Wer die Eingangshalle der Klimakonferenz in Belém betritt, erblickt zuerst die Pavillons zweier Nationen: Gastgeber Brasilien und die Volksrepublik China. Auf den Tischen Letzterer türmen sich dicke Plüschpandas und die neuesten Ausgaben von Präsident Xi Jinpings Buchreihe „China regieren“. Tee und Kaffee werden in biologisch abbaubaren Bechern serviert, auf recycelten Stühlen können die Gäste der Elite unter Chinas Wirtschaftsbossen lauschen. „Lasst uns die Pariser Vision verwirklichen und gemeinsam eine schöne, saubere Welt aufbauen“, rief Meng Xiangfeng vor wenigen Tagen enthusiastisch ins Mikrofon. Er ist Vizepräsident von CATL, dem weltweit größten Batteriehersteller, der von Tesla bis Volkswagen alle großen Autobauer beliefert.
Cop30-Gastergeber Luiz Lula da Silva (Brasiliens Staatschef) posiert mit dem chinesischen Politbüro-Mitglied Ding Xuexiang.
Dass China sich so prominent positioniert, ist neu. Das Land will das Vakuum füllen, das Donald Trumps Rückzug aus den internationalen Verhandlungen zum Klimaschutz hinterlassen hat. Während reaktionäre Kräfte in der EU den Green Deal Stück für Stück zerpflücken, tut sich das autoritäre China mit der Einigkeit leichter. „Auch bei uns gibt es viele industrielle Konflikte. Aber die Zentralregierung und Präsident Xi sagen sehr deutlich, dass wir in den nächsten fünf Jahren das neue Energiesystem beschleunigen müssen“, sagte Wang Yi, einer der chinesischen Verhandler bei der COP30, in Belém dem „Guardian“.
Chinas grüne Energien explodieren. Das Land ist mittlerweile Weltmarktführer bei Wind-, Solar- und Wasserkraft und hat den Ausbau der Erneuerbaren in den vergangenen neun Jahren vervierfacht. Wie hat China das geschafft? Wie sehr kann der Riesenstaat davon profitieren? Und was bedeutet das für das abgehängte Europa?
Zwei Köpfe, doppelt so leistungsstark, größer als alles bisher Dagewesene: Das Windrad des Unternehmens Mingyang soll schon 2026 die Offshore-Windparks im Südchinesischen Meer um zig Megawatt erweitern. Anstatt eines einzigen Rades drehen sich gleich zwei auf dem wie ein Y geformten Turm. Die Rotorblätter des Giganten sollen je 145 Meter lang sein – also etwa zehn Meter länger als die Höhe des Wiener Stephansdoms.
Der kleinere Prototyp namens „Ocean X“ schwimmt bereits seit einem Jahr verankert im Meeresboden vor der Provinz Guangdong, nordöstlich von Hongkong. Er hat mehrere Wirbelstürme heil überstanden und mit 16 Megawatt ungefähr so viel Strom geliefert wie ein herkömmliches Offshore-Windrad. Die große Schwester soll künftig 50 Megawatt produzieren – doppelt so viel wie das aktuell stärkste Windrad der Welt (das ebenfalls gerade in China installiert wurde). Das Riesenmodell „könnte die Offshore-Windindustrie revolutionieren“, sagte Umang Mehrotra vom norwegischen Energieberatungsunternehmen Rystad Energy dem Magazin „Scientific American“.
China pulverisiert nicht nur bei Windrädern, sondern allgemein beim Ausbau der Erneuerbaren alle Rekorde. Unglaubliche 82 Prozent des weltweiten Windkraftausbaus und 55 Prozent des Zuwachses bei Solarenergie entfielen heuer auf China, wie der Thinktank Ember kürzlich vermeldete. Das kommt nicht von irgendwo: „Seit 2001 hat China mit jedem einzelnen Fünfjahresplan die Ziele für den Ausbau der Erneuerbaren in die Höhe geschraubt“, sagt Karl Steininger, Leiter des Wegener Centers für Klima und Globalen Wandel der Uni Graz im profil-Gespräch. China schlage damit zwei Fliegen mit einer Klappe. Das Land leide einerseits selbst stark unter Klimaschäden und Luftverschmutzung – und sehe andererseits seit Langem die wirtschaftlichen Chancen von Photovoltaik, Windenergie und E-Mobilität.
