Donald Trumps imaginärer Krieg
Von Siobhán Geets und Robert Treichler
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Das 2. Bataillon des 7. Regiments der 1. Division der US-Marines kann auf eine ereignisreiche Vergangenheit zurückblicken. Erstmals eingesetzt im Zweiten Weltkrieg gegen Japans Streitkräfte, kämpfte die Infanterie-Einheit seither in fast allen großen Kriegen der USA: im Koreakrieg, im Vietnamkrieg, im Ersten Golfkrieg und im Krieg gegen den Terror im Irak, in Syrien und in Afghanistan. Am vergangenen Wochenende wurden die Marines des 2. Bataillons überraschend erneut in Alarmbereitschaft versetzt.
Der Einsatzort? Nicht der Nahe Osten, nicht Asien, nicht Afrika, stattdessen: Los Angeles, die zweitgrößte Stadt der USA. Am Montagabend setzte sich ein erster Konvoi vom Stützpunkt Twentynine Palms im Süden Kaliforniens in Bewegung.
Herrscht etwa Krieg in den USA?
Folgt man der Einschätzung von US-Präsident Donald Trump, besteht jedenfalls die Gefahr, dass im Großraum von Los Angeles (LA) ein Aufstand gegen die rechtmäßige Führung der Vereinigten Staaten von Amerika stattfindet. Sollte das der Fall sein, werde er den „Insurrection Act“ geltend machen, sagt Trump, das Gesetz, das dem Präsidenten die Entsendung des Militärs im eigenen Land gestattet. Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits 700 Marines losgeschickt.
Die Marines sollten die rund 4000 Soldaten der Nationalgarde unterstützen, die zur „Sicherung von Personen und Eigentum der Bundesbehörden“ nach Los Angeles beordert wurden. Und sie sollen laut Verteidigungsminister Pete Hegseth die Beamten der Einwanderungsbehörde ICE beschützen.
Mit dem Protest gegen deren Vorgehen hatte alles angefangen. Beamte der ICE führen seit Wochen Razzien durch, um Einwanderer zu finden, die abgeschoben werden sollen. Dabei handelt es sich um Menschen, die zwar illegal in die USA gelangten, teils aber seit Jahren dort leben, deren Kinder US-Staatsbürger sind und die unter der Regierung Joe Bidens Schutz genossen. Sie werden nun auf offener Straße, auf Parkplätzen, zu Hause und sogar vor Schulen festgenommen. In Haft genommen wird auch, wer wie vorgesehen den jährlichen Termin bei der ICE wahrnimmt, um bleiben zu dürfen. Mindestens 3000 Festnahmen am Tag verlangt die Regierung von der ICE.
Die ersten Proteste dagegen gab es am vergangenen Freitag, noch am Samstag veröffentlichte die Polizei von Los Angeles eine Pressemitteilung, in der sie auf den friedlichen Charakter der Demonstrationen hinwies und sich bei den Organisatoren für die Kooperation bedankte.
Wenig später rief Trump den Kalifornischen Gouverneur Gavin Newsom an, einen Demokraten, und kündigte die Entsendung der Nationalgarde an. Newsom bat ihn, davon abzusehen, das würde die Situation nur weiter verschärfen, und außerdem sei die Lage unter Kontrolle.
Doch das kümmerte Trump wenig.
Experimentierfeld LA
Dass die Nationalgarde gegen den Willen eines Bundesstaates eingesetzt wird, ist heikel – und höchst ungewöhnlich.
Anders als Polizei und Militär besteht die Nationalgarde großteils aus Teilzeit-Soldaten, die zivilen Berufen nachgehen. Zum Einsatz kommt sie bei Naturkatastrophen oder bei massivem Widerstand gegen die Staatsgewalt. Auf den Plan gerufen wird die Nationalgarde, die den Bundesstaaten untersteht, normalerweise auf Wunsch der Gouverneure, wenn die Polizei überfordert ist.
Nur in Ausnahmefällen, bei einer feindlichen Invasion oder einer drohenden Revolution, übernimmt das Weiße Haus die Kontrolle, und auch dann muss die Entsendung über die Bundesstaaten erfolgen. Diese Regel hat Verteidigungsminister Hegseth gebrochen – und das erste Mal seit den 1960er-Jahren Soldaten gegen den Willen des Gouverneurs in einen Bundesstaat geschickt.
Das letzte Mal nach Kalifornien entsandt wurde die Nationalgarde im Jahr 1992 auf Wunsch des damaligen Gouverneurs Pete Wilson. Der Freispruch von vier Polizisten, die den Afroamerikaner Rodney King bis zur Bewusstlosigkeit geprügelt hatten, hatte damals zu gewalttätigen Krawallen geführt. Die Schäden waren enorm, mehr als 50 Menschen starben, Tausende wurden verletzt. Mit den aktuellen Protesten in LA sind die Ausschreitungen von 1992 nicht vergleichbar.
Möglich wurde die Entsendung der Nationalgarde damals durch den sogenannten Insurrection Act. Das Gesetz aus dem Jahr 1807 erlaubt es dem Präsidenten, in Ausnahmefällen Soldaten im Inland einzusetzen. Doch bisher hat sich Trump nicht auf dieses Gesetz bezogen, und damit zu argumentieren, wäre ohnehin schwierig: Eingeführt wurde es zur Verteidigung gegen Feinde aus dem Ausland und nicht gegen Zivilisten im eigenen Land.
