Geiseln frei: Himmel in Israel nach Hölle im Hamas-Tunnel
„I′m coming home, I'm coming home.
Tell the world I′m coming home.
Let the rain wash away.
All the pain of yesterday."
Dieses Lied der der US-Sängerin Skylar Grey sangen in den frühen Montag-Morgenstunden Angehörige der letzten israelischen Geiseln, die sich noch in den Händen der islamistischen Terrororganisation Hamas befanden. Immer wieder hatten sich hier am Gedenkplatz für die Geiseln in Tel Aviv Tausende Menschen versammelt, um gemeinsam zu weinen, zu hoffen, zu beten – oder zu verzweifeln. Wenn sie nach der nächsten Eskalation im Gaza-Krieg kurz die Hoffnung verloren, ihre Liebsten wieder zu sehen.
738 quälende Tage lang dauerte die kollektive Geiselhaft. Am Montag endete sie.
Die ersten israelischen Geiseln übergab die Hamas kurz nach sieben Uhr Früh dem Roten Kreuz - dieses Mal ohne Erniedrigungsrituale durch vermummte Kämpfer. Am Gedenk-Platz brandete Jubel auf. Kurz nach 10 Uhr folgten die letzten 13 noch lebenden Geiseln. Damit ist der Kernpunkt des Friedensabkommens zwischen Israel und der Hamas, das sich US-Präsident Donald Trump auf die Fahnen schreiben kann, erfüllt.
Nach 738 Tagen unter der Erde ans Tageslicht
Bei den Freigelassenen handelt es sich um großteils junge, israelische Männer. Die Hälfte von ihnen war am 7. Oktober 2023 am Nova-Festival an der Grenze zum Gaza-Streifen entführt worden. Darunter Alon Ohel, ein 24-jähriger Pianist; Matan Zangauker, ein 26-Jähriger Techniker oder die Brüder Ariel (28) und David Cunio (35). Die Brüder wurden auf dem selben Lkw verschleppt. 400 Festival-Gäste überlebten den Terrorangriff nicht.
Unter den letzten Geiseln war auch Guy Giviadatal. „Ich werde meinen Sohn zum ersten Mal seit zwei Jahren umarmen und seinen Geruch riechen. Ich werde ihm sagen, dass er sicher ist und bei uns“, sagt dessen Vater, Gilboa-Dalal am Vorabend der Geiselbefreiung in einem Video-Telefonat mit Journalisten, an dem Kollegin Franziska Tschinderle teilnahm. Doch er weiß, dass sich der Himmel in Israel nach der Hölle im Hamas-Tunnel für seinen Sohn immer wieder verfinstern kann. „Evyatar und Guy wurden ausgehungert, geschlagen und mental und physisch missbraucht. Sie wurden 30 Meter unter der Erde festgehalten, ohne frischer Luft.“ Evyatar David ist ein Freund seines Sohnes, der mit diesem verschleppt wurde und nun ebenfalls frei ist. Noch am Montag wurden die Geiseln medizinisch und psychologisch erstbetreut.
Das zweite Leben des Tal Shoham
Dass ein Leben danach möglich ist, zeigt Tal Shoham. Er war nach 505 Tagen freigekommen und setzte sich seitdem an der Seite der Angehörigen für die Freilassung der Geiseln ein. Mit profil-Chefredakteurin Anna Thalhammer kehrte er zurück an den Ort seiner Entführung und schilderte, wie sich zuerst sein Körper vom Martyrium in den Tunnel-Zellen erholte und dann auch sein Geist. Und wie er zu Optimismus und Lebensfreude zurückfand.
Noch nicht von der Hamas übergeben wurden an diesem historischen Montag die sterblichen Überreste von 28 toten Geiseln. Israel selbst begann am Montag damit, seinen Teil des Geiseldeals einzulösen. Und der ist schmerzhaft. Es werden 250 zu langen Haftstrafen verurteilte Palästinenser sowie etwa 1.700 weitere Menschen freigelassen, die nach dem Massaker am 7. Oktober 2023 inhaftiert wurden. Unter den Ex-Häftlingen sind zahlreiche Terroristen, die bei Anschlägen in der Vergangenheit auch schwangere israelische Frauen, Jugendliche und Kinder ermordeten.
Der Geisel-Deal hat den Gaza-Krieg vorerst beendet. Aber die Wunden sitzen tief und Saboteure gibt es auf beiden Seiten. Der Weg zum echten Frieden ist noch weit. Wie weit, beschreibt Robert Treichler im aktuellen Leitartikel.
In eigener Sache
Diesen Freitag wird im Wiener Theater Akzent unsere Jubiläums-Veranstaltungsreihe „55 Jahre unbequeme Wahrheiten“ fortgesetzt – ein Abend unter dem Titel „profil & Die Waldheim-Affäre“.
profil-Innenpolitikchef Gernot Bauer empfängt: Barbara Staudinger, die Direktorin des Jüdischen Museums Wien, den ehemaligen ÖVP-Nationalratspräsidenten Andreas Khol, den Zeithistoriker Oliver Rathkolb, die ehemalige Botschafterin in den USA und außenpolitische Beraterin von Bundeskanzler Franz Vranitzky Eva Nowotny sowie Christoph Kotanko, langjähriger „Kurier“-Chefredakteur (und anno 1986 profil-Redakteur). Vorverkaufskarten finden Sie hier.