Genauer: aus der „Hauserneuerungs- und Instandhaltungsrücklage“, wie ein Sprecher auf Nachfrage erklärt.
Die Wirtschaftskammer und ihre Organisationen sitzen aktuell auf Rücklagen in der Höhe von 2.052.140.055,73 Euro (Stand Ende 2024, Anm.). Die knapp zwei Milliarden Euro sind zwischen 2023 und 2024 noch einmal um 30,7 Millionen Euro gestiegen. Das zeigt eine aktuelle Auswertung der „Grünen Wirtschaft“, der grünen Wirtschaftsfraktion in der WKO. Und das, während die Kammer in diesem Jahr die Kammerumlage für deren Pflichtmitglieder um zwölf Prozent senkte und die Bundeskammer sowie die Wirtschaftskammer in Oberösterreich Millionenverluste schrieben.
Unruhe nach dem Sturm
Harald Mahrers Rücktritt als Kammerpräsident vergangene Woche sollte eigentlich die Wogen wieder glätten und die lautstarke Kritik an der Mittelverwendung in der Kammer besänftigen. Zur Erinnerung: Vor fast drei Wochen sorgte zuerst eine automatische Erhöhung der Mitarbeitergehälter um 4,2 Prozent und damit über der rollierenden Inflation für Aufregung. Dann berichtete die „Presse“, dass die Bezüge der zahlreichen Kammerpräsidenten und -präsidentinnen teilweise um mehr als die Hälfte angehoben wurden. Und all das in einer Zeit, in der viele heimische Betriebe – allesamt Mitglieder der WKO – das dritte Jahr infolge nicht aus der Krise herauskommen. Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verloren ihre Jobs, Betriebe mussten Rücklagen auflösen, um das vergangene Geschäftsjahr ohne Insolvenz abzuschließen.
Die Rücklagen der Wirtschaftskammer wurden in den vergangenen Jahren aber nur angeknabbert – und schnell wieder aufgefüllt. Seit 2019 sind sie laut den Daten der Grünen Wirtschaft um 18,9 Prozent gestiegen, die zur Berechnung dieser Summe die Rechnungsabschlüsse aller Kammern der vergangenen fünf Jahre heranziehen (siehe Grafik). Und das trotz Corona-Pandemie, Energiekrise und Wirtschaftsflaute. Pro Kammermitglied sind das übrigens 2880 Euro, die hier auf die Seite gelegt sind. Zum Vergleich: Bei der Arbeiterkammer sind es 138 Euro pro Mitglied.
Nun ist die nächste Debatte entfacht: Soll man einen Teil der hohen Rücklagen der Kammer auflösen, um im Gegenzug die verpflichtenden Beiträge für die Unternehmen senken? Und wozu braucht eine Kammer überhaupt so viel Geld auf Halde?
Die Wirtschaftskammer argumentiert, dass diese Rücklagen großteils gebunden sind und nicht ohne Weiteres so einfach aufgelöst werden können. Auf ihrer Homepage schreibt die WKO unter dem Titel „Wirtschaftskammer: Fakten statt Mythen“ etwa: Bei etwa zwei Drittel der zwei Milliarden Euro handle es sich um gebundenes Kapital, also Anlagevermögen „in Form von Liegenschaften für Büros, Bezirksstellen, AußenwirtschaftsCenter oder die Bildungseinrichtungen der WIFIs“ oder um Rückstellungen in den Fachorganisationen. „Damit verbleiben rund 780 Millionen Euro an Rücklagen, wovon etwa 301 Millionen Euro auf die Ausgleichsrücklage und rund 479 Millionen Euro auf zweckgewidmete Rücklagen entfallen“, schreibt die WKO.
Sabine Jungwirth, Bundessprecherin der „Grünen Wirtschaft“, widerspricht: „Man kann auf jede Rücklage zurückgreifen, es braucht nur einen entsprechenden Beschluss in den zuständigen Gremien. Auch Unternehmen müssen Rücklagen auflösen und sogar Immobilien verkaufen, wenn das Geschäft nicht gut läuft.“ Sie hält der WKO vor, dass sie bei ihren Berechnungen der schnell verfügbaren 301 Millionen an Rücklagen nur die Mittel der Kammern, nicht aber der Fachorganisationen darstellt. „Wenn man die gesamten Organisationen der Wirtschaftskammer plus deren Fachorganisationen zusammenrechnet, kommt man auf rund 722 Millionen an gebundenen Rücklagen und auf 1,341 Milliarden an Gewinnrücklagen.“ Und letztere seien sehr wohl antastbar und verfügbar. „In den genannten 1,3 Mrd. Euro sind die Fachorganisationen enthalten, die jedoch finanziell autonom sind’’, kontert die WKO. Wer hat nun Recht?
Die Haushaltsordnung der WKO schreibt auf Basis des Wirtschaftskammergesetzes vor, wie die Mittel aus den Einnahmen der Pflichtmitgliedschaft zu verwenden sind. In Paragraf 2, Absatz 1 steht etwa: „Die Gebarung der Körperschaften hat nach den Grundsätzen der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit zu erfolgen.“ Und weiter in Absatz 2: „Zum Ausgleich von unvorhergesehenen Schwankungen bei den Aufwendungen und Erträgen sowie zur Bedeckung bestimmter Vorhaben sind angemessene Rücklagen zu bilden.“ profil wollte von der WKO wissen, was aktuell im Haus als „angemessen“ gilt, und wer das festlegt? Die Antwort der Kammer: „Die Bestimmung der Haushaltsordnung bezieht sich ausschließlich auf die Ausgleichsrücklage.’’ Als Daumenregel gilt, dass die Kammer genug Rücklagen braucht, um den laufenden Betrieb rund ein Jahr lang quasi aus eigener Kraft erhalten zu können.
Zwei Jahresbudgets auf der Seite
Aktuell macht die Rücklage rund zwei Jahresbudgets aus. Und schon jetzt müssen einzelne Kammern auf ihre Rücklagen zurückgreifen, um Verluste – etwa aufgrund der schwachen Konjunktur und der gesenkten Umlage – zu kompensieren. Heuer tut das die WKOÖ, die gerade erst ihr Haus von Grund auf erneuerte. Laut Budgetvoranschlag sollen 2025 1,1 Millionen Euro an Rücklagen aufgelöst beziehungsweise zugewiesen werden, um den prognostizierten Verlust von fast zwei Millionen zu dämpfen.
Ruhe
Die Tiroler Unternehmerin Martha Schultz übernimmt nach Mahrers Rücktritt die interimistische Leitung der Wirtschaftskammer. Sie soll jetzt die Wogen glätten und für Ruhe in der Kammer sorgen, bis die Nachfolge geregelt ist.
Für solche Zugriffe ist derzeit noch genug Geld da. Ein Blick in den Rechnungsabschluss der Bundes-WKO zeigt, wofür die Kammer so Geld auf die Seite legt. Der mit Abstand größte Budgetposten dort sind die sogenannten Ausgleichsrücklagen mit 123 Millionen Euro. Geld, mit dem man eben auch Verluste kompensieren kann. Weiter unten in den Buchungszeilen finden sich aber auch 581.650,36 Euro an Rücklagen für Öffentlichkeitsarbeit. Das ist Geld, das zusätzlich zum PR-Budget der WKO auf die Seite gelegt wird. 2024 wurden 7,2 Millionen Euro für Werbund ausgegen. „Die Rücklage für Öffentlichkeitsarbeit ist für unvorhergesehene, aber notwendig werdende z.B. branchenspezifische Öffentlichkeitsarbeit vorgesehen und ist seit Jahren nahezu unverändert’’, heißt es aus der Kammer.
Der zweitgrößte Rücklagenposten mit mehr als 41 Millionen Euro ist für „Gebäuderücklagen für Auslandsobjekte“ vorgesehen. Die Wirtschaftskammer und ihre Organisationen verfügen über ein üppiges Immobilienportfolio mit Liegenschaften auf der ganzen Welt, die erhalten werden müssen. Wie groß dieses insgesamt ist und wie hoch es aktuell bewertet ist? Diese Frage blieb bis Redkationsschluss unbeantwortet.
Deutlich an Wert zugelegt hat nach dem Umbau jedenfalls das „Haus der Wirtschaft“ in Oberösterreich. Dessen Chefin, Doris Hummer, war eine der ersten, die öffentlich Kritik an Harald Mahrer übte und jetzt – neben anderen – als mögliche Nachfolgekandidatin gehandelt wird. Wer auch immer Mahrer an der Spitze nachfolgt, wird jedenfalls nicht um den Budgetposten Rücklagen herumkommen.