Die Band Tocotronic

"Nie wieder Krieg" von Tocotronic: Die Hoffnung lebt

Neue Parolen für ungewisse Zeiten: Die deutsche Indie-Rockband Tocotronic veröffentlicht ihr Krisenalbum "Nie wieder Krieg".

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"Wir sind hier ja nicht bei Lady Gaga", lacht Dirk von Lowtzow, 50, ins Telefon. Natürlich ruft der Frontmann der deutschen Band Tocotronic bei Interviews gerne selbst zurück-seine Plattenfirma brauche er dafür nicht. Anlass des Gesprächs ist das eben erschienene 13. Studioalbum der Diskurs-Rocker, das einen parolenhaften Titel trägt: "Nie wieder Krieg". Über Corona, so will es die aktuelle Lage, muss eingangs dennoch gesprochen werden. Denn Tocotronic-Songs und-Zitate werden seit dem ersten Lockdown vor knapp zwei Jahren immer wieder als Erklärstücke und Memes für ungewisse Zeiten verwendet. Den Sänger und Autor wundert dies nicht: "Wenn man will, kann man das tocotronische Gesamtwerk unter dem Krisen-Paradigma beleuchten." Seit den Hamburger Anfängen in den frühen 1990er-Jahren gehe es bei dieser Band "um den Wunsch, einer Gemeinschaft anzugehören", auch eine "Frustration über die Isolation" zu formulieren.

Jetzt also "Nie wieder Krieg". Für Dirk von Lowtzow steckt eine dunkle Vorahnung in den neuen Liedern: Das Album spiegle "eine vorkriegsartige Zeit" wider. Tatsächlich wurden alle Songs schon vor der Pandemie geschrieben. 2018, als er daran zu schreiben begonnen hatte, hatte er das Gefühl, dass man sich gesellschaftlich in eine Art "Feindschaft aller gegen alle" hineinbewege. Die Pandemie hatte er da naturgemäß noch nicht vor Augen, dafür die Rolle der sozialen Medien - dieser "Kakophonie einander bekriegender Stimmen". Tendenzen wie Rechtspopulismus und Rassismus, so von Lowtzow, hätten sich durch den Siegeszug von Twitter und Facebook nur noch verstärkt.

Inzwischen gehe es von Lowtzow vor allem darum, "Alternativen und Utopien" zu vermitteln, als Künstler nicht nur gegen die allgegenwärtige Negativität zu arbeiten, sondern auch Gegenangebote zu machen. Bei aller Desillusionierung, die dem neuen Album zugrunde liege, stecke durchaus auch so etwas wie ein befreiendes Lachen in den Songs: "Das Zelebrieren eines heroischen Untergangs kann reizvoll sein, hat aber auch eine ungeheure Lächerlichkeit."

Die Band Tocotronic

Die seit Jahren in Berlin ansässige Band gilt auch nach knapp drei Jahrzehnten noch als Indie-Liebling, der gute Chartplatzierungen einfahren kann. "Nie wieder Krieg" folgt auf das autobiografische Coming-of-Age-Album "Die Unendlichkeit" (2018) und hat eine ungeahnte Kooperation zu bieten: Die Düster-Ballade "Ich tauche auf" wurde zusammen mit der österreichischen Musikerin Anja Plaschg alias Soap&Skin eingespielt. Bassist Jan Müller, Drummer Arne Zank, Gitarrist Rick McPhail und Sänger Dirk von Lowtzow wechseln auf den zwölf neuen Songs, die zur Hälfte live im Studio aufgenommen wurden, immer noch zwischen sozialpolitischem Gitarrengeschrammel ("Jugend ohne Gott gegen Faschismus") und lyrischen Spielereien ("Ein Monster kam am Morgen"). Mit ihrer aktuellen Meditationsübung liefern Tocotronic keine falschen Versprechen, auch keinen Ausweg aus der Krise-und spenden dennoch Trost. Gegen die Vereinzelung helfen Musik und die Idee, dass sich auch in der unfreiwilligen Vereinsamung eine Art Gemeinsamkeit finde: "Wenn ich dich nicht bei mir wüsste/Hätte ich umsonst gelebt", heißt es in dem Lied "Hoffnung",das bereits zu Pandemiebeginn veröffentlicht wurde.


Denkt von Lowtzow darüber nach, was von der ewigen Jugendband einmal bleiben soll? Er antwortet lieber mit einer Gegenfrage: Fördern die gigantischen digitalen Archive unserer Zeit nicht eher das Vergessen? Aber etwas bleibt dann doch: "Junge Menschen erzählen mir, dass sie uns vor allem durch die Tocotronic-Aufkleber auf den Kühlschränken ihrer Eltern kennen", erzählt er noch, "das finde ich schön."

Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Seit 2009 Redakteur bei profil. Hat ein Herz für Podcasts, Popkultur und Basketball.