UKRAINE-EU-DIPLOMACY-RUSSIA-WAR-CONFLICT
© APA/AFP/SERGEI SUPINSKY
UKRAINE-EU-DIPLOMACY-RUSSIA-WAR-CONFLICT
Was tun mit den russischen Milliarden? EU ringt um Ukraine-Hilfe
Schriftgröße
Schätzungsweise 135,7 Milliarden Euro wird die Ukraine in den kommenden zwei Jahren brauchen, um sich gegen Russland zu wehren und das eigene Land am Laufen zu halten – mindestens. Woher dieses Geld kommen soll, stellt die EU und die Ukraine vor immense Herausforderungen. Aus eigener Kraft kann sich die Ukraine nicht halten; und Europa geht schlicht das Geld aus. Deswegen ist jetzt Kreativität gefragt.
Zwei Optionen liegen auf dem Tisch: die Aufnahme neuer, gemeinsamer Schulden – oder der Zugriff auf das in der EU eingefrorene russische Staatsvermögen. Die Frage, was mit dem russischen Geld passieren soll, beschäftigt Brüssel seit Kriegsbeginn 2022. Bald könnte die EU eine Antwort auf diese Frage ersonnen haben – ganz zum Unmut Moskaus.
Seit Monaten diskutieren EU-Kommission, EU-Parlament und die Staats- und Regierungschefs darüber, ob 176 russische Milliarden, die beim belgischen Finanzdienstleister Euro-clear liegen, der Ukraine zur Verfügung gestellt werden sollen.
Und hier wird es heikel.
Die belgische Regierung befürchtet Vergeltungsmaßnahmen Russlands, und sie sorgt sich, mit den Risiken alleingelassen zu werden. Weil das Vermögen in Belgien liegt, wäre das Land im Ernstfall mit Klagen Russlands konfrontiert. Aus Sicht der belgischen Regierung droht ein Haftungsrisiko, die Nutzung von fremdem Zentralbankvermögen wäre in der EU bisher beispiellos. Sollte ein Gericht eines Tages die Verletzung der Staatenimmunität durch diese Maßnahme feststellen, müsste Euroclear – und damit letztlich der belgische Staat – binnen kürzester Zeit Milliarden an Russland zurückzahlen.
Kaja Kallas sieht das anders. „Russland schuldet der Ukraine Reparationen für die ihr zugefügten Schäden. Ein Reparationskredit aus dem eingefrorenen Staatsvermögen Russlands ist dafür die richtige Grundlage“, sagte die EU-Außenbeauftragte vergangene Woche. Teile dieser Mittel als eine Art vorgezogene russische Reparationszahlung der Ukraine zu überlassen, würde die EU finanziell entlasten und rasche Hilfe im Kriegsgebiet leisten. Die Ukraine solle das Geld nur zurückzahlen, „falls und wenn Russland Reparationen zahlt“, sagt auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
„Kein Blankoscheck“ für Belgien
Damit Belgien nicht auf den milliardenschweren Risiken sitzen bleibt, verlangt der belgische Premier Bart De Wever von den übrigen EU-Staaten weitreichende Garantien – eine Art Generalsicherheit für den Fall russischer Klagen. Dieser „Blankoscheck“ stieß bei Kommission und Mitgliedstaaten aber auf deutliche Ablehnung.
Wäre ich Russland, würde ich auch abwarten, ob wir die Finanzierung für die Ukraine aufstellen können.
Kaja Kallas, Vizepräsidentin EU-Kommission und EU-Außenbeauftragte
Dennoch enthält das nun vorgelegte Paket gewisse Schutzmechanismen für Belgiens Euroclear. Die genaue Ausgestaltung ist jedoch noch offen. Nach außen gibt sich die belgische Regierung offen für den Deal. Der Tageszeitung „Handelsblatt“ zufolge verlässt man sich in Belgien jedoch darauf, dass das Vorhaben letztlich scheitert.
Ohne dieses Geld könnte die Ukraine rasch in die Kapitulation gezwungen werden. „Wäre ich Russland, würde ich auch abwarten, ob wir die Finanzierung für die Ukraine aufstellen können“, sagte Kallas am vergangenen Montag.
