„Wir Moldauer und die Russen sind ein Volk“, ruft der Pensionist Vasily und fuchtelt mit den Händen. „Das kann man uns nicht nehmen.“ Wahlkampfsaison in der Republik Moldau. Im Dorf Tvardiţa im Süden des Landes verteilen die Parteimitarbeiterin Katja und ihr Team in der Abendsonne Werbung des prorussischen Wahlbündnisses „Patriotischer Block“. Die Moldauerin mit Wurzeln in Russland pflichtet Vasily nickend bei. Auf dem Titelblatt der Parteizeitung prangt ein roter Stern mit Hammer und Sichel. „Wir werden viel mehr als 30 Prozent bekommen – ganz sicher“, ist die junge Frau überzeugt.
Laut manchen Umfragen liegt der "Patriotische Block" vor der Regierungspartei PAS.
Moldaus Präsidentin Maia Sandu könnte hingegen das Lachen vergehen. Ihre Regierung wackelt. Eine Umfrage des Instituts iData sieht den „Patriotischen Block“ sogar bei 36 Prozent. Mit Umfragewerten um die 34 Prozent droht die absolute Parlamentsmehrheit von Sandus „Partei der Aktion und Solidarität“ (PAS) Geschichte zu sein. Moldaus Präsidentenposten gilt als zeremoniell. Das Parlament stellt im Land die Regierungen.
Noch Ende September pilgerten die europäischen Staatschefs Emmanuel Macron (Frankreich), Friedrich Merz (Deutschland) und Donald Tusk (Polen) nach Chișinău, um Sandu den Rücken zu stärken. „Es gibt keine sichere EU ohne ein unabhängiges Moldau“, betonte Merz damals.
Moldau gehört zur europäischen Familie.
Beate Meinl-Reisinger
Außenministerin
„Moldau steht vor einer Richtungsentscheidung zwischen Russland und der EU“, sagte ÖVP-Fraktionschef im Europäischen Parlament Reinhold Lopatka in Straßburg. „Moldau gehört zur europäischen Familie“, schrieb Außenministerin Beate Meinl-Reisinger (Neos) im August in einer Aussendung. Die Republik Moldau ist EU-Beitrittskandidatin, aber gerade wegen ihrer über 1000 Kilometer langen Grenze zur Ukraine für Brüssel strategisch höchst wertvoll: Das Land soll als Logistik-Drehscheibe dienen, um die Ukraine wiederaufzubauen.
Doch Russland buttert seit Jahren Geld in den Informationskrieg in Moldau. Der Oligarch Ilan Șor betreibt Troll-Farmen im Land, die die sozialen Medien mit Propaganda fluten. Denn der Kreml sieht Moldau als Pufferstaat zur NATO. In der abtrünnigen Region Transnistrien sind sogar mehr als 1000 russische Soldaten stationiert.
Unter Russlands Freunden
Nach Tvardiţa im Süden des Landes fahren keine Busse. Ins Dorf führt eine staubige, mit Schlaglöchern übersäte Schotterstraße. Am Straßenrand steht ein Mann, auf seinem T-Shirt prangt der Schriftzug „Russland“, er beobachtet einen Güterzug. Sein kleiner Sohn spielt daneben im Staub. Tvardiţa liegt in einer der ärmsten Regionen Moldaus, die als russlandfreundliche Hochburg gilt. Direkt neben der Straße liegen Kilometer von ausgerolltem Stacheldraht. Dahinter beginnt die Ukraine.
Im verschlafenen Tvardiţa gibt es wenige Sehenswürdigkeiten: Eine Lenin-Statue, gerade erst frisch mit goldener Farbe gestrichen, steht einsam im Park. Im „Kulturpalast“ füllt sich ein muffiger Saal mit Rentnern. Alle warten auf Igor Dodon. Der ehemalige Staatspräsident (von 2016 bis 2020), Chef der Partei der Sozialisten der Republik Moldau (PSRM) und Spitzenkandidat des „Patriotischen Blocks“, kommt zu spät. „Wieder mal typisch“, raunt eine OSZE-Mitarbeiterin, die den Wahlkampf beobachtet.
Die PSRM – die größte Fraktion im „Patriotischen Block“ – gilt als Partei der Minderheiten. Im multiethnischen Moldau lassen sich mit der Freundschaft zu Moskau durchaus Wahlen gewinnen: Die Mehrheit der Bevölkerung spricht Rumänisch, doch Russen, Ukrainer, Bulgaren und türkischstämmige Gagausen machen ein knappes Viertel der Bevölkerung aus. Sie sprechen Russisch und sind kulturell eng mit Russland verbunden, wo viele auch Verwandte haben.
