Putin und Witkoff in Moskau
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Putin und Witkoff in Moskau
Das Geschäft mit dem Frieden: Wie Trumps Freunde um die Ukraine feilschen
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Anfang Oktober, die Ukraine steht vor ihrem vierten Kriegswinter, da unterbreiten Donald Trumps Leute ihm eine Idee. Vor Kurzem haben die Unterhändler des US-Präsidenten einen Waffenstillstand in Gaza ausgehandelt, jetzt fragen sie sich, ob etwas Ähnliches auch in der Ukraine funktionieren könnte. Die Methode ist denkbar simpel: Einen Plan entwerfen und abwarten, wie die beiden Seiten reagieren.
Wenig später machen sich Trumps Schwiegersohn Jared Kushner und sein Sondergesandter Steve Witkoff an die Arbeit. Die beiden Geschäftsmänner gehören zum engsten Kreis des US-Präsidenten, sie wissen, wie man verhandelt, und waren bereits beim Gaza-Deal federführend. Es ist ein neuer Versuch, den Krieg in der Ukraine rasch zu beenden, diesmal ohne Außenminister Marco Rubio. Am 25. Oktober fliegen Witkoff und Kushner nach Florida, in Miami treffen sie zum Abendessen Kirill Dmitrijew. Der 50-Jährige leitet den russischen Staatsfonds, er ist der Verbindungsmann von Russlands Präsident Wladimir Putin zu Trump und seinen Leuten. Die kommenden Tage verbringt Dmitrijew mit seinen amerikanischen Bekannten. Die Männer verfassen einen 28-Punkte-Plan für ein Kriegsende in der Ukraine.
Wir haben das Gefühl, dass die russische Position wirklich Gehör findet.
Kirill Dimitrijew
Russischer Unterhändler
Mitte November erzählt Dmitrijew der US-Nachrichtenseite „Axios“ in einem Interview von dem Friedensplan. Ziel sei gewesen, einen Rahmen zu schaffen, „wie wir endlich dauerhafte Sicherheit in Europa schaffen können, nicht nur in der Ukraine“, sagt Dmitrijew. Und: „Wir haben das Gefühl, dass die russische Position wirklich Gehör findet.“
Mit seinem Gefühl ist Dmitrijew nicht allein. Der Entwurf liest sich, als würde er direkt aus der Feder Moskaus stammen, gefordert wird de facto die Kapitulation der Ukraine. Die Rede ist etwa von der Anerkennung der Krim sowie der gesamten Regionen Luhansk und Donezk als russisch – die Ukraine müsste also auch Gebiete abgeben, die Russland gar nicht erobert hat. Gefordert wird die Garantie, dass die Ukraine niemals der NATO beitritt, keine NATO-Soldaten auf ukrainischem Territorium stationiert werden und Kyiv seine Armee radikal verkleinert. Auch von einer Amnestie für Kriegsverbrecher ist die Rede. Belastbare Sicherheitsgarantien für die Ukraine gibt es in dem ersten Entwurf nicht.
Der Plan spiegelt im Grunde Putins alte Forderungen wider. Und er liefert die Bedingungen, die Moskau bräuchte, um die Ukraine zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal anzugreifen. Dmitrijew kann zufrieden sein. So zufrieden offenbar, dass er den geheim ausgehandelten Friedensplan an amerikanische Medien durchsticht.
Dmitrijew und Witkoff
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Dmitrijew und Witkoff
Als die US-Nachrichtenseite „Axios“ vergangene Woche den ersten Artikel darüber auf „X“ teilt, kommentiert Witkoff, der Journalist „muss das von K. bekommen haben“. Gemeint war wohl der russische Verhandler Kirill Dmitrijew, und wahrscheinlich wollte Witkoff den Kommentar als private Nachricht verschicken. Allem Anschein nach hat die russische Seite den Friedensplan an „Axios“ durchsickern lassen.
Dafür spricht auch die These des britischen „Guardian“, wonach der ursprüngliche Vorschlag auf Russisch verfasst wurde. Das Dokument enthalte Ausdrücke, die auf Russisch geläufig seien, in der englischen Übersetzung aber seltsam ungelenk wirkten, schreibt der ehemalige Moskau-Korrespondent der Tageszeitung.
Der Zeitpunkt des Vorschlags – und seiner Veröffentlichung – dürfte jedenfalls kein Zufall sein. Im Umfeld des ukrainischen Präsidenten wurden vor Kurzem schwere Fälle von Korruption bekannt. Wolodymyr Selenskyj steckt inmitten einer innenpolitischen Krise, hinzu kommen verstärkte Angriffe Russlands. Wie die „New York Times“ erfuhr, schätzten Trumps Berater die Chancen, dass Selenskyj ein Abkommen unterzeichnet, angesichts des Drucks als höher ein.
Neue Version mit Sicherheitsgarantien
Als „Axios“ den Plan Ende vergangener Woche veröffentlicht, herrscht blankes Entsetzen. Die Europäer, der US-Senat, selbst Leute aus Trumps Regierung versichern glaubhaft, nichts davon gewusst zu haben. Gegenüber Senatoren bezeichnet Außenminister Rubio den Entwurf als Wunschliste des Kremls, die in Moskau verfasst wurde, rudert aber bald zurück und behauptet dann doch, der Vorschlag stamme aus Washington.
Wenn Trumps Unterhändler mehr daran interessiert sind, Putin zu beschwichtigen, als echten Frieden zu sichern, sollte sich der Präsident neue Berater suchen.
Mitch McConnell
Republikanischer Senator
Widerstand gegen Witkoffs Plan kommt auch aus Trumps eigenem Lager. Führende Republikaner sprechen von einem „Debakel für die Interessen Amerikas“. Putin, so der einflussreiche republikanische Senator Mitch McConnell, habe „das ganze Jahr versucht, Präsident Trump zum Narren zu halten“. Sollten Trumps Unterhändler „mehr daran interessiert sein, Putin zu beschwichtigen, als echten Frieden zu sichern, sollte sich der Präsident neue Berater suchen“. Andere Republikaner nennen den Ukraine-Plan „widerlich“ und „Müll“.
In Kyiv spricht Präsident Wolodymyr Selenskyj von „einem der härtesten Momente in der Geschichte der Ukraine“ und von der Wahl, entweder die Würde des Landes zu verlieren oder einen wichtigen Partner – die USA.
Überraschend prompt reagiert auch Europa. Noch am Sonntag reisen die Sicherheitsberater Deutschlands, Frankreichs, Italiens, Großbritanniens sowie der EU-Kommission für Gespräche mit amerikanischen und ukrainischen Unterhändlern nach Genf. Am selben Abend präsentieren die Europäer einen Gegenvorschlag zum US-russischen Friedensplan. Von Gebietsabtrennungen ist keine Rede, und die NATO verpflichtet sich nicht, auf eine Aufnahme der Ukraine zu verzichten. In dem Vorschlag enthalten sind auch Sicherheitsgarantien für die Ukraine.
EU-PARLAMENT: EU-KOMMISSIONSPRÄSIDENTIN URSULA VON DER LEYEN
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EU-PARLAMENT: EU-KOMMISSIONSPRÄSIDENTIN URSULA VON DER LEYEN
Europa stellt sich quer
Laut EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen gibt es nach der Überarbeitung des ursprünglichen Vorschlags für eine Friedensabkommen in der Ukraine jetzt immerhin einen Anfangspunkt. Ziele müssten ein gerechter und dauerhafter Frieden sowie Sicherheit für die Ukraine und Europa sein.
Am Montagabend einigen sich die USA, Europa und die Ukraine schließlich auf eine neue, wesentlich kürzere Version des Friedensplans. Was genau geändert wurde, ist nicht bekannt, nur so viel: Sicherheitsgarantien sind jetzt inbegriffen, festgehalten wird, dass ein NATO-Beitritt der Ukraine nicht ausgeschlossen werden dürfe und der Krieg erst enden müsse, bevor über Gebietsaufteilungen diskutiert werden kann.
Für Moskau dürfte der Plan damit wieder vom Tisch sein. Man müsse ihn „jedenfalls nachbessern“, heißt es dazu aus dem Kreml.