Seit 2001 hat China mit jedem einzelnen Fünfjahresplan die Ziele für den Ausbau der Erneuerbaren in die Höhe geschraubt.
Karl Steininger
Leiter des Wegener Centers für Klima und Globalen Wandel der Uni Graz
Auch beim Rennen um die besten E-Autos ist China ganz vorn dabei. Im Juni verkündete der chinesische Autobauer BYD, sein Modell Seal schon 2027 (und damit drei Jahre früher als die Konkurrenz) mit Festkörperbatterien bestückt auf den Markt zu bringen. Diese Batterien gelten in der Branche als große Zukunftshoffnung: Sie erlauben kurze Ladezeiten, enorme Reichweiten und Brandsicherheit. Glaubt man chinesischen Zeitungen, hat der BYD Seal in ersten Tests bereits einen Rekord aufgestellt: eine Reichweite von 1500 Kilometern bei nur zwölf Minuten Ladezeit.
Das klingt alles schön, aber schlägt sich Chinas Überholspur auch in sinkenden Emissionen nieder? „China hat heuer wahrscheinlich ein Plateau erreicht, eine Trendwende ist in Sicht“, sagt der österreichische Klimaforscher Gerhard Wotawa. Mit 12,3 Gigatonnen führt China allerdings auch heuer die Liste der größten Emittenten an, gefolgt von den USA mit fünf Gigatonnen, Indien mit 3,2 und der EU mit 2,4. Auch wenn China immer noch Kohlekraftwerke baut und viel Öl verbrennt: „Insgesamt pumpt das Land aktuell zehn Mal mehr Geld in Erneuerbare als in fossile Energieträger“, sagt Wotawa.
Unter brennend heißer Sonne erstreckt sich in der ägyptischen Wüste ein Meer von mehr als 30 Millionen Solarpaneelen. Auf 50 Grad klettert die Temperatur hier gelegentlich hoch. Der 39-jährige Mohammed Hussein arbeitet in der Hitze als Ingenieur. „Ich bin sehr zufrieden und hoffe, auch in Zukunft bei chinesischen Projekten mitzuarbeiten“, zitiert ihn die chinesische staatliche Agentur „Xinhua“, die sein freudiges Lächeln betont.
Der Benban Solarpark in der Wüste Ägyptens entstand mit chinesischem Know-how.
Der Kredit für den Benban Solarpark, laut ägyptischer Regierung sogar der „größte der Welt“, kommt aus Bayern, doch gebaut wird das Kraftwerk mit chinesischem Know-how. Mit 3,8 Terawattstunden pro Jahr produziert der Solarpark mehr Strom, als die Stadt Linz jährlich verbraucht. Ein grünes Großprojekt. Eines von vielen, die in Afrika mit chinesischem Geld, Wissen oder sogar Personal hochgezogen werden.
„China ist mittlerweile zu einer unverzichtbaren Schlüsselfigur im Aufbau von Afrikas Energieinfrastruktur aufgestiegen“, sagt Frangton Chiyemura von der britischen Open University, der zu Chinas Investitionen in Afrika forscht. „Chinesische Firmen mussten zwingend expandieren, weil der Wettkampf auf dem heimischen Markt so stark geworden ist.“ China produzierte erst kürzlich einen Überschuss an Solarpaneelen, die Preise fielen stark. In Afrika, aus dem sich europäische und US-Firmen zurückgezogen und ein Vakuum hinterlassen haben, treffen billige Preise auf hohe Nachfrage.
Denn der afrikanische Kontinent braucht dringend Strom.
Wer auf nächtliche Satellitenaufnahmen Afrikas blickt, bemerkt große schwarze Landstriche. Nur die Küsten leuchten. Rund 600 Millionen Afrikanerinnen und Afrikaner, die Hälfte des Kontinents, leben ohne Stromanschluss – in Ländern wie dem Tschad sind es sogar 90 Prozent. Zwischen 2015 und 2065 soll sich die Nachfrage nach Strom verzehnfachen. Kredite zu Zinssätzen unterhalb des Marktniveaus in der Höhe von rund 30 Milliarden Euro von der Weltbank und der Afrikanischen Entwicklungsbank sollen den Kontinent elektrifizieren.
