Vor 72 Stunden ging Osama noch durch die Nacht von Gaza. Er schritt durch Straßen, die keine mehr sind, durch Ruinen und das Surren israelischer Militärdrohnen. Mit seiner Familie flüchtete der 25-Jährige vor der jüngsten israelischen Operation aus Gaza-Stadt Richtung Süden. Nach einigen Kilometern sagte er Lebewohl und ging ohne seine Eltern und Geschwister weiter. Osama glaubt, es war höchstwahrscheinlich ein Abschied für immer. Hunger und Tod sind in Gaza allgegenwärtig. „Ich glaube nicht, dass ich meine Familie jemals wiedersehen werde.“ Seine Mutter weinte, sein Vater sagte, er möchte die Trennung von seinem jüngsten Sohn aus seiner Erinnerung löschen.
Osamas Schrittzähler-App registrierte einen Fußmarsch von exakt 23,33 Kilometern bis zum Evakuierungsbus, der ihn aus Gaza herausbringen sollte; raus aus einem Krieg, den international anerkannte NGOs wie Ärzte ohne Grenzen, Human Rights Watch, B’Tselem sowie eine von der UN eingesetzte Kommission als Genozid bezeichnen.
Alles, was Osama bei seiner Evakuierung mitnehmen durfte, war das, was er an seinem Leib trug, inklusive Handy, Brieftasche, Brille, sowie sein palästinensisches Reisedokument. Vom Grenzübergang Kerem Shalom aus wurde er über Israel zum jordanischen Grenzübergang Allenby Bridge gebracht. Er blieb zwei Tage in Amman, stieg ins Flugzeug nach Istanbul und von dort aus nach Wien. Am vorvergangenen Freitag steht der schlaksige junge Mann mit dem breiten Lächeln dann in der Ankunftshalle des Flughafens Wien-Schwechat unter Leuchtreklamen im Neonlicht. Er stellt eine einzige Frage immer und immer wieder: „Is this real?“
Das Bewusstsein um die neue Realität bricht über scheinbare Nebensächlichkeiten herein. Später an diesem Abend wird Osama ungläubig seine Brille abnehmen und feststellen, dass er sie seit drei Tagen nicht mehr putzen musste. „In Gaza habe ich sie ständig wegen des Staubs abgewischt, der von den zerbombten Gebäuden und den Ruinen aufgewirbelt wurde und sich auf die Gläser gelegt hat“, sagt er. Seit er Gaza verlassen hat, hat sich buchstäblich sein Blick verändert.
Osama Naim, geboren und aufgewachsen in Gaza, Nachfahre palästinensischer Vertriebener aus Nazareth, Absolvent der Al-Azhar Universität in Gaza, Jurist, Menschenrechtsaktivist, ist nun Student der Diplomatischen Akademie. In den nächsten zwei Jahren wird der junge Mann dort den Master of Advanced International Studies absolvieren.
Zwei Jahre Gazakrieg
Osamas Familie schlief noch, als die Hamas Israel am 7. Oktober 2023 brutal überfiel. Die Terrororganisation tötete rund 1200 Menschen und kidnappte 250 Geiseln. Von ihnen befinden sich 22 noch immer in Gaza.
Nahezu zwei Jahre später startete eine erneute Bodenoffensive auf Gaza-Stadt, die israelischen Streitkräfte (IDF) riefen alle Bewohner auf, die Stadt zu verlassen. Doch viele können sich die Flucht nicht leisten, viele sind durch Mangelernährung und ständige Ortswechsel am Rande ihrer psychischen und physischen Kräfte.
Laut den Vereinten Nationen verschlechtert sich die Ernährungslage in Gaza in alarmierendem Tempo. Waren noch im Juli 8,3 Prozent der Kinder mangelernährt, stieg der Anteil nur innerhalb eines Monats auf 13,5 Prozent. Die Vereinten Nationen sprechen von einer Hungersnot. Im Gazakrieg sind mehr als 60.000 Menschen ums Leben gekommen, so die Angaben des Gesundheitsministeriums in Gaza, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen – von deren Validität internationale Organisationen jedoch ausgehen.
