Andreas Babler übernimmt die SPÖ-Parteizentrale - und will die Sozialdemokratie nach links führen.
SPÖ

Andreas Bablers linkes Experiment

Bisher galt: Links der Mitte gibt es keine Mehrheiten. Der neue SPÖ-Vorsitzende will den Gegenbeweis antreten. In der Partei formiert sich Widerstand.

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Sogar der FC St. Pauli gratulierte. „Was Andi Babler politisch kann, wissen wir nicht, aber fußballerisch ist er sehr weit vorne. Glückwunsch!“ Dem Hamburger Kiez-Fußballclub hatten Bablers Auftritte in Vereinsjacke gefallen. Der FC St. Pauli ist ein Kultverein, vor allem bei Linken, hält Antifaschismus und Verwurzelung in der Arbeiterschaft hoch und ist stolz auf seinen Fan-Sektor in der Hausbesetzer – und Intellektuellen-Szene. Allerdings: Er spielt bloß in der Zweiten deutschen Fußball-Liga. Ob das symptomatisch für Andreas Babler ist? 

Der neue, reichlich rumpelig gekürte SPÖ-Vorsitzende steht für einen Linksruck der gebeutelten Sozialdemokratie. Nach der zurückhaltenden Medizinerin Pamela Rendi-Wagner, dem smarten Manager Christian Kern und dem lächelnden Pragmatiker Werner Faymann übernimmt nun ein linksideologischer Arbeiterführer, der für Umverteilung, 32-Stunden-Woche und Vermögensbegrenzung eintritt. Das entfachte die Begeisterung der roten Basis und überzeugte die Mehrheit der SPÖ-Delegierten. Doch Bablers Kür ist ein Experiment mit offenem Ausgang, ob er außerhalb von roten Zirkeln punkten kann, ist fraglich. Denn bisher galt in Österreich: Links der Mitte sind keine Mehrheiten zu holen.

In der Wirtschaftspolitik blinkte Babler etwa mit der Forderung nach einer 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich stark links. Ist sie nun Parteilinie? Für den Salzburger SPÖ-Chef, David Egger, nicht. „Sie wird nicht überall umsetzbar sein, etwa in touristischen Regionen, in denen der Arbeitskräftemangel schon jetzt enorm ist“, sagt er im profil-Gespräch. Egger war einer der ersten Landesparteichefs, die Hans Peter Doskozil offen unterstützten und bereut das „keine Sekunde“. Obwohl der burgenländische Landeshauptmann im Kampf um die Parteispitze den Kürzeren zog, will das Doskozil-Lager an dessen rechterem Kurs offenbar festhalten. Der Tiroler SPÖ-Chef Georg Dornauer grenzt sich vorsorglich ab: „Ich vertrete in Tirol meine eigene Migrationspolitik“.

Knackpunkt Migration

Der ewige Links-Rechts-Streit in der SPÖ entzündete sich in den vergangenen Jahrzehnten vor allem an der Zuwanderungspolitik. Doskozil und die Mehrheit der Landesparteien traten für einen restriktiveren Kurs ein. Sie waren überzeugt, dadurch Wähler von FPÖ und ÖVP zurückholen zu können. Babler und vor allem die Wiener Landespartei vertreten die andere Glaubensrichtung, wonach die SPÖ auf Humanität setzen soll, nicht auf Härte, weil sie sonst im linken Spektrum mehr Wähler verliert als sie rechts dazu gewinnt. „Es ist nicht sinnvoll, der FPÖ nachzuhecheln“, formulierte Bürgermeister Michael Ludwig im profil-Interview sehr deutlich. Babler war, vor allem in Wien, für junge, urbane Linke ein Hoffnungsträger und Doskozil ein rotes Tuch.  

Außerhalb Wiens ist eine klare Mehrheit der Basis überzeugt, dass man mit einem Linksruck beim Migrationsthema nichts gewinnen kann.

Ein Unterstützer von Hans Peter Doskozil

sieht in Bablers Migrationskurs "eine Provokation".

