Sind staatliche Eingriffe die Lösung, Herr Schnetzer?
Fast über Nacht verließ Markus Marterbauer die Arbeiterkammer und wurde Finanzminister. Sein Nachfolger ist Ökonom Matthias Schnetzer. Wie denkt er? Und wann hält er Preiseingriffe für sinnvoll?
Es ist alles noch sehr frisch. In Markus Marterbauers altem Büro stehen drei Umzugskisten voll mit Büchern, seine Topfpflanze streckt sich auch noch über das Fensterbrett. In wenigen Tagen wird Matthias Schnetzer in diesen Raum übersiedeln, jetzt überlegt er noch, wie er den Schreibtisch positioniert. Er wurde vor knapp sieben Wochen zum Chefökonom der Arbeiterkammer und somit zum Nachfolger von Finanzminister Markus Marterbauer. Wer ist der 42-Jährige?
Herr Schnetzer, die Arbeiterkammer ist ein österreichisches Spezifikum, Teil der Sozialpartnerschaft, vertritt die Anliegen von fast vier Millionen arbeitenden Menschen im Land, unterstützt bei Mietproblemen, Karenzsorgen und Arbeitsrecht. Sie waren davor Experte, jetzt sind Sie das Sprachrohr davon. Ein Balkonmuppet, wie Michael Häupl sagen würde. Wie geht es Ihnen damit?
Matthias Schnetzer
Ich bin ein Sprachrohr, aber wir haben ja zum Glück viele Sprachrohre in der Arbeiterkammer und versuchen über möglichst viele Kanäle die Interessen der Beschäftigten zu vertreten. Davor habe ich vor allem über Verteilung und Vermögen gesprochen. Jetzt bin ich für ein größeres Portfolio zuständig. Daran gewöhne ich mich gerade.
Sie sind in Vorarlberg aufgewachsen, haben an der Wiener WU Volkswirtschaftslehre studiert. Was hat Sie geprägt? Haben Sie schon auf gut Vorarlbergerisch Häusle gebaut?
Schnetzer
Ich war nie dieser klassische „Schaffe, schaffe, Häusle baue“-Typ, mich zog es in die Hauptstadt. Wirklich geprägt hat mich die Erziehung in einem größeren Familienhaushalt, wo die oberste Maxime Gerechtigkeit war. Zudem wurde ich früh über Schüler:innenproteste Ende der 1990er- Jahre politisiert. Ich habe damals erfahren, dass es sich lohnt, für etwas einzutreten. Und dass ich nicht in einer passiven Rolle verharren möchte.
Warum war Gerechtigkeit so wichtig?
Schnetzer
In einem Haushalt mit vier Kindern unterschiedlicher Altersstufen, der zwar einen guten Lebensstandard hatte, aber auch nicht im Überfluss gelebt hat, ist Gerechtigkeit ein Riesenthema – unter den Kindern, den Eltern und den Generationen.
Markus Marterbauer als Finanzminister. „Darauf hätte ich bei der letzten Weihnachtsfeier nie gewettet."
Matthias Schnetzer in der Arbeiterkammer
Markus Marterbauer als Finanzminister. „Darauf hätte ich bei der letzten Weihnachtsfeier nie gewettet."
Wie pflegen Sie den Austausch mit Personen mit gegensätzlichen Meinungen. Wann waren Sie etwa das letzte Mal mit Franz Schellhorn auf ein Bier?
Schnetzer
Ich mag grundsätzlich Widerspruch. Franz Schellhorn und ich kennen uns nicht gut, aber wir saßen schon gemeinsam auf einem Podium bei einer Veranstaltung von Vermögensverwalterinnen und -verwaltern. Alle dort hießen die derzeitigen Vermögensverhältnisse nicht nur gut, sondern förderten sie sogar. Es war keine Wohlfühloase, aber ich kann gut mit Widerspruch leben.
Welche Schwerpunkte wollen Sie als Chefökonom setzen?
Schnetzer
Unsere Kernthemen sind traditionell Konjunktur, Beschäftigung, öffentliche Finanzen und Verteilung. Drei Themen sind in den letzten Jahren noch mal wichtiger geworden: Die Folgen der Klimakrise, Geschlechtergerechtigkeit – und wir arbeiten gerade an einer Produktivitätsstrategie. Österreich besteht im internationalen Wettbewerb nicht mit Billigprodukten und Lohndumping, sondern wir brauchen eine „High-Road-Strategie“. Wir müssen auf Qualität, Innovation und gut ausgebildete Fachkräfte setzen.
Marterbauer hat als Arbeiterkammer-Ökonom jahrelang erklärt, dass sich Volkswirtschaften nicht durch Ausgabenkürzungen, sondern durch Investitionen aus einer Wirtschaftskrise befreien sollten. Jetzt schwört er die Menschen in Österreich auf ein Sparbudget ein. Hätten Sie sich das bei der Weihnachtsfeier 2024 vorstellen können?