Die meisten Länder der Welt haben Palästina als Staat bereits anerkannt, zuletzt kamen weitere gewichtige Staaten wie Frankreich und Großbritannien, Kanada, Australien und Portugal hinzu. Die österreichische Bundesregierung hat bislang abgewunken.
Nach Gaza kommt so gut wie niemand hinein und noch weniger heraus. Doch es gibt immer wieder Ausnahmen, wenn auch spärliche, etwa für junge Palästinenser, die im Ausland Studienplätze bekommen. Belgien, Deutschland, Frankreich, Irland, Italien und Großbritannien haben bereits Studenten aufgenommen. In Osamas Evakuierungsbus saßen beispielsweise Jungakademiker, die an britischen Universitäten studieren werden. Deren Ausreise hatte sich für einige Monate verzögert, was in den britischen Medien für Schlagzeilen sorgte. Osama war im Transporter der Einzige, dessen Weg nach Österreich führte. Seit Beginn des Krieges ist er der erste Student aus Gaza, der es auf eine österreichische Hochschule schaffte.
„Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 hat Österreich rund 60 Personen mit österreichischer Staatsbürgerschaft oder Aufenthaltstitel für Österreich bei der Ausreise aus Gaza unterstützt“, heißt es aus dem Außenministerium. Rund die Hälfte davon waren Staatsbürger, der Rest Menschen mit österreichischer Aufenthaltsgenehmigung. Ärzte ohne Grenzen Österreich fordert auch die Evakuierung von Patienten nach Österreich. Mehr als 15.800 Menschen, darunter 4500 Kinder mit schweren Erkrankungen oder komplizierten Verletzungen, bräuchten dringend medizinische Versorgung, die sie in Gaza nicht bekommen könnten, so die Hilfsorganisation. Österreich hat bisher keinen einzigen Patienten aufgenommen. Es fehle der politische Wille, so Ärzte ohne Grenzen.
Dass Osamas Flucht aus Gaza keine gewöhnliche Ausreise war, wissen jene, die ihn bei diesem nahezu unmöglichen Unterfangen unterstützt haben, nur zu gut. Es handelt sich dabei um eine Gruppe von rund 35 Personen, aktuelle und ehemalige Studierende der Diplomatischen Akademie in Wien. Die meisten von ihnen sind in ihren Zwanzigern und Dreißigern, Österreicherinnen und Österreicher sowie Menschen aus allen Teilen der Welt. Sie sind gut vernetzt, gut ausgebildet – und sie waren hartnäckig.
Vor zwei Monaten schworen sie sich darauf ein, Osama aus Gaza herauszuboxen und ihn an die Diplomatische Akademie in Wien zu bringen. Da waren die Anmeldefristen für das kommende Studienjahr seit Monaten verstrichen, und selbst die Optimisten unter ihnen schätzten ihre Erfolgschancen nicht höher ein als zehn Prozent.
Doch die Gruppe schaffte es nicht nur, Osama zu einem Studienplatz an der Diplomatischen Akademie zu verhelfen sowie zu einem Stipendium über 15.500 Euro für die Studiengebühren, die für die ersten zwei von insgesamt vier Semestern fällig sind. Die Gruppe kümmerte sich auch um eine Aufenthaltsgenehmigung für Österreich und sammelte per Crowdfunding innerhalb von fünf Tagen die dafür nötigen 16.000 Euro, die Osama bei den Wiener Behörden vorweisen muss. Nach ihren Bemühungen gab nicht nur Jordanien grünes Licht für seine Evakuierung, auch das israelische Verteidigungsministerium hatte Osama Naims Ausreise zugestimmt.