„Die SPÖ hat bei Zuwanderung eine Ja,-Aber-Position, andere Parteien sind deutlich rechter oder deutlich linker“, sagt Eva Zeglovits, Geschäftsführerin des Umfrageinstituts Ifes. 2018 einigte sich die zerstrittene Partei auf ein Positionspapier über „Asyl, Migration, Integration“, es stammt aus der Feder von Doskozil und dem Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser und folgt dem Grundsatz: „Integration vor Zuzug.“ Das Motto knüpft an die vorherrschende Stimmungslage an. „Die Bevölkerung ist mehrheitlich integrationsfreundlich aber nicht zuwanderungsfreundlich“, erklärt Sora-Geschäftsführer Günther Ogris. In dem Papier bereits enthalten: Asylzentren außerhalb der EU, wie sie vergangenen Donnerstag von den EU-Innenministern in Ansätzen paktiert wurden. Babler hat an diesen Asyl-Zentren gravierende Zweifel (siehe Interview) und will das Positionspapier überarbeiten.

„Das ist nach wie vor ein gutes Migrationspapier“, kontert Egger. Weniger sachlich drückt es ein Funktionär aus dem Doskozil-Lager aus: „Babler ist bei der ersten Gelegenheit links abgebogen. Eine Provokation. Außerhalb Wiens ist eine klare Mehrheit der Basis überzeugt, dass man mit einem Linksruck beim Migrationsthema nichts gewinnen kann.“ 

Eine geeinte Partei schaut anders aus

Babler ist ein Stilbruch. Lieber St.-Pauli-Jacke als Krawatte, erdige Sprache mit Dialekteinsprengseln. Babler vertritt nicht nur ökonomisch linke Gedanken, er pflegt auch das Auftreten eines Arbeiterführers. Damit setzt er Kontrapunkte zu Vor-Vorgänger Christian Kern, der bevorzugt in Slim-Fit-Anzügen auftrat. Die sozialdemokratische Kernklientel, Geringverdiener wie Aufsteiger, ist in derartigen Dingen empfindlich geworden. Großbürgersohn Bruno Kreisky war noch in Maßanzügen aus feinstem Tuch vor Industriearbeiter getreten und von ihnen verehrt worden. Heute wählt die verbliebene Arbeiterschaft großteils FPÖ.

Beschwörer von Werten überschreiten leicht die Grenze zum Dogmatismus.

Politikwissenschafter Fritz Plasser

sieht eine Nähe zwischen Rettung und Gefahr der Sozialdemokratie.

Der Politikwissenschafter Fritz Plasser wertet Bablers Parteitagsrede, bei der er „im Stakkato Kernwerte der Sozialdemokratie in Erinnerung gerufen hat“ als Akt der Selbstvergewisserung. Eine Partei mit dieser Geschichte finde, so Plasser, nur durch Re-Ideologisierung zu sich selbst, wobei das Rettende und die Gefahr knapp beieinander liegen: „Beschwörer von Werten überschreiten leicht die Grenze zum Dogmatismus.“

Die Abwanderung der Arbeiter begann unter SPÖ-Kanzler Franz Vranitzky, der die Verstaatlichten-Krise lösen und den EU-Beitritt durch Sparpakete begleiten musste. Danach titulierte Tony Blair in Großbritannien seine Abgrenzung von Gewerkschaften und Altlinken als „New Labour“, der britische Soziologie Anthony Giddens lieferte mit seinem Standardwerk „Der dritte Weg“ den Überbau für die Symbiose zwischen Kapitalismus und Sozialismus, der deutsche SPD-Kanzler Gerhard Schröder adaptierte das als „Neue Mitte“.

In Österreich versuchte Viktor Klima eine Schmalspur-Kopie und entdeckte neue Selbstständige als SPÖ-Klientel. In der Opposition propagierte SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer dann die „solidarische Hochleistungsgesellschaft“ als moderne Version des Sozialstaats. In der Finanz- und Wirtschaftskrise, als die SPÖ unter Kanzler Werner Faymann Serien-Niederlagen einfuhr, stieg die SPÖ in die Verteilungsdebatte ein und warb für die Millionärssteuer  – wenn auch eher zaghaft im Vergleich zur flammenden Überzeugung, mit der Andreas Babler eine Vermögenssteuer nun zur Fahnenfrage –  und zur Bedingung für künftige Koalitionen – erhebt.