Soldaten gegen die eigene Bevölkerung einzusetzen, ist ein Tabubruch. Der sogenannte Posse Comitatus Act, ein Gesetz aus der Zeit nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg, verbietet den Einsatz regulärer Bundestruppen für polizeiliche Zwecke im Inland.
Trump beruft sich auf „Title 10“ aus dem United States Code, dem Rechtsbestand der Vereinigten Staaten. Demnach müssen Befehle „über die Gouverneure der Bundesstaaten ergehen“. Doch Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom hat den Einsatz der Nationalgarde explizit abgelehnt und diesen als „illegal, unmoralisch und verfassungswidrig“ bezeichnet. Newsom hat Klage gegen den Einsatz des Militärs eingereicht.
Los Angeles werde als „Testfall dafür benutzt, was passiert, wenn die Bundesregierung eingreift und der lokalen Regierung die Befugnisse entzieht“, sagte Bürgermeistern Karen Bass am Dienstag. Die Stadt solle nicht als Experimentierfeld missbraucht werden.
„Schießt einfach auf sie“
Mit der vermeintlichen Eskalation in LA geht ein alter Wunsch Trumps in Erfüllung. Der US-Präsident träumt schon lange davon, das Militär gegen Demonstrierende einzusetzen. Schon in seiner ersten Amtszeit wollte er auf Protestierende der Black-Lives-Matter-Bewegung sowie auf illegale Einwanderer schießen lassen. „Prügelt sie windelweich“, forderte er für Menschen, die gegen Polizeigewalt demonstrierten, „schießt einfach auf sie“.
Trump hofft auf Chaos, damit er rechtfertigen kann, noch härter durchzugreifen.
Gavin Newsom
Gouverneur Kaliforniens
Daraus wurde bekanntlich nichts, und Trump machte dafür seine eigenen Leute verantwortlich. Seine juristischen und militärischen Berater bezeichnete er als „loser“, als Verlierer also, die es nicht wagen, seinen Befehlen zu folgen. Doch er gab nicht auf. Nach dem Ende seiner ersten Amtszeit arbeiteten Trumps Alliierte an Strategien, wie der Einsatz des Militärs im Inland juristisch abgesichert werden kann. Und im Wahlkampf überlegte er laut, wie „Feinde im Inneren“ bekämpft werden können: „Das sollte sehr leicht möglich sein, wenn nötig durch die Nationalgarde oder, wenn wirklich nötig, durch das Militär.“ Dafür brauche es lediglich „einen wirklich gewaltsamen Tag, eine derbe Stunde“.
Offenbar sind die Proteste in LA die Gelegenheit, auf die Trump gewartet hat. Der US-Präsident dehnt die Grenzen seiner Macht immer weiter aus, das sieht man auch in LA wieder. Mit dem Gouverneur der demokratischen Hochburg Kalifornien Gavin Newsom tritt Trump gegen einen prominenten Demokraten an, der noch dazu Ambitionen auf die Präsidentschaft hegt. Und es geht um Trumps Lieblingsthema, sein Kernanliegen, mit dem er bei seiner Basis nur gewinnen kann: illegale Migration.
Dass Trump die Armee aus Kalkül geschickt hat, glaubt auch Newsom. Der Präsident wolle eine Krise heraufbeschwören, so Kaliforniens Gouverneur, „er hofft auf Chaos, damit er rechtfertigen kann, noch härter durchzugreifen“. Das Kalkül dürfte zumindest teilweise aufgegangen sein. Die Regierung bezeichnet die Stadt als „Kriegsgebiet“, dabei finden die Proteste lediglich in einem kleinen Teil der Innenstadt statt.
Doch vergangene Woche wurden die Proteste zunehmend schärfer, Demonstranten warfen Steine und setzen Autos in Brand. Die Polizei antwortete mit Tränengas und Gummigeschossen, es gab zahlreiche Festnahmen. Die Bilder von vermummten Demonstranten und hinter Schildern verschanzten Sicherheitskräften unter Schwaden von Tränengas helfen Trump, der behauptet, die Stadt brenne lichterloh.
Noch ist die Lage in LA nicht eskaliert, es gibt Verhaftungen, aber keine Toten. „Noch nicht“, sagt der Harvard-Professor Clarence Lusane. Mit dem Vorgehen der Regierung werde es früher oder später zu Gewalt kommen. Trump brauche die Eskalation auf der Straße, er hoffe auf Gewalt, um seine Vorhaben zu rechtfertigen, so der Politologe. Dann könnte er Soldaten in demokratisch regierte Städte im ganzen Land schicken.
Lusane befürchtet, dass Trump den Insurrection Act doch noch ausrufen könnte – und zwar vor den Zwischenwahlen im Herbst 2026. Die Regierung könnte dann behaupten, das Land schützen zu müssen, und die Zwischenwahlen aussetzen.
„Die Regierung legt gerade den Grundstein für den Insurrection Act“, sagt Lusane, „die Frage ist nicht, ob das geschehen wird, sondern wann“.

Siobhán Geets
ist seit 2020 im Außenpolitik-Ressort.

Robert Treichler
Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur