Landeshauptmann Markus Wallner (r./ÖVP) und Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP)

ÖVP und Korruption: Aufruhr im vermeintlichen Sauberland Vorarlberg

Die Affäre um den ÖVP-Wirtschaftsbund zeigt eine giftige Vermischung von Politik und Wirtschaft. Muss Landeshauptmann Wallner zurücktreten?

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Es ist ein kleines Land mit einer hübschen und gesitteten Landeshauptstadt, in der alles ums Eck liegt, das Seeufer mit der Festspielbühne, das Landhaus, die angesagten Cafés, wo an warmen Tagen "tout Bregenz" mittags Sonne tankt und ihr abends bei einem Glas Wein beim Untergehen zusieht. Vergangene Woche ist hier alles auf den Beinen, flanierend, hastend, grüßend, winkend, einige Sätze bei zufälligen Aufeinandertreffen wechselnd. Wer an einem der Tische auf einem der belebten Plätze der Landeshauptstadt von Vorarlberg etwas unter vier Ohren zu besprechen hat, schaut ab und zu über die Schulter und dämpft die Stimme.

profil verabredete sich hier mit Juristinnen, politischen Beobachtern, Abgeordneten, Wirtschaftsvertretern und Künstlerinnen, um mit ihnen über das politische Beben im Westen zu sprechen. Dass es ausgerechnet jenes Bundesland heimsuchte, das zwar klein, aber besonders oho! sein soll, weil hier die Dinge angeblich so laufen, wie sie sollen, ist ein Klischee, das manche ärgert. Man lässt sich zu "Pfff" und "Von wegen subres Ländle"-Ausrufen hinreißen, zeigt sich "heilfroh", dass es jenseits des Arlbergs Medien gibt, die sich auch mit den verfilzten Verhältnissen diesseits des Arlbergs beschäftigen. Man gibt bereitwillig Auskunft, will aber oft nicht namentlich genannt werden.

Seit 77 Jahren von der ÖVP regiert

Spätestens seit dem Sonderlandtag Anfang vergangener Woche staunt eine österreichweite Öffentlichkeit, was in dem Land, das seit 77 Jahren von der ÖVP regiert wird, alles möglich ist: Der ÖVP-Wirtschaftsbund, der von der Wirtschaftskammer mit freiem Auge kaum zu unterscheiden ist. Eine Parteizeitung, die fast nur aus Anzeigen besteht, bezahlt vom Land, von landeseigenen Unternehmen, von Industriellen und Gewerbetreibenden, die von der Politik Widmungen und Genehmigungen brauchen. Ein Wirtschaftsbund-Direktor, der bei Inseraten mitschneidet und sich vom Wirtschaftsbund ein zinsenloses Darlehen auszahlen lässt. Ein Fruchtsafthersteller, der seit fast immer schon über die Finanzen des Wirtschaftsbundes wacht, zuerst in Person des Seniorchefs Franz Rauch, dann in Person seines Nachfolgers Jürgen Rauch. Geldflüsse Richtung ÖVP. Zahlungen ohne Belege. Eine angebliche Rot-Kreuz-Spende, die beim Empfänger nicht ankommt. Ein Wirtschafts-Landesrat, der sich Kaffee und Kuchen vom Wirtschaftsbund spendieren lässt. Beim Wirtschaftsbund gehortete, mutmaßlich nicht ordentlich versteuerte Rücklagen in der Höhe von fünf Millionen Euro. Eine Mediaagentur, an der sowohl der Wirtschaftsbund-Direktor als auch der Medienunternehmer Eugen Russ beteiligt sind. Die Grenzen zwischen Politik und Wirtschaft verschwimmen bis zur Unkenntlichkeit.