Wahlkämpfe werden in der Regel mit polarisierenden Themen wie etwa Zuwanderung oder Klima bestritten. Babler klammerte bei seiner Rede am Parteitag diese zwar nicht aus, sprach aber beim Klimaschutz sogleich soziale Fragen an. Es spielt ihm in die Hände, dass dem Gros der Wählerschaft derzeit vor allem die Teuerung unter den Nägeln brennt. Verteilungsfragen haben Hochkonjunktur. Gut für die SPÖ, denn bei ökonomischen Themen sind laut IFES-Geschäftsführerin Zeglovits auch beachtliche linke Mehrheiten möglich.
Das zeigte sich bei einer Umfrage, die IFES im Auftrag der Gewerkschaft GPA im Februar durchführte: Das Gros der Bevölkerung (85 Prozent) ist wegen der aufgehenden Schere zwischen Arm und Reich besorgt; vier von fünf Befragten meinen, dass Millionäre und multinationale Konzerne zu wenig Steuern zahlen; 70 Prozent befürworten Erbschafts- und Vermögenssteuern ab einer Million Euro. Auch die Verringerung der Arbeitszeit kann auf breite Unterstützung zählen.

Junge Menschen schätzen den Mut, Dinge zu fordern, die nicht von vornherein Kompromisslösungen sind.

VSStÖ-Vorsitzende Hannah Czernohorszky

sieht Potenzial in offensiv-linker Politik.

An den heimischen Universitäten feierte die SPÖ zuletzt mit linker Sozialpolitik Erfolge: Bei der ÖH-Wahl 2021 schaffte der Verband Sozialistischer Student_innen (VSStÖ) den Sprung zurück an die Spitze der Hochschülerschaft, heuer fuhren sie das beste Ergebnis ihrer Geschichte ein. „Unser Erfolgsmodell war, dass wir nicht davor zurückgeschreckt sind, die Bundesregierung zu kritisieren“, sagt VSStÖ-Vorsitzende Hannah Czernohorszky. „Junge Menschen schätzen den Mut, Dinge zu fordern, die nicht von vornherein Kompromisslösungen sind“.

Dennoch ist Bablers Schwenk ein Unterfangen mit offenem Ausgang. Die von ihm beschworenen Anfänge der Kreisky-Ära in den 1970er-Jahren waren von gesellschaftlicher Aufbruchsstimmung getragen. Die Antworten von damals taugen heutzutage nur bedingt. Selbst der von Babler im Mund geführte Begriff „Arbeiter“ tönt für manche nur noch hohl. Der Sektor schrumpfte. Zudem geht Bablers Rhetorik schon deshalb an vielen Arbeitern vorbei, weil 60 Prozent von ihnen mangels Staatsbürgerschaft nicht wählen dürfen. Ansprechen könnte Babler aber Milieus im ländlichen Raum, viele in Pension, die zwischen SPÖ und ÖVP schwanken, sagt Günther Ogris vom Meinungsforschungsinstitut Sora: „Das Potenzial ist beachtlich. Etwa die Gruppe der Frisörinnen, Frauen, die thematisch über Themen wie Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu erreichen sind.“

Faktor Frau

Die SPÖ präsentiert ihren Feminismus unter Babler selbstbewusster, als sie es unter Doskozil gemacht hätte. Am Parteitag in Linz war deutlich zu spüren, wie wichtig das für viele war. Bittere Ironie: Nach dem unschönen Abgang von Pamela Rendi-Wagner liegt es nun an Babler, frauenpolitischen Anliegen einen angemessenen Platz einzuräumen. Die erste Gelegenheit bietet sich kommenden Freitag, wenn sich die SPÖ-Frauen treffen, um über den Ausbau des Angebots für Schwangerschaftsabbrüche, volle Lohntransparenz, und Halbe-Halbe auch bei Posten zu reden. Babler ist zur Sitzung eingeladen. 

