Ein Mann in Turban verlässt ein mit Irak-Flaggen drapiertes Wahllokal, daneben stehen Sicherheitsoffiziere.
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Verliert der Iran bei Iraks Parlamentswahlen an Einfluss?

Der Irak wählt ein neues Parlament. Wie demokratisch sind die Wahlen? Und wie mischt der Iran mit?

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Geduldig warten in Tarnuniformen gehüllte Männer in einer Schlange. Einer trägt Sandalen mit Socken, ein anderer tritt zum Urnengang mit perfekt getrimmtem Bart und protzigem Ring. An einem schwarz-gelben Aufnäher erkennt man sie als Milizionäre der „Volksmobilisierungseinheiten“ (PMF) – vom Iran unterstützte Paramilitärs. Der Irak wählt heute ein neues Parlament. PMF-Kämpfer durften schon vorab, am Sonntag, wählen. Denn die Miliz ist seit 2016 offiziell dem irakischen Ministerpräsidenten unterstellt und bekommt jährlich ein Budget in der Höhe von etwas unter drei Milliarden Euro gestellt – mehr als das gesamte Staatsbudget des Libanon.

„Ich habe für die Liste gestimmt, die die PMF verteidigt“, sagte ein Milizionär der Associated Press. Die PMF steht durch ihr nahestehende Parteien wie der „Fatah-Allianz“ indirekt ebenfalls auf dem Stimmzettel.

Leichenzug mit Sarg, rechts geht ein Mann mit Kalaschnikow.
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PMF-Kämpfer gedenken 2023 einem „Märtyrer“ der proiranischen Milizbewegung.

Bei Iraks Parlamentswahlen entscheidet sich nicht nur, ob der moderate Regierungschef Mohammed Shia al-Sudani – ein Technokrat mit leicht populistischem Touch (al-Sudani setzte auf den Slogan „Irak zuerst“) – wiedergewählt wird, sondern auch, wie es mit dem iranischen Einfluss im Land weitergeht.

Der Iran ist dank dem Schlagabtausch mit Israel im Sommer geschwächt. Im Irak könnte er nun noch mehr an Einfluss verlieren: Das Parlament im 46-Millionen-Staat schraubt an einem Gesetz, dass die PMF, die der Iran einst ab 2014 als Antwort auf den vorrückenden „Islamischen Staat“ mit Geldspritzen und militärischem Know-How aus dem Boden stampfte, komplett ins Militär eingliedern soll. Ein Deal, der langfristig den Einfluss des Iran beschneiden könnte.

Doch auch die USA meldeten Bedenken an: Die PMF hätte bei einer Eingliederung Zugriff auf Militärgeheimnisse der irakischen Armee, die die Miliz womöglich an Teheran leaken könnte. Washington sorgt sich nicht ganz ohne Grund: Im Irak sind rund 2.500 US-Soldaten stationiert, die auch wiederholt von radikalen PMF-Fraktionen unter dem Decknamen „Islamischer Widerstand im Irak“ bombardiert und beschossen wurden.

Ein Mann im Anzug winkt der Kamera zu.
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Will wiedergewählt werden: Al-Sudani hofft auf eine zweite Amtszeit.

Eigentlich geht es dem Irak besser als vor zehn Jahren. Der sogenannte Islamische Staat, der den Irak bis 2017 terrorisierte, ist besiegt; Premier al-Sudani hat das Land aus dem Konflikt zwischen Iran und Israel herausgehalten. Es herrscht Frieden. Der Bausektor boomt – besonders in Bagdad. Doch trotzdem wollen viele Iraker nicht zu den Wahlen gehen.

Schiitisches Battle Royal

Ähnlich wie im Iran leben im Irak mehrheitlich Schiiten – die zweitgrößte Strömung im Islam. Die Partei, die sich unter den schiitischen Wählern eindeutig durchsetzen kann, steigt im Irak traditionell zur Rolle des Königsmachers auf.

Doch das schiitische Lager ist zerstritten.

