Porträt einer Frau: Sie trägt ein blaues Oberteil und einen schwarzen Schal.
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Friedensaktivistin Farhat-Naser: „Gaza ist außer sich vor Freude“

Die palästinensische Friedensaktivistin Sumaya Farhat-Naser erzählt was sie von Donald Trumps Gaza-Friedensdeal erwartet.

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Was war Ihre erste Reaktion darauf, dass Israel und die Hamas sich auf eine Waffenruhe und eine Freilassung der Geiseln geeinigt haben?

Sumaya Farhat-Naser

Erleichterung. Die Menschen in Gaza sind außer sich vor Freude. US-Präsident Donald Trump hat gezeigt, dass er sich gegen Netanjahu durchsetzen kann.

Kinder zeigen das Peace-Zeichen, links eine Palästina-Flagge, im Hintergrund Zelte und zerstörte Mehrstockgebäude.
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In Gaza (und Israel) feierten Menschen spontan auf der Straße.

Zwei Mal sind vereinbarte Waffenruhen schon gescheitert. Sind Sie besorgt, dass sich das wiederholen könnte?

Farhat-Naser

Ich habe Angst, dass zwar die Geiseln freigelassen werden – was notwendig ist –, aber der Krieg weitergeht wie bisher. Doch der internationale Druck sowie jener innerhalb Israels auf Netanjahu ist so stark gewachsen, dass er nur schwer vom aktuellen Kurs abschwenken kann. Währenddessen geht es der Hamas darum, möglichst viele palästinensische Gefangene freizubekommen.

Zur Person

Sumaya Farhat-Naser, 77, lehrt an palästinensischen Schulen Friedenserziehung und lebt in Birzeit im Westjordanland. Von 1997 bis 2001  leitete sie die Nichtregierungsorganisation „Jerusalem Center for Women“. Die Palästinenserin aus christlicher Familie schrieb mehrere Bücher über den Konflikt. Sie ist für eine Vortragsreihe in Österreich.

Warum ist das für die Hamas wichtig?

Farhat-Naser

Die Hamas versucht, ihr Gesicht zu wahren, nachdem sie sich mit ihrem Angriff am 7. Oktober verkalkuliert hat. Für uns Palästinenser ist die Gefangenenfrage wichtig, weil 14.000 politische Gefangene, viele davon in Administrativhaft ohne Anklage, in Israels Gefängnissen sitzen. Erst letzte Woche kamen Professoren, Kollegen von mir, frei. Ich erkannte sie nicht wieder: Sie hatten in anderthalb Jahren im Gefängnis 20 Kilo abgenommen. Aber für die Hamas wäre vor allem die Freilassung von Marwan Barghouti (Politiker der im Westjordanland regierenden Fatah, Anm.) und Ahmad Sa’adat, Parteivorsitzender der PFLP (die militante, linksnationalistische Volksfront für die Befreiung Palästinas, Anm.), eine große Errungenschaft.

Marwan Barghouti gilt als potenzieller Hoffnungsträger für einen palästinensischen Staat. Doch Israel möchte ihn nicht freilassen …

Farhat-Naser

Dabei könnte Barghouti alles auffangen. Er ist beliebt, nicht korrupt und war ein hoher Politiker. Er weiß zu verhandeln, auch mit der Hamas, und könnte die Sorgen der Bevölkerung beruhigen. Ich habe ihn selbst einst in Biologie unterrichtet. Er hat schon damals politische Reden geschwungen.

Vier Polizisten umringen einen Mann (Marwan Barghouti) in braunem Jackett.
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Marwan Barghouti (hier bei seinem Prozess, 2003) gilt in Palästina als Hoffnungsträger, viele Israelis sehen ihn als Terroristen.

Ein israelisches Gericht verurteilte Barghouti zu fünfmal lebenslänglich, weil er Terroranschläge, die fünf Israelis getötet haben, geplant haben soll.

Farhat-Naser

Er sitzt seit 23 Jahren im Gefängnis. Barghouti wurde verurteilt in seiner Kapazität als Vorsitzender der Fatah-Jugendbewegung. Er hat nie jemanden getötet. Er hat sich immer gegen Gewalt an Zivilisten ausgesprochen, er hat im Untergrund mit israelischen Politikern verhandelt und die Friedensgespräche zwischen Israel und Jassir Arafat (ehemaliger palästinensischer Präsident und einflussreicher Fatah-Chef, Anm.) vorbereitet. Er ist immer für Versöhnung aufgetreten.

Was soll mit der Hamas passieren, nachdem ein Friedensdeal in Gaza zustande gekommen ist? Israel pocht darauf, dass sie zerschlagen werden muss.

Farhat-Naser

Die Hamas ist nicht das palästinensische Volk. Die hohen Köpfe der Hamas sitzen sowieso schon im Ausland, vielleicht verlassen noch weitere 100 bis 200 hohe Funktionäre im Zuge von Verhandlungen das Land. Aber was soll Israel mit den Tausenden einfachen Kämpfern in Gaza machen? Sie alle töten, einsperren oder abschieben? Das ist doch unmöglich. Wir brauchen eine Amnestie.

Raphael  Bossniak

Raphael Bossniak

seit Juli 2025 im Außenpolitik-Ressort. Davor freier Journalist für APA, Kurier und die deutsche Nahostfachzeitschrift zenith. Schwerpunkt Nahost / Kaukasus / Osteuropa.