Es ist eher kein Zufall, dass die Affäre zwar in der Mitte Vorarlbergs entspringt, aber aus sicherer Entfernung aufgedeckt wurde. Das Ö1-Magazin "Doublecheck" nahm im November das Medienimperium von Eugen Russ unter die Lupe, dessen wichtigster Titel die "Vorarlberger Nachrichten" sind. Die Recherchen warfen Fragen auf, auf die es zunächst wenig Antworten gab. Auch der "Standard" berichtete. Dass man inzwischen etwas klarer sieht, verdankt sich nicht zuletzt der Finanz. Kaum war der erwähnte Ö1-Beitrag verklungen, dürften bei einem Prüfer die Alarmglocken geschrillt haben. In einem profil vorliegenden Mail an sein Team schreibt der Beamte, dass "die Media Team (über das Unternehmen, an dem der damalige Wirtschaftsbunddirektor Jürgen Kessler knapp 50 Prozent hielt und auch das Medienunternehmen Russmedia beteiligt ist, werden Inserate für Kammermedien gebucht, Anm.) nicht mit dem Eugen Russ Konzern-Medienhaus mitgeprüft" worden sei, er schlage daher vor, "diese jetzt zu prüfen".

Anfragen diverser Medien wie ORF und "Der Standard" an die Russmedia zu den Geschäftspraktiken der Mediateam blieben in den vergangenen Wochen unbeantwortet. Zu der seit 2013 bestehenden Beteiligung an der Mediateam hatte Russmedia-Geschäftsführer Markus Raith vergangenes Jahr in den "Vorarlberger Nachrichten" erklärt, dass die "Anzeigenvermarktung von verschiedensten Medien zu einem der Geschäftsbereiche von Russmedia" gehöre. Zudem habe Mediateam den "Vermarktungsauftrag für die Medien der Wirtschaftskammer über eine EU-weite öffentliche Ausschreibung gewonnen".

Wirtschaftsbund zeigte sich selbst bei der Finanz an

Was sich seither in Vorarlberg abspielt, legt freilich nahe, dass die Prüfung im Medienimperium von Eugen Russ - "Russmedia" (vormals Vorarlberger Medienhaus) - begonnen und bald weitere Kreise gezogen haben dürfte. Auch der einstige Wirtschaftsbund-Direktor Walter Natter und sein inzwischen zurückgetretener Nachfolger Jürgen Kessler gerieten ins Visier. Am 27. Jänner zeigte sich der Wirtschaftsbund schließlich selbst bei der Finanz an. ÖVP-Landeshauptmann Markus Wallner will die laufende Steuerprüfung erst Ende März aus den Medien mitbekommen haben. Elf Jahre lang hat er das Land fast unfallfrei regiert. Nun fordert die Opposition, bestehend aus FPÖ, SPÖ und NEOS, seinen Rücktritt. Am 11. Mai muss sich Wallner im Landtag einem Misstrauensvotum stellen.

Wenn die ÖVP gehofft hatte, die Affäre bleibe regional, hat sie sich schwer getäuscht. Nicht nur ist die Causa nun ein Fall für die Staatsanwaltschaft, sondern auch Gegenstand im laufenden ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss in Wien. Die Oppositionsfraktionen SPÖ, FPÖ und NEOS brachten ergänzende Beweisanforderungen zum Vorarlberger Wirtschaftsbund ein. Bundesministerien, Wirtschaftskammer, Österreichische Gesundheitskasse und Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen müssen Akten liefern.

Formal ist der Vorarlberger Wirtschaftsbund ein unabhängiger Verein. Die Verbindungen zur Bundesorganisation sind rein personeller Natur. Finanzminister Magnus Brunner aus Höchst war von 2002 bis 2005 politischer Direktor der Bundesorganisation. In der Vorarlberger Landesgruppe ist er nur einfaches Mitglied. Im Gegensatz zu Karlheinz Kopf: Der Langzeit-Nationalratsabgeordnete und Generalsekretär der Bundeswirtschaftskammer ist stellvertretender Obmann des Vorarlberger Wirtschaftsbunds und somit der prominenteste Verbindungsmann zwischen dem Vorarlberger Wirtschaftsbund und der Bundesorganisation. Zu der Affäre will er sich öffentlich nicht äußern.