Schnetzer
Es ist eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet Markus Marterbauer jetzt diese Budgetmisere retten und bearbeiten muss. Darauf hätte ich bei der letzten Weihnachtsfeier nie gewettet. Das ökonomische Erbe, mit dem diese Regierung jetzt betraut ist, wünscht sich kein Finanzminister. Die jetzigen Budgetkürzungen entsprechen nicht meiner Idealvorstellung, aber sie sind weniger dramatisch, als in anderen Regierungskonstellationen gedroht hätte.
Konkret soll Österreich heuer 6,4 Milliarden einsparen, und ein EU-Defizitverfahren wurde eingeleitet. „Wir sparen viel Geld ein, aber wir betreiben keine Austeritätspolitik“, hat Marterbauer gesagt. Wie hätten Sie es sich anders vorgestellt?
Schnetzer
Zwei Drittel der Maßnahmen werden durch Ausgabenkürzungen bestritten, ein Drittel über Einnahmenerhöhungen. Budgetkonsolidierungen über die Ausgabenseite haben generell stärkere negative Effekte auf Konjunktur, Beschäftigung und auch Verteilung als eine einnahmenseitige Konsolidierung. Diese Regierung und ihr Finanzminister haben einige beachtliche Akzente auf der Einnahmenseite gesetzt, wie die Bankenabgabe, eine Steuer auf Umwidmungsgewinne und die Erhöhung des Eingangssteuersatzes bei Privatstiftungen. Aber ich hätte mir natürlich schon noch mehr gewünscht, und zwar einen gerechten Beitrag der Reichsten. Sie sind nach allen Daten, die wir haben, unbeeinträchtigt durch die letzten Krisen gekommen.
Die Arbeiterkammer positioniert sich klar und nimmt aktiv Teil an politischen Diskussionen. Ist das durch einen Finanzminister aus dem eigenen Hause schwieriger?
Schnetzer
Nein, ich glaube, mit dem Finanzminister verbindet uns ein solidarisch kritisches Verhältnis. Solidarisch insofern, weil Markus Marterbauer an der Schwelle zum Finanzministerium seine Prinzipien nicht abgelegt hat. Kritisch deshalb, weil wir längst nicht mit allem, was diese Regierung plant, vollumfänglich zufrieden und glücklich sind.
„Wenn eine solche Untersuchung ergibt, dass sich Lebensmittelkonzerne zulasten der Bevölkerung exorbitante Gewinne durch Marktmacht und Preissteigerungen einstreifen, dann ja."
Matthias Schnetzer
über Preiseingriffe
In einem Interview mit den „Salzburger Nachrichten“ sagte Markus Marterbauer, er könne sich Preiseingriffe bei Nahrungsmitteln vorstellen. Wie sehen Sie das?
Schnetzer
Ich finde diese Diskussion sehr wichtig. Viele Haushalte mit geringen Einkommen sind durch die Preissteigerungen am Anschlag. Es ist auch keine neue Idee, Preise zu regulieren. In Österreich gab es jahrzehntelang eine Preiskommission, die für bestimmte Güter des Grundbedarfs Preise kontrolliert hat. Wir haben das bis heute bei Medikamenten. Eine Preiskommission sollte prüfen, woher die Preisanstiege bei Lebensmitteln kommen und ob sie gerechtfertigt sind.
Und wenn sie zu dem Schluss kommt, sie sind nicht gerechtfertigt? Sind für Sie dann direkte Preiseingriffe vorstellbar?
Schnetzer
Wenn eine solche Untersuchung ergibt, dass sich Lebensmittelkonzerne zulasten der Bevölkerung exorbitante Gewinne durch Marktmacht und Preissteigerungen einstreifen, dann ja. Aber immer in der Reihenfolge: Analyse, lösungsorientierte Gespräche und im letzten Schritt notfalls gut durchdachte Eingriffe.
Gibt es ein Land, das hier ein Vorbild sein könnte?
Schnetzer
Frankreich ist uns in der Analyse ein Vorbild, denn dort gibt es schon lange ein detailliertes Preismonitoring bei Lebensmitteln. Da werden laufend Preise und Gewinnspannen im Lebensmittelhandel veröffentlicht und jährlich dem Parlament vorgelegt. Eine solche Transparenz wäre auch in Österreich wünschenswert.
Aber reicht das?
Schnetzer
Wir haben auch diesen bekannten Österreich-Aufschlag, wo gleiche Produkte hierzulande ein Viertel teurer sind als in Deutschland. Da muss sowohl die EU-Ebene als auch die Regierung dringend tätig werden. Auch eine Preistransparenzdatenbank könnte bei der Statistik Austria aufgebaut werden.
„Das Undenkbare ist auf einmal doch denkbar oder sogar Mainstream geworden."
