Journalismus wirkt
Am Freitag klingelt um 15.35 Uhr mein Telefon: Die mutmaßliche Betrügerin Sanela G. wurde festgenommen. Noch am selben Tag erreichen mich Nachrichten von ihr. „Ich bin dir nicht böse“, schreibt sie, und in einer anderen Nachricht betont sie, dass sie „keinen Kontakt“ mehr zu mir haben möchte. Recherchen von profil und „Datum“ haben die Geschichte von Sanela G. aufgedeckt. Die Frau soll sich als Angehörige von Opfern des Amoklaufs in Graz ausgegeben und 37.262 Euro an Spenden gesammelt haben.
Über Jahre hinweg zeichnete sie ein Bild von sich selbst als Frau, die immer helfen will, die sich kümmert, die für andere da ist. In unserem letzten Gespräch frage ich sie, warum sie das getan hat. Sie antwortet, sie wisse nicht, wovon ich spreche. Sanela G. gab sich als Whistleblowerin aus, erzählte mir Details aus ihrem Privatleben, erfand Zwillinge, berichtete von Krankheitsfällen und Familienalltag. Sie schilderte Urlaubspläne, ihre Arbeit beim Roten Kreuz, die Karenzzeit und ihre Ambitionen, danach eine Ausbildung im Gesundheitsbereich zu beginnen. Doch der Widerspruch zwischen ihrem Selbstbild als Helferin und der Realität ihres Handelns, ist das, was diese Geschichte so bizarr und erschütternd zugleich macht. Aber wer ist diese Frau eigentlich?
Seit Veröffentlichung der Recherchen von Thomas Winkelmüller von „Datum“ und mir, hier und hier nachzulesen, erreichen uns kontinuierlich neue Hinweise über eine Frau, deren Identität sich immer wieder zu wandeln scheint. Jede Spur, jede Nachricht, jeder Bericht fügt ein weiteres Stück zu einem Puzzle hinzu, das nie vollständig wird. Sanela G. erscheint mal als fürsorgliche Freundin, mal als beliebte Influencerin, mal als unauffällige Bekannte – und doch bleibt sie im Kern eine rätselhafte Figur, deren wahre Motive sich nur schwer greifen lassen. profil und „Datum“ berichten weiter über die Frau mit den hunderten Identitäten.
Und was diese Geschichte auch zeigt: Journalismus wirkt. Er deckt auf, schützt die Opfer und sorgt dafür, dass mutmaßliche Täter und Täterinnen zur Verantwortung gezogen werden. Durch unsere Recherchen wurde Sanela G. entlarvt – und festgenommen. Journalismus ist nicht nur Berichterstattung, er ist ein Mittel der Wahrheitssuche, ein Werkzeug gegen Täuschung und Betrug. Ohne investigativen Journalismus blieben solche Geschichten oft verborgen – und die Täterinnen und Täter könnten ungehindert weitermachen. Das verdanken wir unseren Abonnentinnen und Abonnenten, die investigativen Journalismus möglich machen. Werden auch Sie ein Teil davon, wir freuen uns.