt mit einer Aufschrift in georgischer Spracher (Elene Khoshtaria)
Bild anzeigen

Sie ist eine von vielen: Sechs der elf Oppositionschefs der Parteien, die es bei den Wahlen im letzten Jahr ins Parlament geschafft haben, sind inhaftiert oder haben sich ins Exil abgesetzt. Drei große Parteien sollen verboten werden. Die Opposition im ehemaligen Vorzeigekandidaten unter den EU-Beitrittsländern steht unter Druck. Der „Georgische Traum“ regiert zunehmend autokratisch.

Am Donnerstag kamen neue Anklagepunkte gegen nahezu alle inhaftierte Oppositionschefs dazu – darunter auch für Khoshtaria: Ihr werden Sabotage (zwei bis vier Jahre Haft), Unterstützung für eine ausländische Macht (sieben bis 15 Jahre) und Finanzierung von gegen die verfassungsgemäße Ordnung gerichtete Aktivitäten (sechs bis zehn Jahre) vorgeworfen. Georgische Richter entscheiden bei einer Mehrfachverurteilung individuell, ob die Höchststrafe gilt oder einzelne Haftstrafen addiert werden.

Sie sitzen seit einigen Monaten im Gefängnis, haben aber einen Rechtsbeistand vor Gericht abgelehnt und sich geweigert, eine Kaution zu hinterlegen, um während dem Prozess auf freien Fuß zu kommen. Warum?

Elene Khoshtaria

Die illegitime Regierung kontrolliert alle Instanzen, und Oligarch (und Ehrenvorsitzender des „Georgischen Traum“) Bidsina Iwanischwili hat alle Richter in der Hand. Die aktuellen Gerichtsprozess sind pure Fiktion. Es ist kafkaesk. Ich habe mich geweigert bei diesem Zirkus mitzumachen und orientiere mich an der Philosophie (des tschechoslowakischen Dissidenten, Anm.) Václav Havel, der davon sprach, die „Wahrheit zu leben“, um sich gegen totalitäre Regime zu wehren.

Ein Mann in Anzug mit grauen Haaren (Bidsina Iwanischwili) gestikuliert, im HIntergrund sieht man einen einzelnen leuchtenden Stern vor einem blauem Banner.
Bild anzeigen

Der laut Forbes fast drei Milliarden schwere Bidsina Iwanischwili gilt als Strippenzieher hinter dem „Georgischen Traum“.

Wie fühlen Sie sich? Bereuen Sie die Entscheidungen, die darin gemündet sind, dass Sie jetzt in Haft sitzen?

Khoshtaria

Ich war bereit. Es erfüllt mich mit Stolz, dass ich die Bequemlichkeit aufgegeben habe, um für die Freiheit meines Landes einzustehen. Mein Großvater wurde 1938 von den Kommunisten getötet, mein Vater saß Mitte der 50er in Haft. Ich führe ein Familienerbe fort. Ich bin stolz, gegen die russischen Besatzer (der regierende „Georgische Traum“, Anm.) zu kämpfen.

Russland & der „Georgische Traum“

Die Opposition wirft der Regierungspartei enge Kontakte zu Russland vor, das unter der Bevölkerung wegen eines kurzen aber für viele Georgier erschütternden Krieg im Jahr 2008 verhasst ist. Dafür fehlen direkte Beweise: Während der Handel mit Moskau floriert, sind die diplomatischen Beziehungen nach wie vor eisig. Russland unterhält keine Botschaft in Georgien, das auch vereinzelt gegen russische Interessen in den UN abstimmte.

Doch sie tauen auf: Einige hochrangige russische Politiker, wie erst jüngst Sekretär des Sicherheitsrates Sergei Schoigu, lobten den Kurs des „Georgischen Traums“, der sich eng an Viktor Orbáns Ungarn anlehnt. Orbán pflegt ein gutes Verhältnis zu Russlands Präsidenten Vladimir Putin.

Wie geht Ihre Familie mit Ihrer Haft um?

Khoshtaria

Jeder um mich in Georgien, auch meine vier Kinder, hat meine Verhaftung erwartet. Ich habe ihnen allen vorher erklärt, dass das jederzeit passieren könnte. Meine Eltern und mein Ehemann stehen hinter mir.

Ihre Partei „Droa!“ ist Teil des Wahlbündnisses „Coalition for Change“ (C4C). Die gesamte vierköpfige Führungsriege von C4C ist aktuell im Gefängnis. Wie konnte das passieren?