Rund 15 aus der Gruppe der Unterstützer warten an diesem Freitag in Wien-Schwechat auf Osama, darunter auch zwei Aktivistinnen der jüdisch-arabischen Initiative „Standing Together“. Viele tragen Kufiyas, sogenannte Palästinensertücher, und winken mit einem Schild, auf dem „Welcome Osama“ geschrieben steht. Rund ein halbes Dutzend Unterstützerinnen und Unterstützer sind per Handyschaltung bei der Ankunft mit dabei. In dem Video-Call ist auch das Gesicht einer Frau mit blauen Augen und langen blonden Haaren zu sehen: Anastasia Perevalova, Russin, 29 Jahre alt, Absolventin der Diplomatischen Akademie, UN Peacebuilding-Spezialistin, derzeit in Kirgisistan für die UN tätig. Sie war bisher die einzige der Gruppe der 35, die Osama persönlich kannte. Perevalova war die Frau, die alles ins Rollen brachte.
Im Auftrag des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung besucht Perevalova im Jahr 2021 Gaza und hält dort Workshops ab. Der junge Aktivist Osama lauscht ihren Worten, sie lernen einander kennen und bleiben per Social Media in Kontakt. Als der Krieg in Gaza beginnt, erkundigt sich Anastasia immer wieder nach Osama, er meldet sich hin und wieder und lässt „Anna“, wie er seine Freundin nennt, wissen, wo er ist und wie es ihm geht.
Im Sommer, da ist die Nahrungsnot in Gaza besonders akut, beschließt Perevalova, für Osama nach Studienplätzen in Europa zu suchen; zunächst in Großbritannien, doch dort sind die Anmeldefristen bereits verstrichen, genauso wie an der Wiener Diplomatischen Akademie. Perevalova versucht es trotzdem.
Sie verfasst einen Brief an Emil Brix, den damals gerade noch amtierenden Direktor der Diplomatischen Akademie, den 27 weitere Unterstützer unterzeichnen: Osama Naims „Leben ist derzeit in Gefahr, da er Hunger, unerbittlichem Beschuss und großer Not ausgesetzt ist“, schreibt Perevalova darin. „Für Osama ist eine Weiterbildung nicht nur ein Traum – sie ist sein einziger möglicher Weg zum Überleben.“
Anastasia Perevalova betont im Telefonat mit profil, dass sie sich um das Schicksal ihres Freundes Osama nicht als Vertreterin ihres Arbeitgebers bemüht, sondern als Privatperson. Und dass sie bei Weitem nicht die Einzige sei, die daran gearbeitet hat. „Ich habe es vielleicht angestoßen, aber wir alle haben beigetragen, mit allem, was wir konnten.“ Jeder habe seine Kontakte, Sprachkenntnisse, Behördenerfahrungen oder Social-Media-Skills eingebracht. Und tatsächlich, wer sieht, wie diese Gruppe agiert, der merkt, dass er es hier mit einem Schwarm hochprofessioneller Troubleshooter zu tun hat, die sich nicht nur um Osamas Evakuierung gekümmert haben. Sie sorgen auch dafür, dass er eine Nagelschere hat, eine dicke Decke, Handtücher und die richtige Kleidung für die ersten Tage an der Uni. Einen Tag vor dem Beginn der Orientierungswoche fürs Studium besaß Osama nur ein Poloshirt und kurze Hosen. Am nächsten Morgen erschien er in einem dunkelblauen Anzug, der ihm wie angegossen passte. Organisiert, gekauft und bereitgestellt von seinen Freunden. „Sie machen alles ungefragt, sie sind so freundlich, sie kümmern sich so sehr um mich“, sagt Osama. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Meine Mutter schickt ihnen Grüße und segnet sie jedes Mal, wenn ich sie höre.“ Per Telefon steht Osama nach wie vor in Kontakt mit seiner Familie, wenn es deren Situation zulässt.