Als Notlösung half man sich bislang mit lauten Dieselgeneratoren. Diese weichen nun immer öfter lokalen Solarparks oder privaten Solarpaneelen auf Hausdächern. China setzt zunehmend auf sein „Small and Beautiful“-Modell: Kleine lokale Energieanlagen, die nur ein Dorf versorgen sollen, ersetzen Megaprojekte wie Staudämme. „Besonders in abgelegenen Regionen, bei schwierigem Terrain oder bei zu hohen Kosten ist es nicht immer sinnvoll, Ortschaften an das nationale Stromnetz anzuschließen“, erklärt Chiyemura. Einzelne Dörfer werden so dank grüner Energie energieautark.
Chinesische Firmen mussten zwingend expandieren, weil der Wettkampf auf dem heimischen Markt so stark geworden ist.
Frangton Chiyemura
Experte für Internationale Entwicklung
Doch immer wieder wurde Kritik laut, China würde Investitionen nutzen, um politischen Einfluss auf afrikanische Länder auszuüben. Jozef Sikela, EU-Kommissar für internationale Partnerschaften, sprach im Interview mit der „Financial Times“ im Oktober von chinesischen „Schuldenfallen“, mit denen man Afrika „plündern“ wolle. Über die „Export-Import-Bank Chinas“ investiert auch der regierende Staatsrat der Volksrepublik direkt in eine Vielzahl afrikanischer Energieprojekte. „Es geht da primär ums Geschäft. China sieht sich als das Land, das die Hardware für die Modernisierung herstellt und exportiert“, sagt hingegen Nis Grünberg vom deutschen MERICS-Institut für Chinastudien. Politische Ziele werden bei der Analyse von Chinas Investitionen überschätzt, pflichtet der britische Forscher Chiyemura bei: „Chinesische Investoren fragen sich viel mehr: Kriegen wir unser Geld wieder zurück?“ Das sei auch der Grund, warum Peking verstärkt in ressourcenreiche (und damit zahlungsstarke) Länder in Süd- und Westafrika, wie den erdölreichen Staat Angola, investiere.
Das kommunistische China hat geschafft, woran andere in der Vergangenheit gescheitert sind: grüne Energie markttauglich und damit attraktiver als fossile Brennstoffe zu machen. Im Wettrennen um grüne Energie in Afrika hat China die EU und die USA längst überholt. Fürs Klima ist das eine gute Nachricht: Viele afrikanische Staaten lassen damit die fossilen Energien aus – und setzen gleich auf die Erneuerbaren.
Der lange Marsch zur Klimamacht
Chinas Zukunft entscheidet sich stets hinter verschlossenen Türen. 205 hohe Parteifunktionäre der regierenden Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) schließen sich im Oktober drei Tage in der „Großen Halle des Volkes“ in Peking ein. Journalisten und Nicht-eingeweihte müssen draußen bleiben. Es ist das kommunistische Pedant zu dem Konklave des Vatikans: Das Zentralkomitee der KPCh, das höchste Parteiorgan, tagt. Staatschef Xi Jinping verlässt das Plenum mit einem ersten Entwurf des nächsten Fünfjahresplans in der Tasche. „Wir sollten den ökologischen Wandel in allen Bereichen der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung beschleunigen“, heißt es in einem sperrig formulierten Kommuniqué, das nach der Tagung veröffentlicht wurde. Es könnte der grünste Fünfjahresplan in der Geschichte der Volksrepublik sein, glauben Experten.
Denn für die in China regierenden Kommunisten ist Klimaschutz längst zum politischen Kalkül und zu einer Frage der Macht geworden.
„Grüne Technologie ist in China im Mainstream angekommen“, sagt Experte Nis Grünberg, der sich mit der Rolle der regierenden KPCh im Staat beschäftigt. Die KPCh will mit der grünen Wende Chinas Platz als wirtschaftliche Supermacht zementieren und energiepolitisch unabhängiger werden. „Strom aus Sonne, Wind und Wasser ist enorm billig und macht von Importen aus dem Ausland unabhängig“, sagt Grünberg. China, das 2024 noch über 50 Prozent seines Stroms aus Kohleanlagen gewann, importiert nach wie vor die meiste Kohle der Welt – besonders aus Indonesien und Russland.
Strom aus Sonne, Wind und Wasser ist enorm billig und macht von Importen aus dem Ausland unabhängig.
