Kipp und klar
Im kommenden Jahr wird in Wien einiges in Schieflage geraten. Bevor die Spekulationen beginnen und die Fakten ausfransen: Der Eurovision Song Contest wird, erstens, gesichert in Wien und nicht am Musik-Hotspot Oberwart stattfinden. Zweitens: Wiens Bürgermeister Michael Ludwig, das darf taxfrei behauptet werden, wird 2026 nicht nur einmal betonen, dass Österreichs Hauptstadt in der globalen Liga der Tiptop-Metropolen einen Spitzenrang einnimmt.
Tatsächlich am Kippen wird im kommenden Jahr endlich das Dr. Karl Lueger-Denkmal an der Wiener Ringstraße sein – sagenhafte 13 Jahre, nachdem der Künstler und Musiker Klemens Wihlidal die Schieflage um exakt 3,5 Grad nach rechts für die Erinnerungsstätte des Rechtsauslegers und Antisemiten Karl Lueger, von 1897 bis 1910 Wiens Bürgermeister, erstmals vorgeschlagen hatte. Das (so langjährige wie notwendige) Gezerre um den Stein-Lueger am Ring, im echten Leben einst Einpeitscher des politischen Antisemitismus und einer der Demagogie-Mittelsmänner des jungen Adolf Hitler, dürfte damit, zumindest für eine gewisse Dauer, zur Ruhe kommen.
Wihlidals bereits 2023 in einem künstlerischen Wettbewerb abgesegnete Kipp-Idee soll, so ließ die Stadt jüngst verlauten, 2026 also endlich realisiert werden: Auf den Kopf lässt sich der Stein gewordene Lueger schwerlich stellen, also soll sie optisch wenigstens außer Balance geraten. Flankiert von den entsprechenden Hinweisen, wird der windschiefe Lueger Antworten auf wichtige Fragen einfordern: Was ist hier bitte aus der Balance geraten? Weshalb zeigt die Stadt einen ihrer ehemaligen Bürgermeister als torkelnde Erscheinung? Denk mal!
Die Minimalintervention des Kippens initiiert und hält im Idealfall das Gespräch über die Vergangenheit in Gang. Auch wenn es manche hierzulande noch immer nicht glauben wollen: Geschichte endet nicht, zumal jene Österreichs im Nationalsozialismus.
Das Projekt „Schieflage (Karl Lueger 3,5°)“ wird dazu ebenso seinen Teil beitragen wie das Vorgängerprojekt an diesem kontaminierten Stadtflecken: Die Installation „Lueger temporär“ erinnerte 2022 an jene 16 über Wiens Bezirke verteilten Lueger-Denkmäler, von denen bis dato nur vier historisch aufgearbeitet sind. In der Regel blieben und bleiben die Gedenkzeichen an den bekennenden Judenhasser L. unkommentiert.
Klipp und klar dagegen: profil wird 55. Wir feiern. Feiern Sie mit. Beispielsweise am 17. September im Wiener Theater Akzent im Rahmen einer mit „Wenn Journalisten ins Visier der Politik geraten“ überschriebenen Gesprächsrunde. Auf dem Podium: profil-Chefredakteurin Anna Thalhammer, Andreas Mölzer, ehemaliger Abgeordneter zum Europäischen Parlament, Heinz-Christian Strache, Ex-Vizekanzler, Eva Linsinger, ORF-Report und Gernot Bauer, profil-Innenpolitikchef. Alle Infos zu Programm, Terminen und Karten finden Sie hier.