Der PSRM-Vorsitzende Dodon war 2016 bis 2020 Präsident in Moldau.
„Wir werden wieder russisches Gas importieren“, sagt PSRM-Chef Dodon ins Mikro. „Das ist unser großes Versprechen.“ Die Ukraine drehte Anfang des Jahres die russischen Gaspipelines ab, PSRM-Kandidat Bogdan Țîrdea rechnet der Menge vor: „Bei uns kostet das Gas mittlerweile 17 Lei (rund 80 Cent, Anm.) pro Kubikmeter, schaut euch die Länder an, die noch russisches Gas importieren: In Belarus sind es vier Lei (20 Cent), in Armenien fünf Lei (25 Cent).“
Wir werden wieder russisches Gas importieren. Das ist unser großes Versprechen.
Igor Dodon
PSRM-Vorsitzender
„Wir sind nicht gegen Europa“, sagt Dodon. Erst Anfang September hatte er in einem TV-Interview enthüllt, die Beitrittsverhandlungen mit der EU weiterführen zu wollen, sollte er Regierungschef werden. Zuvor hatte er noch gefordert, das EU-Assoziierungsabkommen aufzukündigen. Beitrittsverhandlungen mit einer prorussischen Regierung? Geht das? In Brüssel misstraut man dem prorussischen Block. Die Verhandlungen könnten wohl stocken oder gar auf Eis gelegt werden.
Die Troll-Farmen des Ilan Șor
Wenn Mikhail lächelt, blitzen seine goldenen Zähne. „Warum sollten wir Mitgefühl haben mit dem drogenabhängigen Selenskyj in der Ukraine?“, fragt er. Es ist früh in Briceni, einer Provinzhauptstadt im Norden Moldaus, die vom Wein- und Obstbau lebt. Mikhail beginnt laut zu schimpfen: über seine niedrige Pension, über die NATO, über Frankreichs Präsident Macron.
In Moldau sind die sozialen Medien längst zum Schlachtfeld geworden. „Man weiß gar nicht mehr, wem man trauen kann“, sagt die Chișinăuer Studentin Sascha. Das liegt auch daran, dass Russland Millionen in eine Desinformationskampagne investiert. Allein im vergangenen Jahr habe der Kreml fast 200 Millionen Dollar, also rund ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Republik Moldau, in Kampagnen gesteckt, um die Präsidentschaftswahlen im Land zu beeinflussen, behauptete Präsidentin Sandu bei einer Rede vor dem EU-Parlament.
Natalia Zaharescu kennt Russlands Desinformationskampagne von innen. Die Investigativjournalistin der Zeitung „Ziarul de Gardă“ sitzt in ihrem Büro in Chișinău, Regentropfen schlagen ans Fenster. Die Journalistin hat eine Gruppe infiltriert, die online gegen Bezahlung Propaganda verbreitet. „Die Kommunikation läuft via geheimen Chat-Gruppen auf Telegram“, erzählt sie. Die Mitglieder der Gruppe müsten jeden Tag Beiträge auf Facebook und TikTok posten.
Natalia Zaharescu konnte ein Propagandanetzwerk infiltrieren.
Für ihre Recherchen erhielt sie die Auszeichnung „Recherche des Jahres“ vom Presseklub in Chișinău.
„Uns wurde gesagt, wir sollen ein Video auf TikTok posten, wo wir erzählen, was wir uns zu Weihnachten wünschen“, sagt Zaharescu, die sich als prorussische Aktivistin ausgegeben hatte. „Die Wünsche waren vorgegeben: billiges Gas, höhere Pensionen, faire Wahlen und ein LGBT-Verbot.“ Videos wie dieses erreichen teilweise über 600.000 Aufrufe, erzählt sie: „Von oben wurde uns dann im Chat erzählt, dass das ein großer Erfolg war und man stolz auf uns sei.“ Die Chat-Administratoren, mit denen Zaharescu zeitweise telefonierte, sprachen Russisch mit Moskauer Akzent, erzählt sie.
Hinter dem Netzwerk steckt der Oligarch Ilan Șor. Zaharescu zeigt auf vier eingerahmte Geldscheine – 400 Lei (rund zehn Euro). „Das bekam ein Kollege von uns während einer Undercover-Recherche dafür, dass er eine Demo von Șors Netzwerk besuchte“, erzählt sie. Doch der Versuch des Bankers, dem auch Moldaus größter Vergnügungspark gehört, eine vom Kreml gesteuerte Partei aufzubauen, scheiterte. Der Oligarch floh nach Moskau, gegen den 38-Jährigen liegt ein Haftbefehl wegen Betruges vor. Seine „Șor-Partei“ wurde verboten.
