Kopftuchverbot: Der Stoff für Streit
Wenig ist in der österreichischen Innenpolitik so verlässlich wie die Wiederkehr der Kopftuchdebatte. Das Stück Stoff verdichtet sowohl gesellschaftliche als auch politische Bruchlinien. Es wird zum einen als Zeichen religiöser Identität, zum anderen als Symbol weiblicher Unterdrückung gedeutet. Integrationsministerin Claudia Plakolm (ÖVP) will das geplante Kopftuchverbot nun im Verfassungsrang, um juristische Anfechtungen zu erschweren und das Gesetz auf festeren Boden zu stellen. 2020, damals noch unter der türkis-blauen Regierung, hatte der Verfassungsgerichtshof (VfGH) die damalige Version des Kopftuchverbots aufgehoben. Es griff, so die Begründung, eine bestimmte Religion heraus und verstieß damit gegen den Gleichheitsgrundsatz. Diesmal, so versichert die ÖVP, solle das Gesetz breiter gefasst und rechtlich solider sein. Doch die Kritik ist erneut massiv. In der Begutachtung meldeten sich Kirchen, Glaubensgemeinschaften und Gleichbehandlungsstellen – fast alle in ähnlichem Wortlaut: Das Gesetz bleibe unklar, unsachlich und womöglich verfassungswidrig.
Plakolm reagiert, wie sie meint, pragmatisch: Ein Verfassungsrang für das Verbot soll alle Zweifel ausräumen und das Gesetz endlich auf den Weg bringen. Mitte September hatte ihr Ressort noch erklärt, eine Verfassungsbestimmung sei kein Thema. Nach der kritischen Begutachtung änderte sich der Ton. Nun wolle man sich „rechtlich absichern“. Übersetzt heißt das: Wenn die rechtliche Basis wackelt, soll die Zweidrittelmehrheit das Fundament verstärken – ob sie diese Mehrheit tatsächlich zusammenbekommt, bleibt höchst fraglich.
Einigkeit sieht anders aus
Innerhalb der Koalition halten die Parteien vorerst noch Distanz. In der SPÖ verweist man auf den Koalitionsvertrag, darin sei die Rede von einem „verfassungskonformen“ Kopftuchverbot – nicht von einem, das man durch eine Verfassungsbestimmung gegen rechtliche Bedenken absichern muss, heißt es. Die Neos wiederum wollen die Ergebnisse der Begutachtung prüfen, bevor sie eine Position beziehen. Einigkeit sieht anders aus.
Plakolm hofft, Verbündete in der Opposition zu finden. Die Grünen lehnen ab: Ein verfassungswidriges Gesetz werde man nicht beschließen. Bleibt die FPÖ, die das Kopftuchverbot seit Jahren als Symbol ihrer Anti-Islam-Politik nutzt. Für Herbert Kickl ist es längst ein Politikum, ein Marker im Kulturkampf. In seinen Reden dient es als Beweis einer „Überfremdung“, gegen die sich Österreich zur Wehr setzen müsse. Dass das Kopftuchverbot auf FPÖ-Stimmen angewiesen ist, ist für die Freiheitlichen fast schon ein politisches Geschenk. Sie lehnen sich zurück, während die Koalition kalkulieren muss, und inszenieren sich als staatstragende Kraft, ohne selbst einen Finger zu rühren.
Debatte auf EU-Ebene
Rechtlich bliebe die aber Sache heikel. Denn auch eine Verfassungsbestimmung schützt nicht vor dem Verfassungsgerichtshof. Wenn ein Gesetz die Grundprinzipien der Bundesverfassung verletzt, wie das Rechtsstaatsprinzip oder den Gleichheitssatz, kann es aufgehoben werden. Und selbst wenn der VfGH nicht eingreift, könnten europäische Institutionen das letzte Wort haben. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) könnte prüfen, ob das Gesetz mit EU-Recht vereinbar ist, etwa mit der Antidiskriminierungsrichtlinie. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg könnte reagieren, wenn Betroffene ihre Religionsfreiheit verletzt sehen. Das Kopftuchverbot wäre also auch ein europäischer Fall – und wohl kein einfacher.
Politisch bleibt das Gesetz ein Symptom. Es steht für ein Land, das mit sich selbst ringt: mit seinem Verhältnis zu Religion, mit seinem Selbstbild als offener Staat, mit seiner Angst vor Parallelgesellschaften. Der Streit um das Kopftuch ist längst mehr als eine juristische Auseinandersetzung. Er ist eine Projektionsfläche für Fragen, die schwerer zu beantworten sind als jede juristische Prüfung. Wie viel kulturelle Vielfalt hält Österreich aus? Wo endet Religionsfreiheit? Wo beginnen Kinderrechte?