
Die Kadyrows: Die irre Welt von Tschetscheniens Herrscherfamilie
Zum zweiten Mal wurde Ramsan Kadyrow zum „Helden Tschetscheniens“ gekürt. Doch er hat einen unfairen Vorteil: Er, Präsident der russischen Teilrepublik, verleiht diese höchste Auszeichnung Tschetscheniens. Das Dekret, um sich zum „Helden“ auszuzeichnen, unterschrieb Kadyrow Anfang Oktober also kurzerhand selbst.
Der Vertraute von Russlands Präsident Wladimir Putin hat über die Jahre eine ganze Reihe von Auszeichnungen und Medaillen gesammelt. Die russische Nachrichtenseite „Caucasian Knot“ zählte insgesamt 86 Preise, darunter neben Absurditäten wie dem „Verdienstorden für Zahnmedizin“, oder der Auszeichnung „Absoluter Champion“ im kirgisischen Wrestling auch zahlreiche Kriegsauszeichnungen. Kadyrows Vasallen – die berüchtigten Kadyrowzy – beteiligen sich am Krieg Russlands in der Ukraine.
Die 2011 von Moskau verliehene Medaille „Für den Schutz der Menschenrechte“ ist zynisch: Kadyrow regiert das im russischen Nordkaukasus gelegene Tschetschenien seit mehr als 18 Jahren nahezu diktatorisch und schaltete seine politischen Gegner auch mit Mordanschlägen und Entführungen aus.
Doch die eiserne Herrschaft von Ramsan Kadyrow könnte sich dem Ende neigen: Ein Türkei-Urlaub kostete dem erst 49-jährigen Kadyrow im Juli fast das Leben, als er plötzlich am Strand keine Luft mehr bekam und ins Wasser kippte. Laut Recherchen der russischen Online-Zeitung „Novaya Gazeta Europe“ diagnostizierten Ärzte Kadyrow bereits 2019 schwere Schäden der Bauchspeicheldrüse.
Seither versucht Kadyrow seine Bevölkerung in zunehmend peinlichen Videos davon zu überzeugen, dass er bei bester Gesundheit ist. Ein 24-sekündiger Clip von Anfang August zeigt ihn mit müdem Blick, wie er auf einem Hometrainer langsam in die Pedale tritt. Offizielle Events meidet Kadyrow mittlerweile.
Laut neuen Berichten der „Novaya Gazeta Europe“ hat er stark abgenommen und ist auf einen Katheter angewiesen. „Ich werde so lange leben, wie es mir bestimmt ist, denn der Tod ist der Weg eines jeden Menschen“, sagte Kadyrow noch in einem im Mai auf Telegram veröffentlichten Video.
„Wow“, ruft Adam Kadyrow, Sohn Ramsan Kadyrows, als dieser beim Billard eine Kugel versenkt. In einem Video von Anfang August stützt sich Ramsan Kadyrow immer wieder auf dem Billardtisch ab. Adam Kadyrow drängt zunehmend ins Rampenlicht: Erst am Mittwoch wurde ein Sportzentrum nach dem Sprössling von Tschetscheniens oberstem Führer benannt. Gerüchten zufolge soll Adam Kadyrow seinen Vater als Präsident Tschetscheniens nachfolgen.
Internationale Bekanntheit errang der damals 15-Jährige im Jahr 2023, als er einen Häftling, dem vorgeworfen wurde, einen Koran verbrannt zu haben, vor laufender Kamera verprügelte. Selbst Putingetreue, darunter auch der stellvertretende Staatsduma-Vorsitzende Wladislaw Dawankow, verurteilten den Vorfall.
Ähnlich wie bei seinem Vater stapeln sich auch beim jungen Kadyrow die Ehrungen, Medaillen und Ämter: Der Teenager „leitet“ die Leibwächter seines Vaters, koordiniert formell Hilfslieferungen für Gaza und überwacht als „Supervisor“ eine Militärakademie, das tschetschenische Innenministerium sowie zwei Freiwilligenverbände. Der Vorfall im Jahr 2023 mit dem Häftling führte also nicht dazu, dass er aus der Öffentlichkeit verschwand. Im Gegenteil. Sein Vater zeigte sich damals „stolz“ und lässt den Sohn bei offiziellen Besuchen Hände schütteln.
Im Sommer heiratete der 17-jährige. Es ist eine politische Zweckehe: Die Braut (einzig ihr Vorname ist bekannt) Medni, soll die Tochter von Adam Delimchanow sein, seinerseits Kadyrow-Vertrauter und Parteisoldat von Putins Partei „Einiges Russland“. Putin rief persönlich an, um dem Brautpaar zu gratulieren.
Ramsan Kadyrow bat Putin erst im Mai um seine Entlassung als Lokalpräsident Tschetscheniens. Der Kreml verneinte.
Denn Moskau steht Kadyrows Dynastie-Plänen skeptisch gegenüber. In der Russischen Föderation müssen Amtsträger laut Gesetz mindestens 30 Jahre alt sein, um eine Teilrepublik führen zu dürfen. Adam Kadyrow ist noch ein Teenager.
Begründet ist Putins Skepsis auch im Aufbau des politischen Systems in Tschetschenien: Kadyrow hält dank Kontakten zu Clans und anderen persönlichen Seilschaften nahezu alle Fäden in der Hand. Ein Drittel der Führungselite in Tschetschenien soll aus Verwandten der Kadyrow-Familie bestehen.
Feinde haben die Kadyrows indes viele: Radikale Islamisten, Menschenrechtler und Nationalisten, die ein unabhängiges Tschetschenien wollen und sich seit dem Ende der zwei Tschetschenien-Kriege hauptsächlich im Exil in Europa aufhalten.
Adam Kadyrow gilt als blutjung und politisch komplett unerfahren. Die Sorge in Moskau: Ohne dessen Vater bricht das fragile System in Tschetschenien zusammen. Geht es nach Putin, soll Ramsan Kadyrow weitermachen, bis er tot umfällt.