Belgien ist nicht das einzige Land, das den Vorstoß bremst. Auch Ungarn hat sich kritisch geäußert und vor den Folgen gewarnt. Um erwartbare Blockaden zu verhindern, wurde der Entwurf so formuliert, dass er im Rat der Staats- und Regierungschefs mit qualifizierter Mehrheit beschlossen werden kann. Damit kann Ungarn allein ihn nicht stoppen.
Anders ist es bei der Aufnahme neuer EU-Schulden, die Einstimmigkeit erfordert. Hier würde sich wohl auch Deutschland querlegen. Friedrich Merz hat versprochen, keinen gemeinsamen Schulden zuzustimmen. Deshalb macht der deutsche Bundeskanzler nun Druck. Der Zugriff auf russisches Vermögen müsse erfolgen, denn Russland verschärfe seine Angriffe auf die Ukraine.
Das Parlament wird laut
Österreich fällt in der Debatte mit Zurückhaltung auf. Man unterstütze die Ukraine, sagte Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP), sei aber insbesondere, was die rechtliche Situation sowie eine Garantie gegenüber Belgien im Reparations-Kredit-Plan angehe, „zurückhaltend“.
In dieser aufgeladenen Debatte will auch das Europäische Parlament nicht wortlos zusehen. Der Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten und Menschenrechte beauftragte eine Studie zur rechtlichen Bewertung des Kredits aus den russischen Vermögen. Die Haftung müsse geteilt werden – entweder über den EU-Haushalt oder über nationale Garantien, wobei die Anteile je nach Wirtschaftsleistung der Mitgliedstaaten aufgeschlüsselt werden könnten.
Belgiens Bedenken wurden jedoch zu lange von der Kommission übergangen.
Andreas Schieder, Leiter der SPÖ-Delegation im EU-Parlament
In den österreichischen Delegationen gehen die Meinungen auseinander. Während sich der Neos-Abgeordnete Helmut Brandstätter klar für den Kredit ausspricht, warnt der freiheitliche Delegationsleiter Harald Vilimsky, dass die Bemühungen um Frieden in der Ukraine unter der Maßnahme leiden würden.
Anders Thomas Waitz von den Grünen. „Russland wird Reparationszahlungen leisten müssen, wenn es wieder in den globalen Handel aufgenommen werden will. Diese Reparationszahlungen aus den Mitteln vorzustrecken, die eingefroren sind, halte ich für einen debattierwürdigen Vorschlag.“ Man begrüße den Darlehens-vorschlag der Kommission und müsse nun rasch handeln, findet auch Andreas Schieder, Leiter der SPÖ-Delegation im EU-Parlament. „Belgiens Bedenken wurden jedoch zu lange von der Kommission übergangen.“
Wie Verteidigungsministerin Tanner warnt auch der ÖVP-Delegationsleiter im EU-Parlament Reinhold Lopatka vor rechtlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen: „Es gibt auch einen Tag danach, und es geht um den Finanzplatz Europa. Der Euro braucht dringend Großgeldanleger in der EU. Daher stellt sich bei mir die Frage, ob wir dadurch ein vertrauenswürdiger Standort bleiben.“
Je länger man in Brüssel diskutiert, desto größer wird der Spielraum für Moskau. Zuletzt haben Unterhändler des Kremls einen mit Washington ausgehandelten Friedensvorschlag vorgelegt, der ganz im Sinne Russlands war. Die Ukraine und Europa spielten dabei keine Rolle.
Während Europa über Garantien und Haftungsfragen streitet, herrscht in der Ukraine weiterhin Krieg. Zuletzt hat Russland seine Angriffe sogar noch verschärft, allein am vergangenen Wochenende wurden nahe der Hauptstadt Kyiv mindestens sieben Menschen durch Drohnen- und Raketenangriffe getötet.
Russland wolle keinen Frieden, sind sich Kallas und von der Leyen einig. Daher müsse die EU die Ukraine „so stark wie möglich machen“. Wie das gehen soll, wollen die Staats- und Regierungschefs beim letzten Gipfel des Jahres am 18. Dezember entscheiden.
Die Zeit drängt. Eine finanziell schwache Ukraine ist auch am Verhandlungstisch unterlegen.
Hannah Müller
ist seit September 2025 bei profil.
Siobhán Geets
ist seit 2020 im Außenpolitik-Ressort und seit 2025 stellvertretende Ressortleiterin. Schwerpunkt: Europa und USA.