Klimaforscherin Sigrid Stagl: „Ohne China ist die Welt verloren“
Gerade die einflussreiche Kohle-Lobby bremste in der Vergangenheit den Umstieg auf Erneuerbare, jahrelang versanken die Großstädte des 1,4-Milliarden-Einwohner-Staates im Smog. Der enorme Wirtschaftsaufschwung hatte seine Kosten. Der Smog ist heute immer weiter eingedämmt, und der enorme Stromhunger der wachsenden Wirtschaft soll mit grüner Energie gestillt werden, doch der Klimawandel droht auch China mit Dürren und Überflutungen zunehmend hart zu treffen. Peking ist sich dessen bewusst. „In China glaubt man an den Klimawandel“, sagt Grünberg.
Vorsicht statt Radikalität heißt das Mantra trotzdem. Peking setzt auf einen „geordneten“ und „kontrollierten“ Umstieg, so Grünberg: „Die Regierung der KPCh macht also nicht maximal Druck.“ China stapelt bei den Klimazielen traditionell tief, mit dem Ziel, sie dann übertreffen zu können. „Das hat natürlich auch einen Propagandaeffekt nach innen und nach außen“, sagt der China-Experte. Peking bringt eine gigantische technische Maschinerie in Stellung, die droht, Europa in den Schatten zu stellen.
EU in der Defensive
Ist die EU trotzdem eine Vorreiterin in puncto Klimaschutz, wie sie selbst so gern behauptet? „Mit dem Green Deal ist der Union durchaus ein großer Wurf gelungen, der die Regeln der Wirtschaft in Richtung Klimaneutralität umschreiben könnte“, sagt die Wiener Klimaökonomin Sigrid Stagl. Das Problem: Immer wieder rudern Länder zurück und schaffen es, die durchaus ambitionierten Pläne abzuschwächen. Das beste Beispiel dafür waren die Anfang November verlautbarten Klimaziele für 2040. Zwar hielt man sich an die von der Wissenschaft dringend empfohlenen 90 Prozent Kohlenstoff-Einsparungen, allerdings dürfen fünf Prozent davon mit -Zertifikaten im Ausland kompensiert werden.
De facto spart man also zu Hause nur 85 Prozent. Ein Rückschritt, wie viele Forschende prompt kritisierten. Das Problem ist vor allem die mangelnde Qualität der Zertifikate. Laut einer im Vorjahr veröffentlichten Studie liefern nur 16 Prozent der Papiere tatsächlich jene -Einsparungen, die sie versprechen.
„Dieses Aufweichen der Klimaziele ist extrem frustrierend“, sagt Sigrid Stagl von der WU Wien. Aber sie hat Hoffnung: Es sei nicht unwahrscheinlich, dass Europa in den nächsten Jahren einen sogenannten Social Tipping-point erreicht, dass also eine unaufhaltsame Dynamik in Richtung sauberer Energie entsteht, weil diese immer billiger wird. „Bis 2040 brauchen wir möglicherweise gar keine Zertifikate mehr“, sagt Stagl. Was diesen Prozess beschleunigen würde: endlich die Subventionen für fossile Brennstoffe abzuschaffen, etwa das Dieselprivileg oder die Steuerfreiheit für Kerosin. Bei den erneuerbaren Technologien hat China Europa längst abgehängt. Für die EU, die sich erst kürzlich aus der russischen Gasabhängigkeit gelöst hat, geht es hier nicht nur um den wirtschaftlichen Vorsprung, sondern auch um glasklare Sicherheitsinteressen. „Was passiert, wenn China zum Beispiel den E-Auto-Markt so dominiert, dass sie nahezu alle Elektrobusse stellen und diese mit Knopfdruck abstellen könnten?“, fragt Grünberg.
Bis 2040 brauchen wir möglicherweise gar keine Zertifikate mehr.
Sigrid Stagl
Klimaökonomin
Chinas grüne Zeitenwende ist ein zweischneidiges Schwert: Peking ist dem Rest der Welt Partner und Konkurrent zugleich. Aber könnte uns Chinas Eifer am Ende sogar retten? So weit will Wissenschafterin Sigrid Stagl nicht gehen. Dafür stoße das Land noch viel zu viel aus. Aber eines sei sicher, sagt sie: „Ohne China ist die Welt verloren.“
ist seit Juli 2025 im Außenpolitik-Ressort. Davor freier Journalist für APA, Kurier und die deutsche Nahostfachzeitschrift zenith. Schwerpunkt Nahost / Kaukasus / Osteuropa.