Emil Brix, mittlerweile ehemaliger Direktor der Diplomatischen Akademie, sagt gegenüber profil, er sei stolz, dass alles so gut geklappt hat. Die hohe Qualität von Osamas Bewerbung war überzeugend. Das zeigen auch seine Unterlagen. In seinem Motivationsschreiben formuliert er, damals noch in Gaza: „Ich schreibe diesen Brief, umgeben von Ruinen, ohne Zugang zu einer stabilen Stromversorgung, mit minimaler Nahrungsversorgung und in ständiger Angst, dass jede Stunde meine letzte sein könnte.“ Studenten in Gaza seien genötigt, „Bewerbungen bei Kerzenlicht zu schreiben, inmitten von Bombenangriffen zu studieren und weiter zu träumen, während sie unter Schweigen, Asche und Isolation begraben werden.“
Es bleibt nicht bei dem eindringlichen Brief. Hinzu kommen Empfehlungsschreiben, die Osamas Bewerbung zusätzliches Gewicht verleihen: vom Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA) sowie von der internationalen Entwicklungsorganisation Oxfam – für beide hatte Osama in der Vergangenheit gearbeitet. Er gab Kurse zum Thema Geschlechtergerechtigkeit und Kinderrechte, er untersuchte die Lage der Menschenrechte in Gaza. Er war nie Mitglied einer politischen Partei, sagt er.
Osamas Realität ist, dass er um seine Familie fürchtet, die nach wie vor in Gaza ist und in vielerlei Hinsicht unter Druck steht. Seine Realität ist aber auch, dass er von seinen Freunden ermahnt wird, sich anzuschnallen, nachdem er sich am Flughafenparkplatz ins Auto setzt – „aus Sicherheitsgründen“. Schallendes Gelächter bricht aus.
Der Ankömmling wird aufgefordert, Musik auszusuchen, er dreht arabischen Pop aus Ägypten auf, dann „Layaly El Ons fi Vienna“, eine arabische Schnulze aus dem Jahr 1944, in der die schönen Nächte in Wien besungen werden, und das Lied „Drag Me Down“ der US-Band One Direction, bei dem Osama jedes Wort mitsingt. „I got a river for a soul, and baby, you’re a boat.“
Sein Blick bleibt hängen an ausgeleuchteten Tankstellen, an den Straßenlaternen, an den Werbetafeln, an den Autos, die überholen. „In Gaza“, sagt Osama, „gibt es keine Autos mehr.“
Osamas neues Zuhause ist die Diplomatische Akademie. Im Jahr 1754 unter Maria Theresia als kaiserlich-königliche Akademie für Orientalische Sprachen gegründet, ist sie die älteste diplomatische Kaderschmiede der Welt. Sie hat auch Studentenzimmer, in einem davon wohnt nun Osama. Ein Bett, ein Kasten, ein Schreibtisch, ein Kühlschrank sowie ein Dusche. Der schlaksige junge Mann, der gerade eben noch scherzte, lachte und sang, nimmt seine Brille ab und bekommt etwas nahezu Staatsmännisches, wenn er seinen Freunden mit unerschütterlicher Stimme davon erzählt, was er ist und was nicht: „Ich bin keine Nummer, ich bin ein Mensch. Ich bin Akademiker. Ich wollte mich nicht zum Essenssucher degradieren lassen. Wir Palästinenser wollen nicht sterben, wir wollen leben und unser eigenes Land.“ Davon, dass nun viele Staaten Palästina anerkennen, verspricht er sich vorerst nicht viel. Es würde an der realen Situation für die Menschen nichts ändern. „Wir Palästinenser werden von allen allein gelassen.“
Zwei Tage nach der Landung sitzt Osama im Wiener Kunsthallen-Café und isst Omelett. „Ein vergessener Geschmack“, sagt er. Seit einem Jahr hat er keine Eier mehr gegessen. Essen sei für ihn kein leichtes Thema, sagt er. Oft habe er gehungert in Gaza, aber auch jetzt ist nicht alles automatisch gut, nur weil nun alles verfügbar ist. Sein Körper müsse sich erst wieder an die Fülle gewöhnen. Manchmal, wenn er Fleisch riecht, werde ihm fast übel, sagt er. Seine Freunde von der Diplomatischen Akademie haben ihn mit Vitamin- und Elektrolytepäckchen ausgestattet. Osama erzählt davon, wie sehr es ihn im Hotel in Amman verblüfft hat, dass nach fast zwei Jahren ohne fließendes Wasser plötzlich wieder alles funktionierte: Strom, Essen, Ruhe in der Nacht.