Als Ersatz versuchte Șor, den Wahlblock „Sieg“ aufzustellen. Seit jedoch „Sieg“ von den Parlamentswahlen ausgeschlossen wurde, werben die Troll-Farmen nicht mehr für Șor, sondern versuchen hauptsächlich, PAS und Maia Sandu zu diskreditieren, erzählt Zaharescu. Auch wenn der Kreml Șor, den Russland direkt steuern kann, gegenüber dem eigenständigeren Dodon bevorzugt, profitiert Dodons „Patriotischer Block“ somit indirekt von Russlands Online-Propaganda.
„Russland experimentiert hier in Moldau mit neuen Taktiken“, glaubt Zaharescu.
Eine Grenze, die offiziell nicht existiert
„Nicht fotografieren!“, ruft der Taxi-fahrer und wedelt nervös mit den Händen. Das Auto bleibt vor einer Grenzstation stehen, davor ein Wappen mit Hammer und Sichel. Hier beginnt das Gebiet der abtrünnigen Region Transnistrien. Ein Grenzbeamter lugt durch die Fenster des Autos und mustert die Insassen. „Alles gut – weiterfahren“, sagt er.
Hinter der Grenze: ein mit Alublech abgedeckter Schützengraben, Soldaten mit Kalaschnikows, auf ihren Armbändern das Kürzel M.C. – die russische Abkürzung für „Friedenstruppen“. Um die 1300 russische Soldaten sind hier in Transnistrien stationiert.
"Armee der Ehre und Pflicht": Propagandaposter der russischen Armee in Tiraspol
Über 1000 Soldaten sind hier stationiert.
In Transnistriens Hauptstadt Tiraspol zeigt Tourguide Tatiana auf ein Verkehrsschild mit der Aufschrift „Odessa“ – die drittgrößte Stadt der Ukraine. „Eigentlich wäre man in ein paar Stunden dort, aber seit dem Krieg sind alle Grenzen dicht“, erzählt sie. Im Ukraine-Krieg wurde immer wieder befürchtet, Russland könnte einen Korridor vom Schwarzen Meer bis nach Transnistrien schlagen und die Ukraine so einkreisen.
Ohne Akkreditierung dürfen westliche Medien nicht aus Transnistrien berichten. Eine Erlaubnis ist nahezu unmöglich zu bekommen. Einheimische, die mit ausländischen Medien sprechen, riskieren eine Geldstrafe. profil schließt sich einer Rundfahrt für Touristen an, bei denen Tiraspol besonders wegen seines Sowjetkitsches beliebt ist. Leninstatuen und überlebensgroße Porträts des Kosmonauten Juri Gagarin säumen die Straßen.
Statue des russischen General Alexander Suworow, dem Gründer der Stadt Tiraspol
In Transnistrien leben hauptsächlich ethnische Russen und Ukrainer. Als in den 1990er-Jahren in Moldau Ultranationalisten an die Macht kamen, die Russisch als offizielle Nationalsprache abschafften, spaltete sich Transnistrien in einem kurzen Bürgerkrieg ab.
Heute sieht sich die Region, die etwas größer ist als das Burgenland, als eigenständiger Staat. Doch kein Land der Welt, nicht einmal Russland, erkennt sie als solchen an.
Vor dem russischen Konsulat in Tiraspol, einem schlichten einstöckigen Gebäude, sitzen zwei Dutzend Menschen und starren auf ihre Handys. „Die warten hier alle auf ihre Pässe“, erklärt Tatiana. Mit dem transnistrischen Pass kann man nicht ausreisen, Russland bietet deshalb jedem Transnistrier einen russischen Pass an.
Der unscheinbare Dnister gilt als Trennlinie zwischen Transnistrien und der Republik Moldau.
Der Fluss ist auch Namensgeber Transnistriens, das soviel wie "jenseits des Dnister" bedeutet.
„Die Zahl von 1300 russischen Soldaten, die man immer in den westlichen Medien liest, stimmt nicht“, behauptet Tatiana, deren Familie aus der abtrünnigen Region stammt. „Die meisten davon sind Transnistrier mit russischem Pass.“ In Wahrheit handle es sich lediglich bei 500 Soldaten um echte Russen. „Die Mär, dass wir jederzeit die Ukraine angreifen könnten, ist Blödsinn. Wir haben kaum funktionsfähige Panzer“, sagt sie.
