Christa Zöchling
Christa Zöchling

Graz: Die erste Bürgermeisterin, eine Kommunistin

Mit dem Ergebnis der Grazer Gemeinderatswahlen hat niemand gerechnet. Warum man vor Elke Kahr keine Angst haben muss, erklärt Christa Zöchling.

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Nun ist es geschehen. Es war eine Frage der Zeit.

Graz, seit zwei Jahrzehnten eine Hochburg der Kommunisten, wird vermutlich bald von einer kommunistischen Bürgermeisterin regiert werden: Elke Kahr, Parteichefin der Grazer KPÖ. Alles andere wäre Wählern und Wählerinnen gegenüber schwer argumentierbar. Die KPÖ erreichte bei den Gemeindewahlen am Sonntag 28,9 Prozent. (Plus neun Prozentpunkte). Nahezu jeder dritte Grazer hat diesmal die KPÖ gewählt – vermutlich mehr Frauen als Männer.

Für Siegfried Nagl (ÖVP) war es nach 18 Jahren als Bürgermeister ein persönlicher Tiefpunkt geworden: 25,7 Prozent. Ein Minus von 12 Prozent. Nagl ist an großmannssüchtigen Ankündigungen gescheitert: die Winterolympiade 2026 nach Graz zu holen, eine Mur-Gondel ins Grazer Umland schaukeln zu lassen oder zwei milliardenteure U-Bahn-Linien durch die Stadt zu bauen - alles Projekte, die die Einwohner, so weit man sie befragte, ablehnten. Wohl auch an einer gewissen Abgehobenheit seiner Partei. Auch die Koalition mit einer in Teilen radikal rechten Grazer FPÖ hat ihm im Grazer Bürgertum nicht gut getan. Die FPÖ verlor 8,6 Prozent. Die Grünen legten wie erwartet zu und stehen – ohne Briefwahlkarten – derzeit auf 17,3 Prozent. (Ein Plus von 6,8.) Die Sozialdemokraten blieben auf ihrem beschämend niedrigem Niveau von 9,6 Prozent. Die Liberalen schafften knapp den Einzug in den Gemeinderat.

Nagl trat noch am Wahlabend zurück. Die Wahlschlappe zieht freilich Kreise bis zum Ballhausplatz in Wien. Beim letzten Gespräch mit profil vor der Wahl gab Nagl zu erkennen, dass er die Härte der Kurz-ÖVP in Flüchtlingsfragen und dessen Ton im Umgang mit der Kirche (chat-Protokolle) nicht gut findet. „Wenn das Christlich-Soziale wegfällt, wird die ÖVP beliebig werden“, warnte Nagl. Die steirische Kritik am Kurz-Kurs wird in Zukunft wohl schärfer werden.

Hinter dem Wunder von Graz, dem Sieg der Kommunisten - einzigartig in der westlichen Hemisphäre- steckt kein Geheimnis, sondern unbeirrbare Basisarbeit. Seit knapp zwei Jahrzehnten liegt die KPÖ in Gemeinderatswahlen bei etwa 20-22 Prozent, in den feineren Vierteln und dort, wo Studenten wohnten, sogar noch besser. Anfangs redete man leicht abfällig von „Herz-Jesu-Kommunismus“ oder einer Augenblicksverwirrung der Grazer. Doch der Augenblick zieht sich.

Im Grunde agieren Mandatare der KPÖ nicht wie Politiker, sondern wie Sozialarbeiter. Die Umwälzung der Verhältnisse, die Schwächung und am Ende Abschaffung des globalen Kapitalismus haben sie in ihrem Programm festgeschrieben; sie würden es auch niemals leugnen und doch erachten sie das nicht relevant für ihre Alltagspolitik. Eher als eine weit entfernte Galaxie, auf der man auch einmal, irgendwann, landen möchte. Vergleichbar dem Kinderglauben eines Katholiken mit der Hoffnung, in den Himmel zu kommen.

Nachdem die Grazer KPÖ in den Nachkriegsjahrzehnten immer mit einem Mandat im Gemeinderat vertreten war und dort klitzekleine Erleichterungen für die Armen und Schwachen anregte, startete Ernest Kaltenegger in den 1990er Jahren mit einer Fahrgastinitiative, in der es um Ticket-Preise und Intervalle der Öffis ging. Beim ersten großen Wahlerfolg 1998 bekam die KPÖ das Wohnressort zugesprochen. In der vergangenen Periode wurden den Kommunisten das Wohnbauressort weggenommen und das Verkehrsressort zugeteilt. Man dachte, das Wohnressort sei das Geheimnis ihres Erfolgs. Ein Irrtum.

Die KPÖ hat sich die Vertretung der Armen und Schwachen auf die roten Fahnen geschrieben. Unter persönlichen, finanziellen Einbußen. Jeder Mandatar zahlt ein Gutteil seines Gehalts in einen Sozialfonds ein. Daraus bekommen Menschen in Not ihre Mietrückstände bezahlt, ihren Boiler repariert, eine Waschmaschine organisiert, Essen eingekauft – oder eine billige Wohnung aufgestellt. Die Summen trugen Kaltenegger und ab 2005 Elke Kahr handschriftlich in ein Schreibheft ein, wie man es in jedem Libro kaufen kann.

Aber es wird auch eingehend mit den Hilfe suchenden Menschen geredet. Nicht jede Notlage ist mit Geld zu beheben. Die Gespräche werden, so weit man das beobachten kann, respektvoll geführt. Vorvergangene Woche bei einer der Sprechstunden Kahrs im Grazer Volkshaus: Eine Mindestpensionistin tritt glücklich aus ihrem Büro. Ihre Lesebrille war kaputtgegangen, jetzt kriegt sie eine neue. Ein afghanischer Student hält noch seine Deutsch-Diplome aus dem Vorstudienlehrgang in der Hand, die er Kahr stolz gezeigt hat. Er kann mit einer monatlichen Unterstützung für eine Programmierer-Ausbildung an der Fachhochschule rechnen. Kahr bewundert, wie sich manche Unterprivilegierte „durchbeißen“. Sie kennt das. Sie kommt selbst aus prekären Verhältnissen. Ein Umsturz ist von den Grazer Kommunisten nicht zu erwarten. Aber leicht werden sie es den anderen Parteien auch nicht machen. Kahr peilt keine Koalition, sondern ein Arbeitsübereinkommen mit den anderen Parteien an, eine Art Programm nach dem Muster „das Beste aus allen Welten“ - das Beste aus der Sicht der Ärmeren.

Christa   Zöchling

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