Ein Mann in Anzug (Giorgi Gacharia) spricht vor einem Podium, dahinter Türkei- und Georgien-Flaggen.
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Ex-Premier Georgiens: „Die Autokratie hat alle Macht an sich gerissen“

Im EU-Beitrittskandidatenland Georgien will die Regierungspartei Oppositionsparteien verbieten. Ex-Premier Giorgi Gacharia, mittlerweile Oppositioneller im Exil, schildert im profil-Interview die Autokratie in seiner Heimat.

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Georgien war bis vor einigen Jahren das demokratische Vorzeigebeispiel unter den EU-Beitrittskandidaten. Die Regierungspartei „Georgische Traum“ brachte Reformen auf den Weg und stärkte den Rechtsstaat in Georgien, das seit 2011 ein Schwerpunktland der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit ist.

Heute sind die EU-Beitrittsgespräche pausiert, während sich die Regierungspartei an den einzigen verbliebenen Verbündeten anlehnt: das vom Rechtspopulisten Viktor Orbán geführte Ungarn. Kürzlich angekündigte Verbote von den drei größten Oppositionsparteien Georgiens isolieren das Kaukasusland zunehmend. In Brüssel denkt man über Sanktionen nach.

Giorgi Gacharia war früher selbst für fünf Jahre beim seit 2012 durchgehend regierenden „Georgischen Traum“, amtierte als Wirtschaftsminister, Innenminister und zuletzt, bis er 2021 die Partei verließ, als Premierminister. Der 50-Jährige, der heute die sozialdemokratische Partei „Für Georgien“ leitet, deren Mitglieder sich großteils aus desillusionierten Ex-Politikern des „Georgischen Traums“ rekrutieren, kennt die Regierungspartei von innen und weiß, wie sie tickt.

profil erreicht ihn im Exil in Berlin.

Sie leben mittlerweile in Deutschland. Warum?

Giorgi Gacharia

Sobald ich in Georgien lande, würde ich verhaftet werden. Es laufen mehrere Verfahren gegen mich. Aus dem Exil in Deutschland kann ich die Partei weiterhin leiten und am Leben halten. Die Autokratie hat in Georgien alle Macht an sich gerissen. Man kann Georgien nicht mehr als demokratischen Staat ansehen.

EIn Mann in Anzug (Giorgi Gacharia) blickt in die Kamera, vor ihm ist ein Mikro, links eine Georgien-Flagge
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Über die Person

Giorgi Gacharia, 50, ist Vorsitzender der sozialdemokratischen Partei „Für Georgien“. Bei den Parlamentswahlen 2024 bekam „Für Georgien“ 7,8 Prozent der Wahlstimmen. Von 2019 bis 2021 war er Premierminister Georgiens, zuvor übte er das Amt des Vize-Premierministers, Wirtschaftsministers und des Innenministers aus und saß im Wirtschaftsrat und im Rat für Nationale Sicherheit. Von 2016 bis 2021 war er Parteimitglied des „Georgischen Traums“, bis er nach einer Verhaftung eines hohen Oppositionspolitikers überraschend aus der Partei zurückzog und austrat. Der „Georgische Traum“ regiert seit 2012 durchgehend.

Der „Georgische Traum“ hat am Dienstag den Verfassungsgerichtshof gebeten, drei große Oppositionsparteien zu verbieten. Hat Sie das überrascht?

Gacharia

Das kam nicht unerwartet. Das Verfassungsgericht hat jetzt bis zu neun Monate Zeit, um eine Entscheidung zu treffen. Es ist möglich, dass der Verfassungsgerichtshof nur eine Partei verbietet oder alle. Es ist mittlerweile alles möglich.

Sie waren selbst Mitglied des „Georgischen Traums“ und wissen, wie die Partei denkt. Was will die Regierungspartei mit den Parteiverboten erreichen?

Gacharia

Nach ihrer Vorstellung entsteht dadurch ein Vakuum, das sie mit selbst erschaffenen Oppositionsparteien füllen können, die steuerbar und von ihnen abhängig sind. Das ist primitiv, aber so stellt sich der „Georgische Traum“ das vor.

Raphael  Bossniak

Raphael Bossniak

seit Juli 2025 im Außenpolitik-Ressort. Davor freier Journalist für APA, Kurier und die deutsche Nahostfachzeitschrift zenith. Schwerpunkt Nahost / Kaukasus / Osteuropa.