Zwar zählt der Wirtschaftsbund nur 100.000 Mitglieder, jedoch bestimmt er das Geschäftsleben der 500.000 österreichischen Unternehmen maßgeblich mit. Die Präsidenten aller neun Länderkammern und auch der Präsident der Bundeswirtschaftskammer werden vom ÖVP-Wirtschaftsbund gestellt, dazu kommen 76 Fachverbands-Obleute. Im ÖVP-Nationalratsklub sind 25 der 71 Abgeordneten dem Wirtschaftsbund zurechenbar. Von allen Bünden überweist er am meisten Mitgliedsbeiträge an die Bundespartei.

"Rennen seit 20 Jahren gegen Gummiwände"

In Vorarlberg gilt der Wirtschaftsbund als quasi allmächtig. Die von immerwährender ÖVP-Dominanz und industriellem Aufschwung in der prosperierenden Bodensee-Region geprägten Strukturen frästen sich über die Jahrzehnte tief in die Verhältnisse ein. Wer davon nun gänzlich überrascht ist, wollte sie nicht sehen, hat selbst in das System eingezahlt und profitiert oder war nicht nahe genug dran. Die Grünen, Juniorpartner der ÖVP im Land, "rennen seit 20 Jahren gegen Gummiwände", sagt Klubchefin Eva Hammerer. "Passiert ist in all den Jahren nichts."

Dass in der Wirtschaftskammer Vorarlberg bis 2005 nicht einmal Wahlen ausgerichtet wurden, weil sich sämtliche Kandidaten - ob schwarz, blau oder rot - praktischerweise auf einer Liste einfanden, ist österreichweit einzigartig. Und passt ins Bild. Als die Grünen eine Fraktion gründeten, habe man sie gedrängt, "keine Wahlen vom Zaun zu brechen, sonst wird das alles sehr mühsam",schildert ein Ex-Kämmerer. Bald wurden die Grünen zu notorischen Kritikern. Inserate sind im Land der Nischen-Weltmarktführer eine Goldgrube. "Es mag alles legal gewesen sein, aber wir haben das Wirtschaftsbund-Blatt als Gelddruckmaschine nie für legitim erachtet", sagt der jetzige Chef der Grünen Wirtschaft, Christoph Hiebl.

Spricht man mit Menschen, die sich mit intransparenten Arrangements hinter der properen Vorarlberger Fassade nie abfinden wollten, geht es unweigerlich um die Rolle des Medienkonzerns von Eugen Russ. Sein Unternehmen "Russmedia" druckte und vertrieb das Blatt des Wirtschaftsbundes, druckte die Zeitung der Wirtschaftskammer und profitierte über die Agentur "Mediateam", an der er beteiligt ist, vom politiknahen Inseratengeschäft. Wenig überraschend hatten die "Vorarlberger Nachrichten" Wichtigeres zu tun, als das seltsame Anzeigengeschehen aufzudecken. Inzwischen hat sich das Blatt gewendet. Die "Vorarlberger Nachrichten" rückten die "eidesstattliche Erklärung" eines Managers ins Blatt, der - anonym - von Druck vonseiten des Landeshauptmanns Wallner auf einen Inserenten berichtet. Bis zu Redaktionsschluss blieb das allerdings der einzige Vorwurf, der auf den Landeshauptmann persönlich zielt. Wallner bestreitet ihn, er sei doch kein "Anzeigenkeiler".

Wankt der Landeshauptmann?

Die Staatsanwaltschaft Feldkirch ermittelt gegen mehrere Personen und gegen den Wirtschaftsbund wegen des Verdachts der Abgabenhinterziehung. Die wichtigste Säule der ÖVP Vorarlberg ist angeknackst. Wankt auch der Landeshauptmann? Beim Misstrauensantrag am 11. Mai wollen die Grünen nicht mitstimmen. Einen Untersuchungsausschuss im Landtag begrüßen sie.