US-Außenminister Rubio, der zur Schadensbegrenzung nach Genf gereist war, spricht dennoch von „enormen Fortschritten“. „Ich bin fest davon überzeugt, dass wir es schaffen werden“, sagt er am Montag. Bei den Gesprächen in Genf steht der Außenminister wieder im Zentrum des Geschehens, doch bei den geheimen Verhandlungen mit Dmitrijew hat er offenbar ebenso wenig mitgewirkt wie der eigentliche US-Sondergesandte für die Ukraine Keith Kellogg. Es waren Witkoff und Kushner, die sich mit Dmitrijew trafen und den Plan danach der Ukraine vorlegten.
Außenminister Rubio spielte bei den geheimen Verhandlungen keine Rolle
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Außenminister Rubio spielte bei den geheimen Verhandlungen keine Rolle
Im Amerika des Jahres 2025 verhandeln nicht wie üblich Diplomaten zwischen Kriegsparteien, sondern Geschäftsleute. Das war schon beim Abkommen zwischen Israel und der Hamas der Fall. Im Auftrag Trumps entwarfen Witkoff und Kushner den Gaza-Plan, verhandelten mit der Hamas-Führung in Katar und überzeugten die israelische Regierung von einem Waffenstillstand.
Steve Witkoff ist Trumps Sondergesandter für den Nahen Osten, doch seine Rolle reicht weit darüber hinaus. Der 68-Jährige hat sich heuer schon etliche Male mit Vertretern Moskaus getroffen, die Beziehungen sind freundschaftlich. Im Frühjahr nahm er in Moskau ein Porträt von Donald Trump entgegen und zeigte sich berührt über das Geschenk Putins. Und am vergangenen Mittwoch wurde bekannt, dass Witkoff Putins wichtigstem außenpolitischen Berater Jurij Uschakow Tipps gab, wie Putin Trump den Ukraine-Plan am besten verkaufen kann. In der Audioaufnahme von Mitte Oktober, die dem Nachrichtenportal „Bloomberg“ vorliegt, rät Witkoff, Trump zum Gaza-Deal zu gratulieren und zu betonen, dass er „ein Mann des Friedens“ sei. Putins Berater schlägt er die Erarbeitung eines „20-Punkte-Trump-Plans“ für die Ukraine vor – inklusive Gebietsabtretungen.
Zehn Tage später traf Witkoff dann Dmitrijew in Miami.
Der Immobilienhändler hat viel Zeit mit Trump auf dem Golfplatz verbracht, außenpolitische Kompetenzen hat er nicht. Der Öffentlichkeit bewies Witkoff dies im Podcast des ultrarechten Moderators Tucker Carlson. Russland betrachte die Gebiete in der Ostukraine „zu Recht als ihr Eigen“, so Witkoff. Die Namen der Regionen, die er Putin überlassen will, konnte er nicht nennen, sein Verständnis für Russland ist dennoch groß: Die „eigentliche Ursache für diesen Krieg“ verortet Witkoff darin, dass „die Ukraine für Russland ein künstliches Land ist“.
Der zweite Geschäftsmann, dem Trump bei komplexen Verhandlungen vertraut, ist sein Schwiegersohn Jared Kushner. Eine offizielle Position in der US-Regierung hat er nicht, dafür ist sein Einfluss umso größer. Für Trump verhandelt Kushner auch mit Ländern wie Saudi-Arabien, wo er gleichzeitig gute Geschäfte macht.
Europa zahlt, Amerika verdient
Lukrative Deals standen auch bei den Verhandlungen für Frieden in der Ukraine im Vordergrund. Im ursprünglichen russisch-amerikanischen Plan sollten 100 Milliarden US-Dollar des in der EU eingefrorenen russischen Staatsvermögens in den Wiederaufbau in der Ukraine fließen, weitere 100 Milliarden soll Europa beisteuern – und die USA bekommen die Hälfte der Gewinne. Der Rest der beschlagnahmten Mittel soll „in gemeinsame Investitionen und Projekte Russlands mit den USA fließen“. In Trumps Szenario verdienen die USA am Wiederaufbau in der Ukraine mit, ohne selbst einzuzahlen; gleichzeitig wird Putins Russland wieder zu einem Partner, mit dem man Geschäfte machen kann. Moskau bekäme einen Teil seines Vermögens zurück und müsste keine weiteren Reparationszahlungen fürchten.