Versengte Erde
Der Bürgermeister von Chișinău, Ion Ceban, zeigt ein Poster der liberalen PAS von Präsidentin Sandu. Er schnaubt vor Wut. „Sag Nein zu Putins Kandidaten“, steht darauf, darüber auch sein Gesicht. Der Bürgermeister, einst hochrangiger Funktionär der prorussischen Sozialisten, tritt zu den Parlamentswahlen mit dem Wahlblock „Alternativa“ an. „Österreichs Neutralität ist für uns ein Vorbild“, sagt er im Gespräch mit profil. Ja zur EU, nein zur NATO, das sei sein Wahlprogramm. „Wir haben die Chance, Moldau zur Drehscheibe für den Wiederaufbau der Ukraine zu machen“, sagt Ceban, „aber dafür müssten wir Straßen und Flughäfen bauen.“
Stichwort "Dirty Campaigning": Ion Ceban zeigt ein Poster der PAS.
Der Bürgermeister von Chișinău war zuvor "Sekretär für Ideologie" bei der PSRM.
Cebans Wahlbündnis, dem Umfragewerte einen knappen Einzug ins Parlament vorhersagen, könnte für eine proeuropäische Koalition das Zünglein an der Waage werden. Das Problem: Mit der PAS ist Ceban bitter verfeindet, die liberale Regierungspartei betrachtet sein Team aus PSRM-Aussteigern als trojanisches Pferd des Kremls.
Im Juli verhängte Rumänien ein Einreiseverbot für Ceban in den Schengen-Raum. Rumäniens Außenministerin Oana-Silvia Țoiu sprach von „komplizierten Verbindungen“ Cebans nach Moskau. Der Bürgermeister spricht von einem Komplott: „Das ist eine Verschwörung der PAS und ihrer rumänischen Bruderpartei, der Nationalen Liberalen Partei, die in der Regierung sitzt.“
Die jungen Leute verlassen haufenweise das Land.
Ion Ceban
Bürgermeister von Chișinău
Die PAS wolle von der maroden Wirtschaft Moldaus ablenken, glaubt Ceban: „Die jungen Leute verlassen haufenweise das Land.“ Über eine Million Moldauer, mehr als ein Viertel der Bevölkerung, leben und arbeiten im Ausland.
Zu ihnen will bald auch Dionisie gehören. Der Logistikstudent trägt Anzug und raucht eine E-Zigarette vor der Staatlichen Universität in Chișinău. „Im Ausland verdient man teilweise das Zehnfache“, sagt er.
"Viele meiner Freunde sind bereits weg", erzählt Dionisie (links).
Er studiert Logistik an der Staatlichen Universität in Chișinău.
Die schlechten Umfragewerte der PAS liegen nicht allein an russischen Bots. Die Partei, die für viele Moldawierinnen und Moldawier synonym mit der Idee eines EU-Beitritts ist, hat viele Fehler gemacht und an Glaubwürdigkeit verloren. Im vergangenen Jahr stagnierte die Wirtschaft mit einem Wachstum von nur 0,1 Prozent, während die Armutsrate von rund 32 auf 34 Prozent der Bevölkerung anstieg. Für Kritik sorgte auch eine Justizreform: PAS besetzte etliche Posten im Verfassungsgericht mit ehemaligen Parteimitgliedern. „Dabei ist PAS einst als Antikorruptionspartei angetreten“, sagt Dionisie.
Russland, das die Republik Moldau als Experimentierlabor für neue Taktiken im Informationskrieg nutzt, feiert Erfolge: Teile der Bevölkerung sind politikverdrossen angesichts der regelmäßigen bitteren Schlagabtäusche zwischen dem proeuropäischen und dem prorussischen Lager. Gegenüber profil geben zahlreiche Studenten an, nicht zur Wahl gehen zu wollen. Währenddessen fürchtet Brüssel, dass Moldau zum Einfallstor Russlands in die EU werden könnte. Eine PSRM-geführte Regierung könnte russische Sabotageakte gegen die EU und die Ukraine tolerieren, so die Befürchtung.
Und Dionisie? Er hoffe, sein Land werde wirklich eines Tages EU-Mitglied, erzählt er: „Dann komme ich innerhalb von zehn Jahren wieder.“ Dionisie bläst eine Rauchwolke in die Luft. „Es ist ja ein schönes Land.“
seit Juli 2025 im Außenpolitik-Ressort. Davor freier Journalist für APA, Kurier und die deutsche Nahostfachzeitschrift zenith. Schwerpunkt Nahost / Kaukasus / Osteuropa.