Der schiitische Populist Muktada al-Sadr verkündete einen Wahlboykott und verbot seinen Anhängern direkt überhaupt anzutreten. Der charismatische Geistliche, der als Nachfahre des Propheten Mohammed gilt, ist ein Phänomen: Von den armen Schiiten aus der irakischen Unterschicht wird er regelrecht verehrt. In Sadr-City, einem nach al-Sadrs Vater benannten Vorort von Bagdad, hängen vereinzelt Poster mit Aufrufen zum Wahlboykott. Ein großes Plakat mit der Aufschrift „Mein Volk in Sadr-City boykottiert“ mit al-Sadr in Militäruniform und hochgerecktem Schwert ziert eine Straße in der schiitischen Hochburg, berichten Agenturen.

Ein Mann in schwarzer Robe (Muktada al-Sadr) gestikuliert vor einem Rednerpult.
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Anti-establishment-Figur al-Sadr ist für viele Schiiten der einzige wählbare Politiker.

„Die Heimat ist zu kostbar, um sie an die Korrupten und (von ausländischen Mächten, Anm.) Abhängigen zu verkaufen“, schrieb der Geistliche auf X (vormals Twitter) Anfang Oktober. Er argumentiert seinen Boykott damit, dass Reformen im festgefahrenen Politiksystem des Irak unmöglich geworden sind. Der Populist wurde einst im Fahrwasser des Iran groß, ging später jedoch auf Distanz und präsentiert sich heute als irakischer Nationalist.

Die „Sadristen“ erkämpften bei den Wahlen 2018 und 2021 die höchste Zahl an Sitzen. Al-Sadr hinterlässt also ein Vakuum, das nun konkurrierende schiitische Parteien zu füllen hoffen. Ex-Premier Nuri al-Maliki von der islamistischen Dawa-Partei, der Teheran weitaus nähersteht als der moderate Regierungschef al-Sudani, liebäugelte wiederholt mit einem Comeback. Die „Fatah-Allianz“, der proiranische PMF-Block, stürzte bei den Wahlen 2021 von 48 auf 18 Parlamentssitze ab.

Die PMF-Funktionäre – und auch Teheran – hoffen auf ein kleines Comeback.

Stell Dir vor, es ist Wahl, und keiner geht hin

Doch neben vielen Schiiten könnten es heute auch Sunniten und Kurden al-Sadr gleichtuen und den Urnengang boykottieren. Seit dem Sturz von Diktator Saddam Hussein 2003 sinkt die Wahlbeteiligung stätig. 2021 stimmten nur 41 Prozent der Iraker mit – dieses Jahr könnten es sogar noch weniger sein. Die Associated Press berichtet von leer gefegten Wahllokalen.

Viele – besonders junge – Iraker haben das Gefühl, dass sich die Machteliten im Land das Erdölgeld untereinander aufteilen. Junge Kandidaten haben bei den Wahlen kaum eine Chance: Die etablierten Parteien steckten dieses Jahr Rekordsummen in den Wahlkampf, während das Wahlrecht so verschärft wurde, dass nun große Wahlblöcke bei der Sitzverteilung bevorzugt werden. 2021 schafften 70 unabhängige Kandidaten den Sprung ins Parlament; dieses Jahr treten insgesamt nur noch 75 Unabhängige an.

Eine Mutter in Verschleierung trägt ihr Kind auf der Schulter, das Kind hält eine Irak-Flagge in der Hand.
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Hinzu kommt ein Quotensystem, das dazu gedacht ist, ethnische Spannungen zu reduzieren: Dem gemäß muss der Premier Schiit, der Parlamentsvorsitzender Sunnit und der Präsident Kurde sein.

2019 protestierten weite Schichten des Irak gegen das verfahrene Politsystem, gestützt wurden sie von den Kommunisten und zu Beginn auch von al-Sadr. Die Regierung ließ damals mit den PMF als Stoßtrupps die Massenproteste niederschlagen.

Viele Iraker sehen die proiranischen und die nicht-proiranischen Parteien als unterschiedliche Seiten der gleichen Münze. Doch es fehlt an einer echten Alternative.

Raphael  Bossniak

Raphael Bossniak

seit Juli 2025 im Außenpolitik-Ressort. Davor freier Journalist für APA, Kurier und die deutsche Nahostfachzeitschrift zenith. Schwerpunkt Nahost / Kaukasus / Osteuropa.