Das Hotel in Amman sei unweit der österreichischen Botschaft gewesen, sagt er, und er wird nicht müde zu betonen, wie hilfsbereit und auch wie zuvorkommend die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der österreichischen Botschaften und der diplomatischen Vertretungen in Amman, Ramallah und in Tel Aviv waren. Sie hätten sich persönlich für ihn und sein Fortkommen eingesetzt. Ebenso wie seine Freunde von der Diplomatischen Akademie.
Am 13. Oktober 2023 sah Osama zum ersten Mal Menschen sterben. Wenige Meter von ihm entfernt schlug ein Projektil ein und zerfetzte den Körper eines Mannes, dessen Kopf es vor Osamas Füße schleuderte. In den vergangenen zwei Jahren flüchteten Osama und seine Familie mehrmals. Er sagt: „Ich weiß nicht, wie man weint. In Gaza hast du keine Zeit zum Traurigsein. Du bist immer auf der Suche nach irgendetwas – Menschen, Essen, Unterschlupf. Wenn du stirbst, kümmert es niemanden. Du bist eine Nummer. Ich will keine Nummer sein.“
Osama erzählt von der schwierigen Nahrungsbeschaffung und davon, wie es ist, unter den derzeitigen Umständen in Gaza auf seine Körperpflege zu achten. Er wusch sich im Meer, einmal pro Woche mit destilliertem Wasser, das sehr teuer war. Strom gibt es keinen, aber mithilfe von Stromgeneratoren laden die Menschen ihre Handys und Laptops auf. Mancherorts kann man in Gaza elektronisch mit dem Handy bezahlen, oft ist auch das nicht möglich. Um an Bargeld zu kommen, zahlt man in der Regel 50 Prozent Kommission. Die Scheine, die man in Gaza bekam, waren und sind seit jeher israelische Schekel. „Menschen sterben ständig und überall“, sagt Osama. Er selbst las zwei Mal die Leichen Fremder von der Straße auf, nahm sie auf die Schulter und trug sie ins Spital, damit sie dort registriert werden. Hinweise wie Kleidung könnten es jenen, die womöglich nach ihnen suchen, erleichtern, sie zu finden. „Sehr viele Menschen werden in Gaza vermisst.“
Viele werden vermisst, obwohl sie gerade noch da waren, sagt er. Zum Beispiel bei israelischen Angriffen, deren Detonationen derart heftig sind, dass die Körper bis zur Unkenntlichkeit zerfetzt werden. In solchen Fällen, wenn die Hinterbliebenen keine Leichen haben, die sie bestatten könnten, sammeln sie menschliche Überreste – für ein Kind gelten 20 Kilogramm, für erwachsene Männer 80. Auf die Säcke werden die Namen der Getöteten geschrieben, damit gelten sie als bestattet. Doch wessen Fuß, Hand, Muskel aufgeklaubt wurde, ist nicht mehr nachzuvollziehen.
Der schlimmste Moment für Osama war, als er im Nasser Spital in Chan Yunis steckte. Er war gekommen, um einen Freund zu besuchen, als das Spital plötzlich von israelischen Soldaten gestürmt wurde. Zehn Stunden lag er auf dem Boden, sagte nichts und rührte sich nicht. Jeder, der sich bewegte, riskierte, erschossen zu werden. Der Mann, der neben ihm lag, wurde getötet, sein Blut spritzte auf Osamas Gewand, ein weißes T-Shirt. „Seither habe ich nichts Weißes mehr getragen“, sagt er. „Aber ich werde wieder damit anfangen.“
Osama Naims Unterstützerin Anastasia Perevalova sagt ihm immer wieder, dass es nicht Glück war, das ihn aus Gaza brachte – sie will, dass er die Dinge anders versteht: „Osama wurde von Geburt an um seine Zukunft beraubt, nur weil er in Gaza geboren wurde“, sagt sie. „Und dennoch hat er seinen Glauben an das Leben behalten und sein Lachen nicht verloren.“