Warum gibt es weniger Verurteilungen, aber mehr Häftlinge?
Eine gute Nachricht zum Start in den Tag: Österreich bleibt sicher (zumindest, wenn man die geopolitische Lage und die globale Klimakrise kurz ignoriert). Die Kriminalitätsstatistiken weisen nach der Corona-Krise keine besorgniserregenden Anstiege auf, Zuwächse bei der Gewaltkriminalität lassen sich teils durch eine Verlagerung ins Internet erklären. Und wenn Sie sich in Österreich nicht fürchten, sind Sie nicht allein: Einer Befragung des Innenministeriums zufolge fühlen sich vier von fünf Menschen im Land sicher, am eigenen Wohnort ist das Sicherheitsgefühl sogar noch höher. Alle Details zur Kriminalitätsstatistik lesen Sie im aktuellen profil.
Die schlechte Nachricht: „Das große Problem ist der überfüllte Strafvollzug“, sagt Veronika Hofinger, Kriminalsoziologin an der Universität Innsbruck. Nicht nur Staatsanwaltschaften und Gerichte ächzen unter Personalnot, auch in den Gefängnissen ist es eng – wortwörtlich: Anfang September zählte die Justiz erstmals mehr als 10.000 Insass:innen, seit 1. Oktober sind es 10.024. Exakt 544 von ihnen befinden sich im elektronisch überwachten Hausarrest, 375 in psychiatrischen Krankenanstalten. Die restlichen 9105 Personen sitzen in Justizanstalten, vulgo Gefängnissen, – die derzeit allerdings eigentlich nur Platz für 8226 Personen haben.
Not hinter Gittern
„Die Justizanstalten sind am Limit, sie fahren eine Art Notprogramm“, sagt Hofinger: „Gleichzeitig soll gespart werden und es fehlt an Personal.“ Die Einschlusszeiten würden so noch länger werden, die Zahl der Personen pro Haftraum steige, so Hofinger: „Man kann sich vorstellen, dass es einen Menschen eher beschädigt als resozialisiert, wenn er mit fünf anderen Insassen 23 Stunden pro Tag auf engstem Raum zusammengesperrt ist.“
Sperrt Österreich zu viele Menschen weg? Es wäre nicht das erste Mal: Im Verhältnis zur Wohnbevölkerung waren Anfang der 1980er-Jahre sogar mehr Menschen in Haft als heute. 114 Inhaftierte kamen 1981 und 1981 auf 100.000 Einwohner:innen. Damit lag Österreich im Vergleich zu anderen westeuropäischen Ländern an erster Stelle, hält das Justizministerium in seinem Sicherheitsbericht für das Jahr 2023 fest.
In den 1990er-Jahren reduzierte Österreich daher seine Gefangenenrate. Seit der Jahrtausendwende liegt sie aber wieder konstant um die 100 Inhaftierte pro 100.000 Einwohner:innen. Mittlerweile ist das zwar im europäischen Schnitt, aber immer noch deutlich höher als etwa in Deutschland, Slowenien und der Schweiz.
In absoluten Zahlen waren in Österreich noch nie mehr Menschen inhaftiert als 2025. Blickt man auf die Verurteilungsstatistik, ist dieser historische Höchststand kaum zu erklären: In Österreich wurden 2024 trotz wachsender Bevölkerung deutlich weniger Freiheitsstrafen ausgesprochen als noch vor der Pandemie.
Wieso sitzen mehr Personen in Haft, obwohl immer weniger Menschen verurteilt werden? Das habe mehrere Gründe, heißt es aus dem Justizministerium: Während der Corona-Krise 2020 und 2021 wurden Haftantritte verschoben – diese werden teils immer noch nachgeholt. Dazu steigt schlicht die Bevölkerung schneller als die Zahl der Zellen.
Lange Maßnahme
Vor allem aber sitzen mehr Personen lange hinter Gittern: Sowohl die Dauer der Untersuchungshaft als auch der Strafhaft steigt an. Zudem hat sich die Zahl der Menschen im Maßnahmenvollzug von 804 Personen 2014 auf 1593 im Jahr 2025 fast verdoppelt. Dabei handelt es sich um Personen mit psychischen Erkrankungen, die aufgrund ihrer Gefährlichkeit von der Außenwelt abgeschlossen werden.
Anders als bei Haftstrafen gibt es für den Maßnahmenvollzug keine zeitliche Höchstgrenze: Die Unterbringung dauert so lange, wie aus Sicht des Gerichts eine Gefahr für die Allgemeinheit besteht. Das ist immer länger der Fall: Personen, die das Unrecht ihrer Tat nicht einsehen konnten, wurden im Jahr 2000 im Schnitt 1,6 Jahre lang untergebracht, 2023 waren es 2,7 Jahre. Personen, die zum Zeitpunkt der Tat zurechnungsfähig waren, aber zusätzlich eine schwerwiegende und nachhaltige psychische Störung haben, wurden 2000 im Schnitt noch 3,6 Jahre untergebracht, 2023 waren es 4,1 Jahre.
Obwohl die Zahl der Strafhäftlinge trotz steigender Bevölkerung recht konstant bleibt, werden die Gefängnisse daher immer voller. Dazu kommen Umbau- und Renovierungsarbeiten, die den Platz hinter Gittern weiter verknappen und seit 2020 eine steigende Zahl an U-Häftlingen.
Das Justizministerium hat eine Taskforce eingerichtet, um die verschiedenen Justizanstalten möglichst gleichmäßig auszulasten. Zudem rechnet das Ministerium damit, dass die Neuregelung des elektronischen Hausarrestes die Gefängnisse mittelfristig entlastet: Seit September können deutlich mehr Häftlinge ihre Haft mit elektronischer Fußfessel absolvieren. Auch Änderungen bei der bedingten Entlassung, bei der ehemalige Häftlinge unter Auflagen auf freien Fuß kommen, werden „die Haftbedingungen verbessern und einen wichtigen Beitrag zur besseren Resozialisierung leisten“.
Der wohl wichtigste Punkt: Trotz des Spardrucks seien alle laufenden Bau- und Sanierungsprojekte im Strafvollzug gesichert, heißt es aus dem Justizministerium. Die Inbetriebnahme des neuen Jugendstrafvollzugs in Wien-Simmering sollte die überfüllte Josefstadt entlasten, wo jugendliche Straftäter übergangsmäßig untergebracht wurden. Der nächste große Ausbau der Justizanstalten soll 2027 mit der neuen Justizanstalt Klagenfurt fertiggestellt werden. Für 2029 ist auch ein Neubau des forensisch-therapeutischen Zentrums in Göllersdorf mit rund 100 zusätzlichen Plätzen geplant. Dazu kommen Sanierungen in der Josefstadt, Graz, Stein, Suben und Sonnberg.
profil wird die Entwicklung genau beobachten. Denn ein Rechtsstaat muss mit seinen Gefangenen menschlich umgehen. Und dafür braucht es Platz.