Ein ähnliches Konzept hatte die US-Regierung schon bei den Verhandlungen für ein Ende des Krieges in Gaza vor Augen: zuerst ein Abkommen zur schnellen Waffenruhe, dann die Geschäfte.
Doch Europa stellt sich quer. In ihrem Gegenvorschlag machten die Staats- und Regierungschefs klar, dass die USA nicht über die in der EU eingefrorenen Gelder bestimmen können: Das Vermögen werde erst freigegeben, wenn Russland für den Wiederaufbau in der Ukraine aufkomme.
Was davon im neuen Entwurf übrig blieb, ist noch nicht bekannt.
Alte Freunde?
Trump und Putin bei ihrem ersten Treffen 2017 beim G20-Gipfel in Hamburg: "Es ist mir eine Ehre".
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Alte Freunde?
Trump und Putin bei ihrem ersten Treffen 2017 beim G20-Gipfel in Hamburg: "Es ist mir eine Ehre".
Während die Unterhändler aus den USA, der Ukraine und Europa in Genf verhandelten, polterte Trump auf seinem eigenen Social-Media-Kanal „Truth Social“ wie üblich in Großbuchstaben gegen seinen ukrainischen Amtskollegen. Der Regierung Selenskyj warf er einmal mehr mangelnde Dankbarkeit vor und gab ihr bis zum amerikanischen Feiertag Thanksgiving am vergangenen Donnerstag Zeit, dem Friedensplan zuzustimmen. Ansonsten, so die Drohung aus Washington, würde die Ukraine die für die Kriegsführung zentralen amerikanischen Aufklärungsdaten und Waffenlieferungen verlieren. Später relativierte Trump das Ultimatum und sagte, es handle sich nicht um sein letztes Angebot.
Das ewige Hin und Her passt zu Trumps bisherigem Verhalten gegenüber Russland und der Ukraine. Für den Krieg macht der US-Präsident Kyiv verantwortlich, Selenskyj nennt er einen „Diktator“, für Putin zeigt er Bewunderung. Ein paar Mal hat Trump den Ton gegenüber Moskau verschärft, nachhaltig war der vermeidliche Kurswechsel nie. Meist reicht ein Telefonat mit Putin, und Trump richtet seinen Zorn wieder auf Selenskyj.
Der US-Präsident sucht nach dem einfachsten Weg, um den Frieden als seinen Erfolg verkaufen zu können.
Und jetzt? Ernsthafte Verhandlungen über ein Ende des Ukraine-Krieges gab es bisher nicht, und nichts deutet darauf hin, dass Moskau von seinen Maximalforderungen abgerückt ist. Putin habe kein Interesse an einem Abkommen, sagte Trump erst vor wenigen Wochen.
Am Ende geht es darum, auch Wladimir Putin an den Verhandlungstisch zu bekommen. Dass er einen Friedensplan akzeptiert, mit dem auch Europa und die Ukraine einverstanden sind, ist unwahrscheinlich. Denkbar ist vielmehr, dass das Bluffen, Täuschen und Feilschen weitergeht wie bisher.
In den kommenden Tagen ist ein Besuch Witkoffs in Moskau geplant; mit Selenskyj verhandeln soll Daniel Driscoll, ein Freund von Trumps Vize JD Vance. Als Staatssekretär ist der 39-Jährige eigentlich für die Ausstattung der US-Armee zuständig. Diese Woche verhandelte Driscoll mit Vertretern Russlands in Abu Dhabi, demnächst fliegt er nach Kyiv. Sein Zivilberuf: Investmentbanker.
Siobhán Geets
ist seit 2020 im Außenpolitik-Ressort und seit 2025 stellvertretende Ressortleiterin. Schwerpunkt: Europa und USA.