Böse Zungen behaupten, die Chimäre vom "subren Ländle" halte sich hartnäckig, weil Kritiker irgendwann das Weite suchen. Brigitte Walk, Jahrgang 1960, ist eine Grenzüberschreiterin im besten Sinne. Die Vorarlberger Schauspielerin, Theaterpädagogin und Regisseurin kombiniert Theater und Tanz, arbeitet mit Profis und Amateuren in Deutschland, der Schweiz und Liechtenstein. "In den 1970er-Jahren musste ich aus diesem engstirnigen, klerikalen, patriarchalen Landstrich flüchten",erinnert sie sich nach Probenschluss in einem Dornbirner Tanzzentrum: "Ich habe noch miterlebt, was es heißt, dass Frauen ihre Ehemänner fragen mussten, wenn sie auswärts arbeiten gehen wollten. Die Politik will hierzulande eine längst diverse Gesellschaft nach altem Rezept verwalten. Sehenden Auges donnert man in die Mauer hinein." Das nach wie vor dominierende Bild? "Biertrinker, Mann, Monteur, Häuslebauer." Frauen und Migranten hätten da wenig bis gar keinen Platz. Sie zitiert den Schriftsteller Michael Köhlmeier, der wie sie selbst zu Vorarlberg Zuneigung und Distanz in einem pflegt: "Ein Heimatgefühl, das an den Grenzen Vorarlbergs oder Österreichs entlangkriecht, das habe ich sicher nicht." Landeshauptmann Herbert Sausgruber regierte das Land von 1997 bis 2011. Sausgruber stammte aus dem ÖAAB, hatte Theologie studiert, erwies sich auf dem praktischen politischen Feld aber als Machiavellist. Er war auch bürgernah, mit sozialem Gewissen. Auch sein Nachfolger Wallner fühle sich an Werte gebunden, sei als "Mann der Wirtschaft aber vor allem am Erfolg ausgerichtet", sagt eine politische Beobachterin. Den Höhenflug der türkisen ÖVP unter Sebastian Kurz habe Wallner "kühl strategisch genutzt, ohne ihm jedoch völlig ergeben zu sein". Als im vergangenen Jahr der türkise Ex-Kanzler durch Korruptionsermittlungen nach aufgeflogenen ÖVP-Chats ins Trudeln kam, mahnte Wallner als erster ÖVP-Spitzenpolitiker einen Neubeginn ein, der auch eine "personelle Komponente" beinhalten müsse. Wallner selbst schloss einen Rücktritt bisher kategorisch aus.

Träfe ein Außerirdischer mit der Frage, was Vorarlberg eigentlich sei, zufällig auf den Sänger, Autor und Filmemacher Reinhold Bilgeri, 72, bekäme der Alien Folgendes zu hören: "Die Vorarlberger waren einst ein schüchternes Völklein, das sich nicht in die Karten schauen ließ",sagt Bilgeri im Café des Bregenzer Landesmuseums: "Das Völklein unternahm Ausflüge in die Welt, verband die dabei gemachten Erlebnisse mit Geist und Seele-und ließ die jämmerlichen konservativen Sümpfe von einst bald hinter sich."Ende der Alien-Märchenstunde. Nur noch ein Nachsatz: "Natürlich blüht auch in Vorarlberg der Lokalpatriotismus, aber da ist mehr Liebe als Stolz dabei."Bilgeri ist nicht erst seit der gemeinsam mit Michael Köhlmeier ersonnenen inoffiziellen Vorarlberg-Hymne "Oho Vorarlberg" ein wichtiger Unruhepol im Land. "Bist zwar als Land ein Zwerg, Zwerg, Zwerg",sangen Bilgeri und Köhlmeier vor fast 50 Jahren. "Es gibt keinen schöneren Platz auf Erden als dieses Vorarlberg", sagt Bilgeri heute. Kurze Nachdenkpause. "Oder werde ich im Alter einfach nur chauvinistischer?" Außerirdisch schönes Vorarlberg, sozusagen.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges

Wolfgang   Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.