Matthias Schnetzer
über Eingriffe bei Energiepreisen
Auch Energie ist in Österreich nach wie vor relativ teuer. Erneuerbare Energiequellen wurden verstärkt ausgebaut, die Netzkosten stiegen jetzt an, und das führt zu Unmut. Wo stehen wir in der Energiewende?
Schnetzer
Es tut sich was, aber es müsste sich um einiges mehr tun. Ich denke, dass die Finanzierung nicht der große Hemmschuh sein kann. Die Illwerke bauen gerade um mehr als zwei Milliarden Euro ein neues Pumpspeicherwerk, wo sie zehn Kilometer lang einen Stollen durch einen Berg bohren. Dort sagt man, die Investitionen lohnen sich innerhalb einer Dekade. Es rentiert sich bald. Die Energiewende ist also definitiv machbar.
Beim Thema Energie sagen jetzt industrienahe Personen, die Politik hätte 2022 stärker in die Energiepreise eingreifen sollen. Die Arbeiterkammer hat das damals prominent gefordert. Freut Sie das?
Schnetzer
Ja, aber nicht aus Schadenfreude, sondern weil wir hier tatsächlich eine Diskursverschiebung sehen. Das Undenkbare ist auf einmal doch denkbar oder sogar Mainstream geworden. Es stimmt mich bis zu einem gewissen Grad optimistisch, dass wir lernfähig sind. Vielleicht auch bei Vermögenssteuern.
Die Dreierkoalition hat dieses Thema vorerst aufgeschoben. Wie sehen Sie das?
Schnetzer
Ich habe Hoffnung, dass sich die rationalen Argumente, die fast durchwegs für eine Besteuerung von Millionenerbschaften sprechen, im Diskurs durchsetzen. Das Momentum ist tatsächlich so groß wie schon lange nicht mehr.
Warum?
Schnetzer
Ich orte in der Regierung in allen Parteien Fraktionen, die die Erbschaftssteuer aus unterschiedlichen Beweggründen für vernünftig halten. Manche aus einem liberalen Grundgedanken, da Erbschaften leistungslose Vermögenszuflüsse sind, für die Erben nichts anderes gemacht haben, als in der Geburtslotterie gewonnen zu haben. Ein zweiter Aspekt ist, dass in den nächsten Jahrzehnten sehr geburtenstarke Jahrgänge altern und letztlich auch sterben. Wir werden mit massiv steigenden Kosten im Bereich der Pflege konfrontiert sein. In dieser Zeit steigt aber auch das jährlich vererbte Volumen stark an. Mit einer Erbschaftssteuer könnte man hier den Pflegebereich sinnvoll finanzieren.
Schnetzer ist seit wenigen Wochen Chefökonom der Arbeiterkammer. Er wuchs in Vorarlberg auf und studierte Volkswirtschaftslehre an der Wirtschaftsuniversität in Wien. Seit 2013 ist Schnetzer als Ökonom in der AK Wien tätig sowie als Lektor am Department für Volkswirtschaft der WU Wien. Er leitet die Quartalszeitschrift „Wirtschaft und Gesellschaft“.
Matthias Schnetzer, 42
Schnetzer ist seit wenigen Wochen Chefökonom der Arbeiterkammer. Er wuchs in Vorarlberg auf und studierte Volkswirtschaftslehre an der Wirtschaftsuniversität in Wien. Seit 2013 ist Schnetzer als Ökonom in der AK Wien tätig sowie als Lektor am Department für Volkswirtschaft der WU Wien. Er leitet die Quartalszeitschrift „Wirtschaft und Gesellschaft“ und unterstützte das Babler-Komitee.
Wir sprechen gerade viel von Krisen, wenig von Ideen. Was für grundlegende Antworten brauchen wir als Wirtschaft und Gesellschaft aus Ihrer Sicht?
Schnetzer
Es gibt große Unsicherheit und Instabilität, das Aufstiegsversprechen ist für viele gebrochen. Da braucht es politische Visionen, damit das System nicht in die falsche Richtung kippt. Ich setze mich für eine sozial gerechte und ökologisch nachhaltige Wirtschaftsweise ein, die Wohlstand und Menschen in den Mittelpunkt stellt, nicht unbegrenztes Wachstum und Profitstreben. Es gibt viele Maßnahmen, die in kleinen Ansätzen eine positive Wirkung entfalten. Ökosteuern sollen Anreize schaffen, um klimafreundlicher zu produzieren etwa. Wir brauchen auch Hebel, die stärker an der Wurzel ansetzen, dementsprechend auf heftigeren Widerstand stoßen. Wenn Privatjets oder Yachten den ökologischen Fußabdruck ganzer Kleinstädte haben, müssen wir diskutieren, ob wir klimaschädlichen Luxuskonsum nicht auch durch Ordnungspolitik adressieren. Mutige Ideen sind heute in allen Bereichen der Wirtschaftspolitik gefragt. Wir erleben derzeit radikale Umbrüche. Da brauchen wir auch radikale Antworten.