Khoshtaria

Das ist schon überraschend. Womöglich hat man uns herausgepickt, weil wir bei den Parlamentswahlen das stimmenstärkste Wahlbündnis waren. Tatsächlich aber sitzen die meisten Anführer der prowestlichen Opposition mittlerweile hinter Gittern.

Wahlplakat der Coalition for Change in Tiflis, Georgien
Bild anzeigen

Wahlplakat der „Coalition for Change“ in Tiflis

Die Regierungspartei forderte den Verfassungsgerichtshof auf, drei große Oppositionsparteien zu verbieten. Auch Ihr Wahlbündnis, „Coalition for Change“ (C4C), soll aufgelöst werden. Wie war Ihre Reaktion?

Khoshtaria

Wir bewegen uns Richtung Nordkorea. Wir können damit unserer Souveränität und unserer Freiheit „Adieu“ sagen.

Georgiens gestohlene Wahl?

Bei den Parlamentswahlen 2024 gewann der in Umfragen angeschlagene „Georgische Traum“ überraschend erneut eine absolute Mehrheit. Die vier größten Oppositionsgruppen, darunter auch C4C, lehnten die Wahlen als „gefälscht“ ab und weigerten sich ins Parlament einzuziehen. OSZE-Wahlbeobachter konnten damals keine großangelegten Wahlfälschungen feststellen, kritisierten aber unfaire Wahlkampfverhältnisse und eine hohe Polarisierung. So hatte der „Georgische Traum“ laut Berichten Druck auf Beamte und ethnische Minderheiten ausgeübt, für die Regierungspartei abzustimmen. Das Europäische Parlament erkannte die Wahlen Ende 2024 nicht an und forderte Georgien auf, Neuwahlen abzuhalten.

Der „Georgische Traum“ präsentiert die Verbote als Schlag gegen die Ex-Regierungspartei „Vereinte Nationale Bewegung“ (UNM) des proeuropäischen Ex-Präsidenten Michail Saakaschwili, den die regierende Partei neben Korruption auch vorwirft, zunehmend autoritär regiert zu haben. Frau Khoshtaria, Sie waren einst selbst Mitglied der UNM, bis Sie 2017 die Partei verließen. Enthalten diese Anschuldigungen nicht auch einen Funken Wahrheit?

Khoshtaria

Niemand anderer als die UNM hat es so gut geschafft, demokratische Strukturen aufzubauen und uns näher zu EU und NATO zu bringen. Aber es gab auch Versäumnisse und Fehler, besonders bei Menschenrechten und im Justizsystem. Die damalige Regierung hatte es nicht geschafft, „checks and balances“ (ein System der Gewaltenteilung, Anm.) aufzubauen. Anderseits hat Saakaschwili den Wählerwillen respektiert. So aber Parteiverbote zu argumentieren, ist wahnsinnig und schlicht verfassungswidrig.

Ein abgemagerter Mann in einem Videocall, er sitzt vor EU-, Georgien- und Ukraine-Flaggen.
Bild anzeigen

Michail Saakaschwili sitzt seit 2021 in Haft.

Ein Gericht hatte Saakaschwili 2018 schuldig befunden in seiner Amtszeit einen Oppositionspolitiker zusammenschlagen haben zu lassen.

Warum traten Sie 2017 aus der UNM aus?

Khoshtaria

Ich wollte gemeinsam mit einer jüngeren Generation eine Partei aufbauen, die sich an modernen und demokratischen Regeln orientiert.

Ihre Partei „Droa!“ argumentiert, nur Sanktionen der EU könnten den „Georgischen Traum“ zu Fall bringen. Das Interesse der EU ist aber seit den Wahlen letztes Jahr abgeflacht. Ist das noch immer eine zuverlässige Strategie?

Khoshtaria

Die aktuellen, begrenzten Sanktionen funktionieren. Wir sehen Brüche im System. Der „Georgische Traum“ ist verwundbar, besonders wenn man seine finanziellen Aktivitäten im Westen einschränkt, wo viele noch immer wirtschaftlich tätig sind. Sie bekämpfen den Westen, untergraben westliche Werte, machen aber trotzdem im Westen gute Geschäfte. Das ist eigentlich unglaublich. Rechtzeitiges Handeln der EU ist jetzt entscheidend.

Raphael  Bossniak

Raphael Bossniak

seit Juli 2025 im Außenpolitik-Ressort. Davor freier Journalist für APA, Kurier und die deutsche Nahostfachzeitschrift zenith. Schwerpunkt Nahost / Kaukasus / Osteuropa.