Die Wählerschaft ist in Bewegung. IFES-Geschäftsführerin Zeglovits hält es für eine „spannende Strategie“, auf soziale Themen zu setzen, zumal alle Versuche, FPÖ-Wähler durch Rechtsblinken zurückzuholen, eher glücklos waren. Bei der kommenden Nationalratswahl – im Herbst 2024, wenn nicht vorzeitig gewählt wird – ist links mit ernsthafter Konkurrenz zu rechnen. Sowohl KPÖ Plus als auch der Bierpartei werden Chancen für den Einzug in den Nationalrat eingeräumt.

Menschen lesen ja keine Positionspapiere, sondern entscheiden aus dem Bauch heraus und wollen eine Person, die für etwas steht.

IFES-Geschäftsführerin Eva Zeglovits

rät, die Kraft der Emotionen nicht zu unterschätzen.

Ohnmacht lähmt, Wut mobilisiert – das gelingt aber auch durch Hoffnung. Für IFES-Geschäftsführerin Zeglovits neigen politische Beobachter dazu, die Kraft der Emotion zu unterschätzen: „Menschen lesen ja keine Positionspapiere, sondern entscheiden aus dem Bauch heraus und wollen eine Person, die für etwas steht.“ Bisher galt vor allem die FPÖ als Großmeisterin der Politik der Gefühle; auch der türkise Ex-Kanzler Sebastian Kurz bewies auf dem Gebiet herausragendes Talent. Sind auch Nicht-Wählerinnen oder FPÖ-Anhänger für die Sozialdemokratie unter einem auf Begeisterung setzenden SPÖ-Chef Babler zu gewinnen? 

Genaue Analysen über Nicht-Wähler fehlen, doch zeigt der Demokratiemonitor von SORA, dass sich im untersten Einkommensdrittel überproportional viele tummeln. Hier ist auch das Vertrauen in die Politik am stärksten eingebrochen. „In diesem Segment geht es stark um den direkten, persönlichen Kontakt“, sagt Ogris: „Ein gerechtes System ist wichtig, aber noch wichtiger ist es, schnell eine Wohnung zu kriegen.“ Das ist eine der wichtigsten Lehren aus der jüngsten Landtagswahl in Salzburg: Die KPÖ Plus setzte auf Sozialarbeit statt auf politische Fahnenfragen – und kam aus dem Stand auf 11,7 Prozent. Auch die Sozialdemokratie müsse „den Beziehungsaufbau zu den Leuten wieder forcieren“, so Ogris. Nur in ländlichen, ideologisch rechten Milieus, die den Sozialstaat ablehnen und der ÖVP ihre Impfpolitik nachtragen, pendeln die Wähler zwischen Schwarz und Blau. Da sei der feurigste SPÖ-Chef eher chancenlos.  

Frauenchefin Eva Maria Holzleitner setzt darauf, dass die von Babler angeführte Partei politischer, kantiger, lauter auftritt. Gerade vor Nationalratswahlen könnte das dafür sorgen, dass Mitglieder „gut gelaunt in den Straßenwahlkampf starten – was wiederum Nichtwähler ansprechen könnte. Ein Gewerkschafter  und Babler-Anhänger  sagt, das Feuer sei entfacht, nun müssten die Funktionäre mitziehen. Das ewige Gejammere in den roten Sektionen, dass es mit der Partei bergab gehe, könne man sich sparen.

Das Rennen um das Kanzleramt ist offen. Nur so viel Prognose wagt SORA-Chef Ogris: „Der nächste Nationalratswahlkampf wird hoch emotional.“

Iris Bonavida

Iris Bonavida

ist seit September 2022 als Innenpolitik-Redakteurin bei profil. Davor war sie bei der Tageszeitung "Die Presse" tätig.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges

Max Miller

Max Miller

ist seit Mai 2023 Innenpolitik-Redakteur bei profil. Hat ein Faible für visuelle Kommunikation, schaut aufs große Ganze und kritzelt gerne. Zuvor war er bei der "Kleinen Zeitung".

Clemens   Neuhold

Clemens Neuhold

Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.