Taktisches Manöver oder Koalitionskrach?

Streit zwischen Kurz und Strache: Taktisches Manöver oder Koalitionskrach?

Was wirklich hinter dem ersten offenen Streit zwischen Kurz und Strache steckt.

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Was Sebastian Kurz von Wolfgang Schüssel unterscheidet: Der frühere ÖVP-Bundeskanzler las gern die „Neue Zürcher Zeitung“, der heutige ÖVP-Bundeskanzler hört regelmäßig Ö3. Professioneller aus politischer Sicht verhält sich damit Kurz. Schüssel verlor erst das Gefühl für die Stimmung im Land und 2006 schließlich die Nationalratswahl gegen die SPÖ. Wer dagegen Ö3 hört, hat sein Ohr beim Durchschnittsbürger. Und der hält – wie Umfragen zeigen – rein gar nichts von rechtsextremen Bewegungen wie den Identitären. Kurz dürfte es sehr wichtig sein, wie er und seine Politik auf Ö3 dargestellt werden.

Rechtsextremismus sei „eine rote Linie“

Die viel zitierte türkise Message Control, also die Entscheidungsgewalt über das eigene mediale Erscheinungsbild, wird allerdings überschätzt. Radioprogramme lassen sich nicht umfassend steuern, unabhängige Zeitungen schon gar nicht. Maximal kann man sie mit Neuigkeiten ködern. Und solche bot der Kanzler zu Beginn der vergangenen Woche: „Kurz nimmt Kickl an die Kandare“ oder auch „Kurz nimmt Kickl an die kurze Leine“ titelten mehrere Tageszeitungen am Dienstagmorgen. Künftig sollen das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, das Abwehramt und das Heeresnachrichtenamt nicht nur an ihren jeweiligen Fachminister, sondern auch an Kanzler und Vizekanzler Informationen weitergeben. Zusätzlich meinte Kurz zum Verhältnis zwischen seinem Koalitionspartner FPÖ und den Identitären, er dulde „keinen schwammigen Umgang mit dieser rechtsextremen Bewegung“. Mittwoch nach dem Ministerrat legte er noch eines drauf und forderte, auch FPÖ-Kabinettsmitarbeiter dürften nicht bei den Identitären aktiv sein. Rechtsextremismus sei „eine rote Linie“.

Eine „Belastungsprobe“ orteten daraufhin Kommentatoren, gar „einen ersten offenen Koalitionskrach“. Kurz’ Message Control habe erstmals versagt. Dabei war sein Verhalten nur kalkuliert. Geht es um rechtsextreme Auffälligkeiten, schweigt oder äußert sich der ÖVP-Chef gezielt. Im Sommer distanzierte er sich demonstrativ von Ungarns Regierungschef Viktor Orbán (freilich ohne dessen Ausschluss aus der Europäischen Volkspartei zu forcieren), und im November traf er ebenso demonstrativ den ungarischstämmigen US-Investor George Soros, den Orbán und die Freiheitlichen zum Feindbild erkoren haben.

„Kickl“-Bändiger und „Identitären“-Bekämpfer

Diesmal hatte Kurz gleich mehrere Gründe für offene Worte: Der Unmut in seiner ÖVP über die blauen Berührungspunkte mit den Identitären ist hoch. Auch die Mehrheit der Bürger sieht die Kontakte mehr als skeptisch. Auf EU-Ebene wurde seine Kritik genau registriert. Deutliche Positionierungen helfen zudem im EU-Wahlkampf. Und darüber hinaus deckt sich wohl auch Kurz’ Kalkül mit seiner persönlichen Meinung zu den Identitären, die er mehrfach als „widerlich“ bezeichnete. So gesehen durfte der Kanzler mit der Woche zufrieden sein, die er in der medialen Darstellung als „Kickl“-Bändiger begann und als „Identitären“-Bekämpfer beendete.

Von einer tatsächlichen Bedrohung für die Regierung war die Auseinandersetzung weit entfernt. Käme es wegen der FPÖ-Identitären-Kontakte zum Koalitionsbruch, würde die ÖVP wohl Richtung 40 Prozent marschieren. Aber auch die Volkspartei hat wenig Interesse an Neuwahlen. Denn dann bliebe ihr wohl nur die SPÖ als Koalitionspartner über. Und die Abneigung gegenüber den Roten ist in der türkisen Führungsriege noch immer größer als die Skepsis gegenüber ins Rechtsextreme ausfransenden Blauen.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.