Der Gazakrieg reißt auch zwischen Juden und Palästinensern in Österreich tiefe Gräben auf. Die Jüdin Ruti Katz und der Palästinenser Osama Zatar halten trotz allem an ihrer Vision eines friedlichen Zusammenlebens fest.
In ihren Tunneln hält die Hamas seit 680 Tagen israelische Geiseln gefangen, während palästinensische Kinder wegen des Krieges und der Einschränkung der Hilfslieferungen hungern. Der Konflikt hat eine Propagandaschlacht entfacht, auch in Österreich. Viele schlagen sich auf eine Seite und feinden die jeweils andere an. Doch nicht so hier, in einer Wohnung im 16. Wiener Gemeindebezirk: Die 71-jährige Ruti Katz, eine in Israel geborene Jüdin, und der 43-jährige Palästinenser Osama Zatar sitzen nebeneinander auf einer dunkelgrauen Couch in ihrem Wohnzimmer. Sie streiten nicht, sie erzählen von ihrem gemeinsamen Traum, dem Frieden in ihrer Heimat – Israel und Palästina.
Nicht erst der 7. Oktober 2023, der Tag, an dem die Terrororganisation Hamas in Israel ein Massaker verübte, hat den Nahostkonflikt in das Leben der beiden gebracht, er war schon zuvor Teil ihres Alltags.
Osama Zatar wächst in einem kleinen Dorf in der Nähe von Ramallah auf. Er lernt die Mauern kennen, die das Westjordanland abriegeln, die Checkpoints der israelischen Armee, Szenen von Gewalt. Nach seinem Schulabschluss beginnt er auf einem Markt in Israel zu arbeiten, ohne es seinen Eltern zu sagen. Dort begegnet er erstmals israelischen Zivilisten, bis dahin hatte er sie nur als Soldatinnen und Soldaten, Siedlerinnen und Siedler erlebt. Zatar lernt Hebräisch. Immer wieder wechselt er im Gespräch mit Ruti Katz einige Sätze in ihrer Muttersprache.
Israel und Palästina: Für mich ist es Teil meines Lebens, zusammenzubleiben und zusammenzuleben – es ist mein Lebensprojekt.
Osama Zatar
Mitgründer der Organisation Standing Together
Zatar heiratet später eine israelische Jüdin, und die Überwindung der Kluft zwischen Juden und Arabern wird sein politisches Leitmotiv: „Israel und Palästina: Für mich ist es Teil meines Lebens, zusammenzubleiben und zusammenzuleben – es ist mein Lebensprojekt“, sagt der 43-Jährige. Ein Leben in Israel oder Palästina sei ihm und seiner Frau aufgrund der rechtlichen Hürden nicht möglich gewesen, deshalb zogen sie erst nach Deutschland und 2008 nach Wien.
Auch Ruti Katz erinnert sich noch genau an ihre erste Begegnung mit Palästinenserinnen und Palästinensern: Nach dem Sechstagekrieg von 1967 zog ein palästinensisches Paar mit seinem Baby in den Wohnblock in Jerusalem. Zu ihren neuen Nachbarn entwickelt sie eine enge Beziehung. Als Katz’ Bruder zum Wehrdienst bei der israelischen Armee einrückt, wurde sie sich der Verantwortung Israels im Nahostkonflikt noch bewusster, sagt sie. Sie selbst verweigert den Dienst bei der israelischen Armee – heute wäre das nicht mehr so einfach, so Katz. „Die Regierung unternimmt nichts für ein Ende des Konflikts, warum sollte ich der Armee beitreten“, rechtfertigt die Jüdin ihre ablehnende Haltung.
In Wien lernen einander Katz und Zatar im März 2022 kennen. Beide sind Mitglieder des Künstlerkollektivs OneState Embassy, dem fünf israelische und palästinensische Künstlerinnen und Künstler angehören. Alle verarbeiten den Nahost-Konflikt in ihrer jeweiligen Kunstform. Osama Zatar thematisiert seine Erfahrungen in Skulpturen, Katz in Musik.
Nach dem 7. Oktober 2023 organisiert Zatar mit der Musikerin Isabel Frey die erste Mahnwache am Wiener Platz der Menschenrechte: Für die zivilen Opfer in Israel und Palästina, wie ihr Künstlerkollektiv OneState Embassy unter anderem auf Instagram schreibt. „Ich dachte, vielleicht kommen zehn Menschen, und war überrascht, als fast 1000 Personen teilgenommen haben“, erzählt Osama Zatar. Noch am selben Abend wurde Standing Together gegründet – zu viele Personen wollten OneState-Embasy-Mitglied werden, und das Künstlerkollektiv sei nun mal für Künstlerinnen und Künstler. Bis heute wächst Standing Together, erzählen Katz und Zatar. Rund 30 Personen engagieren sich regelmäßig in der Organisation, 80 Personen sind Teil der Chatgruppe, mehr als 4000 Personen folgen dem Instagram-Account.
Doch Standing Together trifft keineswegs ausschließlich auf Zuspruch – vielmehr hagelt es von verschiedenen politischen Seiten häufig Kritik, großteils aus den vermeintlich eigenen Kreisen, aus proisraelischen und propalästinensischen Organisationen.
Die Kritik von proisraelischer Seite lässt sich unter anderem durch unterschiedliche Definitionen des Antisemitismus erklären: Während Standing Together die Antisemitismusdefinition der Jerusalemer Erklärung verwendet, nutzen viele proisraelische Organisationen die Definition der IHRA (International Holocaust Remembrance Alliance), die Kritik am israelischen Staat teilweise als antisemitisch ansieht. Das klingt ein wenig technisch, hat aber für Katz spürbare Folgen. Die Jüdin wird immer wieder als Antisemitin bezeichnet, und der Kontakt zu jüdischen oder proisraelischen Gruppen ist schwierig.
Ein Dorn im Auge
Auch von der propalästinensischen Seite wird Standing Together kritisiert. Auf einer von Standing Together und Amnesty International organisierten Demonstration am Dienstag der vergangenen Woche störten Demonstrantinnen und Demonstranten Redebeiträge durch Lärm und Sprechchöre. Die Tatsache, dass bei Standing Together israelische und palästinensische Aktivistinnen und Aktivisten zusammenarbeiten, ist vielen ein Dorn im Auge. Osama Zatar erzählt von einem Mann, der Mitglied einer propalästinensischen Organisation ist und ihm nicht die Hand reicht, weil der Palästinenser durch seine Heirat mit einer Jüdin sein Land verraten habe. Zatar weiß, woher diese Haltung kommt: „Viele propalästinensische Organisationen haben eine Agenda und halten sich einfach daran. Um ehrlich zu sein, macht mich das traurig.“
Trotz der derzeitigen Lage in Gaza und Kritik an der eigenen Organisation blicken Katz und Zatar hoffnungsvoll in die Zukunft. Den Genozid stoppen und die Besetzung gewaltlos beenden – das sind die Ziele, für die der palästinensische Künstler und die israelische Musikerin eintreten. Es sei wichtig, optimistisch zu bleiben, meint Katz, und Zatar hofft auf ein friedliches Zusammenleben zwischen Israelis und Palästinensern: „So wie die Leute hier in Wien leben, auch wenn es in Österreich Probleme gibt.“