Ein Selfie von einem Mann mit seiner Frau und den zwei Töchtern
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Verzögerung bei Übergabe toter Geiseln: „Die Kinder brauchen einen Ort zum Trauern“

Die Leiche des von der Hamas getöteten, dreifachen Vaters Ronen Engel sollte mittlerweile zurück in Israel sein, doch die Übergabe verzögert sich. Im profil-Interview spricht sein Bruder Dani über den Schmerz, nicht abschließen zu können.

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Der dreifache Vater, Ehemann und ehemalige Pressefotograf Ronen Engel wurde am 7. Oktober im Alter von 54 Jahren von der Terrororganisation Hamas in seinem Kibbuz in Nir Oz im Süden Israels getötet. In kaum einem Kibbuz forderte der Überfall der Hamas so viele Tote und Verschleppte wie hier. Auch Ronen Engels Frau sowie die zwei Töchter wurden nach Gaza verschleppt. Sie kamen im November 2023 frei. Der Leichnam von Ronen Engel soll im Rahmen des Hamas-Israel-Deals überbracht werden. 

Doch die Übergabe verzögert sich. Bereits in den vergangenen Wochen hatte es vonseiten der Hamas, des Roten Kreuzes, aber auch von israelischen Behörden geheißen, die Terrororganisation sei womöglich nicht in der Lage, die Überreste aller 28 getöteten Geiseln zu finden, die sich noch im Gazastreifen befinden. Am Dienstag übergab die Hamas vier Leichen an Israel, Ronen Engel war nicht darunter. 

profil sprach mit Dani Engel, der seit zwei Jahren darauf wartet, seinen Bruder Ronen begraben zu können. 

Ihr Bruder Ronen wurde am 7. Oktober von der Hamas getötet. Sein Leichnam befindet sich noch immer im Gazastreifen. Wie geht es Ihnen damit?

Dani Engel

Wir haben noch immer keine Neuigkeiten. Ich bin froh, wenn das Warten ein Ende hat. Viele Menschen in Israel werden ihre Angehörigen wiedersehen. Ich werde eine Leiche zurückbekommen. All das wird mich und meine Familie noch lange begleiten.

Sie wissen seit fast zwei Jahren, dass ihr Bruder tot ist. Warum war es für Sie dennoch so wichtig, für seine Rückkehr zu kämpfen?

Engel

Wenn jemand an Krankheit oder Altersschwäche stirbt, hält man eine Beerdigung ab. Dannach setzt man sich gemeinsam hin und nimmt Abschied. So läuft das normalerweise. Bei uns war es anders: Mein Bruder ist plötzlich aus unserem Leben verschwunden – und wir haben nicht einmal ein Grab. Deswegen war all das noch nicht real für mich. Ich weiß, dass mein Bruder nicht lebend zurückkehren wird. Aber wir haben die verschiedenen Trauerstufen noch nicht durchlaufen. Die Kinder meines Bruders sind zwölf, 20 und 23 Jahre alt. Sie brauchen einen Ort, an dem sie um ihren Vater trauern können.

Können Sie uns etwas über Ihre Familie erzählen?

Engel

Unsere Eltern kamen in den 1960er-Jahren aus Rumänien nach Israel. Sie haben sich hier kennengelernt, geheiratet und zwei Söhne bekommen. Mein Bruder war der Jüngere. Wir sind in Tel Aviv aufgewachsen. Ronen arbeitete als Fotoreporter für israelische Zeitungen. Später wollte er mit seiner Familie an einen ruhigeren Ort aufs Land ziehen. Dort lernte er, in der Landwirtschaft zu arbeiten, einen Traktor zu fahren, und er entwickelte Bewässerungsanlagen. Er hat sich außerdem ehrenamtlich beim Rettungsdienst engagiert.

Wie würden Sie ihren Bruder beschreiben?

Engel

Er war der größte Optimist, den man sich nur vorstellen kann. Er hatte ein Tattoo mit der Aufschrift: „Always look on the bright side of life”. Er war stets der lustigste Mensch im Raum. Er war der beste Freund, den man sich wünschen kann. Der beste Vater, den ein Kind haben kann. Er war einer, der immer zu Hilfe geeilt ist. Am 7. Oktober hat er in der Küche seines Hauses gegen die Terroristen gekämpft. Bis zu seinem letzten Atemzug.

Was ist am 7. Oktober in Nir Oz geschehen?

Engel

Schreckliche Dinge, die ich hier nicht wiedergeben möchte, weil sie so grausam sind. Was die wenigsten wissen: Nicht nur Terroristen der Hamas haben an diesem Tag den Kibbuz überfallen, sondern auch ganz normale Bewohner von Gaza. Sie haben Häuser niedergebrannt und ausgeraubt, Menschen getötet und Frauen vergewaltigt. Vom Haus meines Bruders ist nichts übriggeblieben. Private Gegenstände, Fotos – alles weg. Wir wissen nur, dass er sich – bewaffnet mit einer Pistole – zu wehren versucht hat. Aber es waren zu viele Angreifer, und sie warfen Granaten auf das Haus.

Wissen Sie, ob ihr Bruder in Gaza ums Leben kam?

Engel

Nein, sie haben ihn am 7. Oktober getötet und seine Leiche nach Gaza verschleppt.

Was geschah mit seiner Familie?

Engel

Seine Frau und die zwei Töchter Mika und Yuval – 18 und zehn Jahre alt – wurden an diesem Tag als Geiseln verschleppt. Sie kamen im Zuge des ersten Geisel-Deals im November 2023 frei. Der älteste Sohn leistete zu dem Zeitpunkt gerade seinen Wehrdienst bei der Armee und war nicht im Kibbuz. Nach 52 Tagen kamen seine Frau und die Töchter nach Hause. Kurz darauf haben wir erfahren, dass Ronen nicht mehr am Leben ist. Seitdem kämpfen wir für seine Rückkehr – und für die aller Geiseln aus Gaza.

Die ermordeten Geiseln sollen alle zurückgebracht werden. Wie ist die Stimmung in Israel?

Engel

Wir hoffen, dass wir diese Katastrophe endlich verarbeiten können. US-Präsident Donald Trump ist es tatsächlich gelungen, Druck auf die Hamas auszuüben und alle Geiseln frei zu kriegen. Ich hoffe, dass sie in einem nächsten Schritt ihre Waffen niederlegen und die Kontrolle über den Gazastreifen aufgeben werden.

Wie sieht es heute im Kibbuz Ihres Bruders aus?

Engel

Vieles muss wieder aufgebaut werden – mehr als die Hälfte der Häuser. Einige Nachbarn reden darüber, ob sie zurückkehren sollen.

Auch ihre Familie?

Engel

Wir wissen es noch nicht. Da ist zu viel Schmerz, da sind zu viele Erinnerungen. Die Frau meines Bruders muss ihr Leben neu aufbauen. Sie und die Kinder sollten ein friedliches Leben weit weg von Gaza und der Grenze haben. Andere Menschen können den Kibbuz wieder aufbauen. Unser Leben wird nie wieder dasselbe sein, aber ich bin froh, dass diese zwei Jahre ein Ende haben.

Franziska Tschinderle

Franziska Tschinderle

schreibt seit 2021 im Außenpolitik-Ressort. Studium Zeitgeschichte und Journalismus in Wien. Schwerpunkt Südosteuropa / Balkan.